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Kultur: Bilderkriegserklärung

Freiheit gegen Dogma? Markt gegen Tradition? Wie der Westen und der Orient um fundamentale Werte kämpfen

Vielleicht lässt sich die Geschichte so erzählen: Es gibt eine Gesellschaft, nennen wir sie den „Westen“, in der haben sich die Bilder auf einem grenzenlosen Markt dynamisiert. Nicht nur die der öffentlichen Inszenierungen und der seelischen und körperlichen Intimität, sondern ebenso die Bilder des Heiligen und der Transzendenz.

Der Preis für diese Verbindung von Freiheit und Kapital ist eine Tendenz zur Entwertung. Bilder zeigen kaum noch Wirkung. Was gestern Skandal und Sensation war, ist heute Medienalltag und Nachmittagsprogramm. Die Gesellschaft hat gelernt, mit der Entheiligung der Welt durch den entgrenzten Bildermarkt umzugehen. Ebenso wie die Waren und Fiktionen haben auch die politischen Parteien und selbst die Kirchen Strategien entwickelt, mit den ständigen ikonografischen Verletzungen umzugehen. Ja mehr noch: Ein blasphemisches Bild ist immer noch besser als gar keines.

Es gibt eine andere große Gesellschaft, in sich widersprüchlich und uneins wie die westliche, geeint aber durch einen anderen Bildgebrauch. Nennen wir sie „die islamische Gesellschaft“. Hier gibt es eine stabile Bildwelt, die um mehr oder weniger streng ausgelegte sexuelle, politische und religiöse Verbote herum organisiert ist. Bilder aus dem suggestiven Weltmarkt der Bilder lagern sich hier an den Rändern ab, in den Kern der sozialen Praxis gelangen sie nicht. Denn wie das Wort, so ist auch hier das wahre Bild und vor allem das wahre Bilderverbot heilig und unveränderbar. Denn es bildet Praxis und Transzendenz nicht ab. Es ist Praxis und Transzendenz. Indem jedoch Bild und Bilderverbot fundamentalisiert, das heißt von der Transzendenz in die gesellschaftliche Praxis verschoben wurden, scheinen sie Schändung und Kränkung geradezu herauszufordern. Mehr noch als aus der religiösen Erfahrung, gar der Erleuchtung, besteht das Bild in diesem Gebrauch aus seiner Verteidigung: Die erwartete Schändung wird zum „Inhalt“.

Während sich also das Bild in der „westlichen“ Gesellschaft unentwegt ausbreiten muss, fast zwangsläufig frivol, beleidigend, blasphemisch wird, muss sich das Bild in der „islamischen“ Gesellschaft immer weiter verschließen. Die suggestive Bildwelt muss als ständige Bedrohung, als endloses Reservoir der Kränkungen begriffen werden. Die Energien sind so auf das heilige Bild konzentriert, dass sie förmlich auf eine Explosion warten. Wie sollten diese beiden Gesellschaften einander respektieren können, wo doch jede die andere mit dem Angriff auf das Allerheiligste bedroht, auf die Ikonografie, auf das heilige Gut der Freiheit? Und wie sollte man einander verstehen, wo doch der Gebrauch der Bilder im internationalen Mediengeflecht so viel an Bedeutung gewonnen hat?

Was wir voneinander wissen, wissen wir durch Bilder. Diese beiden Gesellschaften können sich auf der globalen Bühne der Politik und auf dem globalisierten Markt der Waren und Bilder nun aber auch nicht mehr voneinander fern halten. So wäre schon vom Gebrauch der Bilder her ein „Zusammenstoß der Kulturen“ unvermeidlich.

Diese Erzählung hat einen Nachteil: Sie ist falsch. Denn als Praxis des Zusammenlebens wäre es möglich, zu checks and balances der Interessen zu gelangen. Man sieht immer nur Bilder, die man sehen will oder sehen muss. Den konkreten Konflikt muss jemand wollen, inszenieren, anstoßen. Die Geschichte des Karikaturen-Konflikts ist ein Lehrbeispiel dafür: In einer kleinen Zeitung der großen westlichen Gesellschaft werden Bilder publiziert; die Redaktion ist sich ihres verletzenden Inhalts durchaus bewusst. Sieht man diese Bilder mit westlichen Augen, meint man, dass sie sich eigentlich lustig machen über die Schwächen von Menschen beim Befolgen religiöser Gebote oder menschliche Schwächen in religiöse Bilder hineinprojizieren. Das Christentum lebt seit langem mit solchen manchmal drastischen Vermenschlichungen.

Dem „absoluten“ Gebrauch des Bildes dagegen wäre wohl eine echte Schändung lieber als dieses Vermenschen. Tatsächlich geschah mit den Bildern, die die „rechtspopulistische“ Zeitung in Dänemark publizierte, erst einmal nichts. Sie blieben mehr oder weniger unsichtbar. Und erst dann begann ein Prozess des Bildertragens, des Bilderverhandelns und Bilderverstärkens. Er ist ziemlich genau zu beschreiben als Erzeugung einer politischen Waffe. Die blasphemischen Karikaturen kamen hier und dort gerade recht, und hier und dort verhielten sich Menschen, als müssten sie mit ihren Taten erst bestätigen, was die Karikaturen unterstellten. Nicht die Bilder lösten die kulturelle Katastrophe aus, sondern die Art, wie sie transportiert werden. Auf die Empörung – wie manipuliert oder spontan sie sich auch äußern mag – folgt einerseits ein Appeasement des Westens: eine halbherzige Entschuldigung und halbherzige Verteidigung der Freiheit. Unterm Strich ergibt das null. Eine Weigerung, den Konflikt anzunehmen und grundsätzlich nach den Rechten und Pflichten der Bilderproduktion für den globalen Markt zu fragen. Auf der anderen Seite folgte eine Empörung über die Empörung: Wir versammeln uns um einen der wenigen Werte, die wir noch zu haben glauben, um die Freiheit.

Wir? In der Dramaturgie der Fundamentalisierung der Weltordnungen wird auch die westliche Gesellschaft fundamentalistisch geblendet. „Wir“ verteidigen die Freiheit eines rechtspopulistischen Blattes, von dem wir uns in der gewöhnlichen kulturellen Praxis schleunigst distanzieren müssten. Von unserer Freiheit wollen wir ohnehin nicht mehr viel mehr wissen; als dass man sie irgendwie verteidigen muss.

Der Bilderhass „der“ islamischen Gesellschaft erscheint uns in der Tat bedrohlich genug. Wie kann jemand Respekt und Toleranz für seine Bildvorstellungen verlangen, der sich nicht distanzieren mag von einem Akt der Bilderschändung wie der Sprengung der Buddha-Statuen in Afghanistan 2001! Hierzulande sprengt man allenfalls einen „Palast der Republik“. Das ist etwas ganz anderes, oder? Aber Machtdemonstrationen gegenüber Bildern sind auch uns nicht fremd. Und Demokratie ist keine Garantie gegen symbolische Politik, Gewalt inklusive.

Der Konflikt zwischen Religion und Freiheit auf dem Schlachtfeld der Bilder ist eine politische Simulation, bei der beide Seiten kräftig lügen, auch, ja vor allem gegenüber sich selbst. Den Islam, den die Gewalt der Kränkung gegen den Westen verteidigen will, gibt es nicht; er soll, weniger als Religion denn als gesellschaftliche Doktrin, in der Inszenierung erst erzeugt werden. Nicht einmal das Abbildungsverbot, um das es zentral zu gehen scheint, ist anders als historisch erklärt; man vergisst nur in einer Religionsgeschichte, was Wesen und was Macht-Praxis ist. Eine Religion kann man nicht beleidigen, selbst mit allem schlechten Willen nicht. Religiöse Weisheit sollte so himmelhoch erhaben sein über jede Beleidigung, dass nur ein Lächeln übrig bliebe. Was man beleidigen kann, ist nur ein gesellschaftlicher Code. Man kann auch sagen: eine Organisation der Macht, und dahinter: Bild und Selbstbildnis von Macht. Und „unser“ Code ist die Verbindung von Ökonomie und Demokratie.

Weil darin, wenn auch leicht verzerrt, das Erbe der Aufklärung steckt, darf uns dieses Gut heilig sein. Es gehört zu den schwer erkämpften Menschenrechten, Bilder zu produzieren und zu kommunizieren, die nicht allen gefallen, ohne Angst, dafür mit Gewalt und Terror bedroht zu werden. Das Nähere regelt der Rechtsstaat, der keineswegs eine vollständige Beliebigkeit des Bildes vorsieht. Und für den globalisierten Bildermarkt scheint tatsächlich eine Art völkerrechtliche Charta zu fehlen. Was vor sich geht, rückt eine solche Ordnung der Bilder indes in weite Ferne.

Stattdessen werfen die Bilder die Fragen auf die jeweiligen Gesellschaften zurück: Wie und auf welche Art „islamisch“ ist die eine Gesellschaft, wie und auf welche Art „demokratisch“ die andere? Die Freiheit – auch die der Bilder –, die es zu verteidigen gälte, müsste man erst einmal haben. Ich will nicht leben in einer Welt, in der man Leib und Leben dafür verlieren kann, dass man in das Umfeld eines „falschen“ Bildes geraten ist. Wo Terror ist, gibt es keinen Respekt, nur Angst oder Opportunismus. Ich will aber auch nicht leben in einer Welt, in der ich die Freiheit einer Gruppe rechtsextremer Zündler verteidigen soll, während rundherum demokratische Freiheiten heimlich oder offen abgebaut werden. Wenn es noch nicht zu spät ist, sollte man noch einmal nachdenken über Religion, über Freiheit, über Bilder. Und sich keinen Krieg der Kulturen aufzwingen lassen, nur weil uns Bilder blind machen.

Georg Seesslen

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