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Naturgewalten. Bernar Venets Brückenschlag legt sich über den Wasserfall, der zur alten Mühle führt.

© Serge Demailly

Bilderhauer Bernar Venet im Porträt: Seidiger Stahl

An der Côte d’Azur zeigt der Bildhauer Bernar Venet sein beeindruckendes Gesamtwerk. Mit Berlin ist er durch seinen „Großen Bogen“ verbunden. Eine Begegnung.

Was an der Berliner Urania für wenige Sekunden sichtbar wird, ist ein trauriger Abglanz des Werks von Bernar Venet. Aus dem Auto erblickt man, eingeklemmt zwischen den Fahrbahnen, einen schlanken rostbraunen Bogen, der seine Enden gut zwanzig Meter hoch in den Himmel reckt. Der Bauch des „Arc de 124,5 °“ wölbt sich auf einem ungepflegten Grünstreifen, zwischen Bäumen, die den Blick auf die Kunst verstellen. Graffitis erzählen vom Umgang Berlins mit einem Geschenk, das der französischen Staat der Stadt nach ihrer 750-Jahr-Feier gemacht hat: Seit drei Jahrzehnten gammelt die Skulptur vor sich hin. Der Standort ist reine Notlösung, ihre Längsposition an der Straße eine visuelle Katastrophe. Ein trauriger Fall für Kunst im öffentlichen Raum.

Venet sitzt in seinem Atelier in Le Muy, einem kleinen Ort an der Côte d’Azur oberhalb von Cannes. Vor sich hat er ein Pappmodell jener Arbeit, die er bald bei Luxemburg aufstellen soll. Ein gigantischer Bogen, der sich auf beiden Seiten der Straße erhebt und unter dem Asphalt durchzulaufen scheint. Man fährt ihm entgegen, nimmt ihn als Riegel wahr und passiert den Koloss aus Cortenstahl wie einen umgedrehten Triumphbogen.

Glattes Pathos ist ihm fremd

Der Bildhauer, Jahrgang 1941, liebt die große Geste. Alle seine Stahlskulpturen – egal ob in Versailles, Neu-Ulm, Nizza oder New York – verkörpern das Monumentale und die Schönheit gebogenen Stahls. Glattes Pathos ist ihm dennoch fremd. Wer aus dem Atelier in die angeschlossene Halle tritt, in der Venet die tonnenschwere Skulptur „Effondrement of Arcs“ aufbewahrt, der weiß, was den Mittsiebziger in jüngerer Zeit bewegt. Die schöne Ordnung seiner Bögen ist einem Chaos gewichen, die Welt zerborsten. Als hätte die Erde unter diesem Teil des Skulpturengartens gebebt.

Der Bildhauer lässt sich besuchen, auch wenn er selbst noch immer zwischen New York und Le Muy hin- und herreist. Die Stiftung hat an zwei Tagen in der Woche geöffnet, privat schauen Sammler und Galeristen vorbei: Von Nizzas Flughafen aus dauert die Fahrt mit dem Auto weniger als eine Stunde. Dabei war der Ort in der Provence ursprünglich für Venet und seine Frau Diane gedacht. Zum Rückzug, zur Lagerung der großen Objekte und zum Arbeiten. Noch heute erzählt der Künstler schalkhaft, dass es zahllose Interessenten für die alte Mühle von 1737 mit ihrem romantischen Wasserfall gab.

Tonnenschwer. Bernar Venet zeigt in jüngster Zeit vor allem Formationen des Zusammenbruchs.
Tonnenschwer. Bernar Venet zeigt in jüngster Zeit vor allem Formationen des Zusammenbruchs.

© Steve Benisty / Xinyi Hu

Aber niemand wollte die große Fabrikhalle kaufen, die ebenfalls auf dem Grundstück stand. Bis auf Venet, dem sie perfekt für seine Skulpturen erschien. Andere ließ er auf den sattgrünen Wiesen installieren und stellte jene Arbeiten dazu, die er als junger Künstler mit Kollegen wie Donald Judd oder Carl Andre getauscht hat. Seit er selbst zu den großen, teuren Protagonisten unter den Bildhauern zählt, kauft Venet auch dazu. Skulpturen wie Land: Gerade entsteht hinter dem inzwischen fünf Hektar großen Park ein neuer Abschnitt, der sich garantiert schnell füllen wird. Schließlich gibt es noch eine Halle für wechselnde Ausstellungen, darin ist gerade eine eindrucksvolle Schau aus dem Nachlass von Fred Sandback zu sehen.

Irgendwann kam der Moment der Entscheidung. Macht man das Anwesen öffentlich? Die Venets haben sich geöffnet – zum Glück, denn die Zusammenschau von Natur und Skulptur ermöglicht einen differenzierten Blick auf die Arbeiten. Im urbanen Raum, auf Plätzen und im Dialog mit der städtischen Architektur, wirken Venets Bögen hart und unnahbar. Hier nun, unter tiefblauem Himmel auf sattem Grün, entfalten sie erstaunlich weiche Qualitäten. Wie riesiges Schilf im Wind oder kahle Baumriesen. Ihre Oberflächen scheinen zu atmen, die Patina wirkt samtweich. Ein Effekt, der sich nach wenigen Wochen an der Luft von selbst entwickelt, aber auch gepflegt werden will: In der Stiftung wird der Stahl regelmäßig mit Salzwasser abgewaschen.

Zweimal wird er auf die Documenta und die Biennale von Venedig eingeladen

Venet kommt von hier. Die Familie stammt aus dem nahen Château-Arnoux, Bernar ist als Einziger früh aus dem kleinbürgerlichen Leben ausgebrochen. Er studiert an der Schule für Gestaltende Kunst in Nizza, arbeitet bis 1963 als Bühnenbildner. Erste monochrome Bilder mit schwarzem Teer entstehen, Experimente mit Kohle schließen sich an, Performances und Klangstücke. Dann geht Venet nach New York, wo er sich immer mehr auf mathematische Diagramme und minimale Konzepte konzentriert – bis er am Ende mit jeglicher Produktion aufhört, weil in seinen Augen alles dekliniert und damit getan ist.

Von 1971 an entsteht fünf Jahre lang nichts. Heute nennt Venet diese Zeit, in der er an der Pariser Sorbonne Kunsttheorie lehrte, seine „Schaffenspause“. Damals aber war nicht klar, was danach überhaupt passiert. Mitte der siebziger Jahre entstehen die ersten Stahlskulpturen, der Künstler ist weiterhin an Mathematik – an Winkeln, Bögen, Diagonalen – interessiert. So entwickelt sich allmählich jene Formsprache, die Venets Skulpturen heute unverwechselbar machen. 1989 gewinnt er den großen Kunstpreis von Paris, wird gleich zweimal nacheinander zur Documenta in Kassel (1977/1982) eingeladen und nimmt ebenfalls zweimal an der Biennale von Venedig teil (1978/2009) teil.

Die Berliner Situation entlockt ihm ein Brummen

Als Bildhauer umkreist Venet die Themen Zeit, Bewegung, System und Zufall, als Material dient ihm ausnahmslos Cortenstahl, wie ihn auch Richard Serra verwendet. Venets Skulpturen mögen sich nicht unbedingt wiederholen, zumindest aber ähneln sich die Formationen. Wer länger durch den Park streift, entdeckt jedoch auch Unterschiede. Die Längen der Schenkel, ihre Gruppierung, die fortschreitende Dysbalance der Elemente. Mal entscheidet er sich für geschlossene Kreise und Spiralen, dann schneidet Venet die massiven Träger durch.

Sein „Arc de 124,5 °“, die Skulptur aus Berlin, hat ihm allerdings so gut gefallen, dass er ihn in den achtziger Jahren noch einmal ganz ähnlich für den Jardin Albert in Nizza schuf. Er sei etwas kleiner, erzählt Venet, stehe dafür aber in einer spektakulären Kulisse. Die Berliner Situation entlockt ihm bloß ein Brummen. Schade sei es, aber vielleicht werde sich bald etwas ändern: Er habe von einer Initiative gehört, die sich für die Umsetzung starkmachen wolle. Eine gute Nachricht, denn sonst würde man Bernar Venet raten, seiner Arbeit Asyl im eigenen Skulpturenpark zu gewähren. Hier hätte sie es unzweifelhaft besser.

Venet Foundation, 53 Chemin du Moulin des Serres, 83490 Le Muy, Frankreich. Bis Mitte September Do und Fr nach Voranmeldung unter: venetfoundation.org

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