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Dynamik und Daseindfreude: Ein unbekannter Fotograf lichtete Studentinnen auf dem Dach des Atelierhauses in Dessau ab

© Bauhaus-Stiftung

Bilder vom Bauhaus: Der Himmel über Dessau

Lust und Laune: Das Bauhaus hat kostbare Fotografien aus der eigenen Geschichte erworben und zeigt sie in einer Ausstellung.

Die Perspektiven sind rasant, die Schnitte gewagt. Der junge Mann auf dem Baumstumpf scheint zu schweben, wie er da auf einem Fuß in die Hocke geht und grimassierend die Hände zum Kopf hebt. Ein verrückter Vogel, ein exzentrischer Redner? Ein schöner Spaß jedenfalls, der Lebenslust und Experimentierfreude ausstrahlt. Der Fotograf der 1927 entstandenen Aufnahme ist unbekannt, sein Modell war der damalige Bauhaus-Student Wolfgang Rössger.

Über Umwege kehrt die Fotografie nun dorthin zurück, woher sie stammt, nach Dessau, ans Bauhaus. Sie gehört zum 59 Arbeiten umfassenden Konvolut des heute in Zürich lebenden Sammlers Thomas Walther, das nach vierjährigen Verhandlungen in den Besitz der Stiftung gelangt ist. Dessau avanciert damit auf einen Schlag zu einer der wichtigsten Adressen für die Fotogeschichte jener Zeit in Deutschland.

Für Philipp Oswalt, den Direktor der Bauhaus-Stiftung, ist es ein Glücksfall. Für Thomas Walther wiederum, der als Architekturstudent in Berlin in den frühen siebziger Jahren zur Fotografie kam, bringt die Übergabe eine große Erleichterung mit sich, kann er sich doch Neuem zuwenden. Und für die Geldgeber – den Bund, das Land Sachsen-Anhalt, die Siemens-Kunststiftung sowie die Kulturstiftung der Länder – ist der Ankauf ein Moment stolzer Genugtuung. Über die genaue Summe dieser bedeutendsten Erwerbung seit über 20 Jahren schweigt das Dessauer Bauhaus, schließlich handelt es sich nicht nur um staatliche Gelder. So viel wird verraten: Allein der Kulturstaatsminister gab 216 000 Euro. Die Investition gilt auch dem geplanten Besucherzentrum, in dem die Geschichte des Bauhauses künftig präsentiert werden soll. Der legendäre Flachbau selbst mit seinen Fensterbändern eignet sich dafür kaum. Der Ankauf ist also ein Versprechen. Mit ihrem eigenen schmalen Etat hätte sich die Bauhaus-Stiftung gerade mal eine einzige Fotografie leisten können.

Die Heimkehr der kostbaren Bilder weckt Erinnerungen: Hier in Dessau wurde Fotogeschichte geschrieben, wurde das „Neue Sehen“ erprobt und mit zunehmend leichteren Kameras spielerisch hantiert. Die Aufnahmen von Lehrern wie Schülern vermitteln einen Eindruck vom Alltag an der bedeutendsten Akademie der Weimarer Republik, von der Ausgelassenheit der Bauhäusler, ihrer Feierlaune. Da schauen junge Leute fröhlich vom Flachdach des Atelierhauses herunter, der unbekannte Fotograf hat sie steil gegen den Himmel aufgenommen und damit ihrem Übermut zusätzliche Dynamik verliehen.

Die Schnappschüsse verraten, dass es eine Lust gewesen sein muss, am Bauhaus zu studieren – und zugleich eine hohe Schule der Disziplin. Vier Weingläser mit dunklem Stiel hat Gertrud Arndt für ihre Komposition nebeneinander auf hellen Grund gelegt, daneben akkurat vier Schnapsgläser platziert. Deren rundliche Schatten entwickeln ein Eigenleben, das dennoch dem Prinzip der Reihung gehorcht. An den Originalabzügen lässt sich ablesen, in welcher Phase sich das Bauhaus gerade befand: ob freie Lichtmalerei betrieben wurde wie noch bei László Moholy-Nagy oder schon nüchterne Analyse wie später bei Walter Peterhans, der 1929 die erste eigene Fotoklasse begründete.

Aus Anlass des Ankaufs richtet die Stiftung nun die Ausstellung „Das Bauhaus im Bild“ aus, die sich kapitelweise verschiedenen Themen widmet: Feste, Selbstinszenierungen, Figur, Architektur, Produkte. Die Bilder sind flach in Vitrinen ausgelegt. So erinnern sie zugleich an jene Bauhaus-Alben, aus denen sie vielfach stammen. Die Studenten klebten Aufnahmen ihrer Arbeiten als Referenz in Kladden mit schwarzen Pappen – eine Fundgrube für den boomenden Fotomarkt. Häufig wurden die Fotografien wieder aus den Alben gerupft, um sie einzeln verkaufen zu können. Auf diese Weise entstanden singuläre Preziosen. Eine Inkunabel der Fotogeschichte wie László Moholy-Nagys „Blick vom Berliner Funkturm“ von 1928 ist heute kaum mehr zu bekommen.

Thomas Walther begann mit seinen Erwerbungen in den siebziger Jahren – zu einer Zeit, als es nur wenige Fachhändler gab und die Kenner unter sich blieben. Das änderte sich mit den Achtzigern, befördert durch den Siegeszug aktueller Fotokunst. Der Verkauf seiner Bauhaus-Kollektion hängt nicht zuletzt mit den heutigen Preisen zusammen, die auch für Walther zu hoch geworden sind. Der Sammler will sich deshalb einem neuen Gebiet zuwenden, dem 19. Jahrhundert, dessen Fotografie noch erschwinglich ist.

Eine ähnliche Kehrtwendung vollzog der Foto-Aficionado bereits, als die Klassiker, Stieglitz & Co., unerschwinglich wurden. Walther, der damals als Fotograf in New York lebte und arbeitete, begann daraufhin Trödelmärkte abzusuchen und kaufte systematisch Amateurbilder an. Für wenige Cent erwarb er Meisterwerke unbekannter Künstler, deren Bedeutung bislang noch niemand gewürdigt hatte. Aus dem über Jahre angehäuften Schatz mit hunderten Aufnahmen destillierte er das Buch „Other Pictures“, das zur Wegmarke künstlerischer Fotografie wurde. Ein weiteres Kapitel der Fotokunst war damit aufgeschlagen. Prompt kaufte das Museum of Modern Art seine Sammlung anonymer Fotografen an.

Der Reiz der Dessauer Sammlung besteht in der Mischung großer Namen – neben Moholy-Nagy und Gertrud Arndt sind es Herbert Beyer, Hannes Meyer, T. Lux Feininger, Kurt Kranz – und unbekannter Schüler. Die Bauhaus-Forschung bekommt damit neue Arbeit. Auch über die Abgebildeten kann man noch viel herausfinden. Oskar Schlemmer allerdings, der einen Glaszylinder über seinen prägnanten Glatzkopf hält, lässt sich sofort identifizieren. Kunst und Leben, Selbstinszenierung und Alltag bildeten für den Bauhaus-Lehrer eine untrennbare Einheit. Das gewitzte Bild gibt eine Ahnung davon.

„Das Bauhaus im Bild“, Stiftung Bauhaus Dessau, bis 24. Februar, täglich 10 – 18 Uhr, ab 2013 10 – 17 Uhr. Infos: www.bauhaus-dessau.de

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