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Selbstporträt von Wolfgang Herrndorf von 1988.

©  Literaturhaus

Bilder von Wolfgang Herrndorf: Titanischer Humor mit einem Hang zum Unglücklichsein

Vieles knallt einfach gut, vieles ist witzig. Doch scheint die Grundstimmung oft eine leicht traurige zu sein: Bilder und Zeichnungen des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf sind nun im Literaturhaus Berlin zu sehen.

Als Anfang des Jahres 2000 die „Sonntag“-Redaktion des Tagesspiegels Wolfgang Herrndorf fragte, ob er nicht einmal im Monat eine Zeichnung veröffentlichten wolle, war Herrndorfs erste Reaktion, so erzählt es der Kollege Norbert Thomma: „Aber ich zeichne doch nicht gern!“ Gekommen ist er schließlich trotzdem jeden Monat mit einer Zeichnung, immer ein wenig abgekämpft, stark schwitzend, selten zufrieden mit dem, was er gerade abgeliefert hatte, unsicher, ob das wirklich gut sei. Vermutlich arbeitete Herrndorf zu dieser Zeit schon intensiv an seinem Debütroman „In Plüschgewittern“, der 2002 erschien. War ihm nach seinem fünfjährigen Kunststudium in Nürnberg nur zu bewusst, dass er, wie er das später in einem Interview sagen sollte, „der Kunstgeschichte nichts Wesentliches hinzuzufügen“ hatte?

Gemalt und gezeichnet hat er aber selbst noch ein paar Jahre nach der Veröffentlichung seines Prosa-Debüts – und vorher sowieso, scheinbar ziemlich besessen, wie jetzt eine Ausstellung in Berlin im Literaturhaus in der Fasanenstraße zeigt. Obwohl er konsequenterweise viele seiner Bilder und Zeichnungen zerstörte, was allerdings auch einigen Vergeblichkeits- und Sinnlosigkeitsanfällen nach seiner Hirntumordiagnose 2010 geschuldet war, sind rund 600 Arbeiten von ihm erhalten geblieben, zum großen Teil noch von ihm selbst kurz vor seinem Freitod im August 2013 gesichtet. Skizzen, Illustrationen, Zeichnungen und Bilder, die er für das Satiremagazin „Titanic“, den Haffmans Verlag, den Tagesspiegel oder einfach nur für sich anfertigte. Gut ein Fünftel davon ist im Literaturhaus zu sehen, beginnend mit einer Vitrine, in denen die Bücher mit seinen Umschlagszeichnungen ausgestellt sind, darunter für die Hagener Trilogie von Frank Schulz, sowie den Blättern des Helmut-Kohl-Kalenders, den Haffmans 1998 herausbrachte. Zwölf-Kohl-Porträts malte Herrndorf dafür im Stile alter und ein paar neuerer Meister, von Lucas Cranach über Vermeer, Caspar David Friedrich und Edward Hopper bis hin zu Georg Baselitz (Kohl auf dem Kopf) und Peter Blake (Kohl als Fußballer).

Der Meister der perfekten Kopie

„Für die Auswahl des Kalenders“, so schrieb es Wolfgang Herrndorf damals, „war vor allem die Frage nach der malerischen Qualität und der ’moralischen Integrität’ ausschlaggebend. Infantil-Kritisches (Der Untergang des Schweine- und Ausbeutersystems von Jörg Immendorf) blieb ebenso unberücksichtigt wie ’moderne’ Stilrichtungen, die ihre Desorientierung unter dem Deckmantel des Fortschritts tarnen.“

Das ist typischer „Titanic“-Ton – und doch drückt sich in einer Formulierung wie „malerische Qualität“ oder der gar nicht so satirisch gemeinten Moderne- und Fortschrittsskepsis sehr gut Herrndorfs Vorstellung von seiner zeichnerischen Arbeit aus. Er war begeistert von der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, von den Renaissance-Künstlern des 15. und 16. Jahrhunderts, er hatte was gegen die Abstraktion. Sein Einwand dagegen: „Der Himmel. Leider war ich mit dieser Meinung ganz allein“. Und er übte sich wohl allein deshalb gern in der perfekten Kopie, wie bei dem Kohl-Vermeer, den Landschaftszeichnungen oder zahlreichen Selbstporträts, etwa das mit dem Turban, sein Verweis auf Jan van Eycks „Mann mit dem Turban“.

Es ist bei all den von Herrndorf herbeizitierten Künstlern, all dem Zitat- und „Titanic“-Pop schwer, eine ganz eigene Handschrift zu entdecken – aber das ist hier gar nicht nötig, man muss ja nun nicht noch den übergroßen bildenden Künstler Wolfgang Herrndorf entdecken. Aber in seinen Bildern und Zeichnungen stimmt jede Linie, jede Krümmung, zeigt sich viel Liebe zum Detail. Kurzum: Sie zeugen von einem großen handwerklichen Können. Und dominierend ist, das gebot natürlich oft die Auftragssituation, das Unterhaltungsdiktat, das sich Wolfgang Herrndorf später beim Schreiben auferlegt hatte, bei seinem Bestseller „Tschick“ genauso wie bei seinem Großroman „Sand“.

Knalliger Witz neben düsterer Grundstimmung

Ja, es macht vor allem viel Spaß, durch die drei Räume des Literaturhauses zu laufen und sich die Abenteuer von „Glaubi, Liebi und Hoffi“ anzuschauen oder den vierteiligen Socken-Massenmörder-Schizophrenen-Zyklus. Oder den unordentlich aussehenden Günter Grass, der „die vom Aussterben bedrohte Prosapause domestiziert“, ein kleines Ferkel. Oder das fünfzehnteilige, in schwarzweiß gezeichnete Leben des Sportreporters Heribert Faßbender, von dessen Geburtshaus, Schulzeit und Stolz-mit-Porsche-Pose bis hin zu Faßbender in Hitler-Stellungen oder als Breker-Büste.

Vieles knallt einfach gut, vieles ist witzig. Doch scheint die Grundstimmung oft eine leicht angedüsterte, traurige zu sein. Man meint tatsächlich in einigen davon den von seinem einstigen „Titanic“-Kollegen Oliver Maria Schmitt diagnostizierten „Hang zum Unglücklichsein“ entdecken zu können. Zum Beispiel in den beiden Carl-Spitzweg-Adaptionen mit den Figuren im Bett, die in ihren engen, fast auf sie einstürzenden Zimmern und Küchen mit angsterfüllten Blick unter der Bettdecke hervorstarren. Oder in den Naturzeichnungen, die beschriftet sind mit der Zeile: „Macht einem manchmal Angst: Die Natur.“

Was man aus dieser Ausstellung gleichfalls mitnimmt: Dass hier ein Künstler und Schriftsteller eine zutiefst westdeutsche, bundesrepublikanische Sozialisation durchlaufen hat, geboren 1965 in Hamburg. Ohne Berlin, ohne Wende, ohne all das. Aber mit eben jenem „Titanic“-Humor, mit so dominierenden Figuren wie Grass, Faßbender und natürlich dem ewigen Helmut Kohl, der ihn zu seinen Kalender-Porträts inspirierte. Kohl aber, so weiß es zumindest Literaturhausleiter Ernest Wichner, fand sich gut getroffen und hatte großen Gefallen an den Porträts gefunden. Er habe sich, so Wichner, große Mengen des Haffmans-Kalenders ins Bundeskanzleramt kommen lassen, um diese an Staatsgäste zu verschenken. Ob Wolfgang Herrndorf das seinerseits gefallen hat? Vermutlich nicht.

Wolfgang Herrndorf: Bilder. Literaturhaus Berlin, von Sa. 13. Juni bis Mittwoch, 16. 8., Di-Fr 14-19 Uhr, Sa./So 11-19 Uhr.

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