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Kultur: Bimbam!

Musikfest: Rattle dirigiert sein Wunschkonzert

Hier schlägt das Herz des Musikfests: Simon Rattle, so erzählt Winrich Hopp, künstlerischer Leiter des Spitzenorchestertreffens, habe sich Claude Debussys Spätwerk „Le Martyre de Saint Sébastien“ gewünscht. Eine gewagte Wahl, von der Hopp sich dann aber dazu inspirieren ließ, beim Musikfest die Wechselbeziehungen zwischen den Kulturmetropolen Paris, Berlin und New York um 1910 zu untersuchen. Rattle schwebte damals noch eine Zusammenarbeit mit der Künstlerin Rebecca Horn vor: Bei einem multimedial-synästhetischen Happening im Hamburger Bahnhof sollte der heilige Sebastian sein Martyrium erleiden. Leider machte die Buchhaltung ihm einen Strich durch die Rechnung: 1,5 Millionen Euro hätten drei Aufführungen gekostet.

So geht nur eine konzertante Aufführung der Schauspielmusik zu Gabriele d’Annunzios Dekadenzdrama über die Philharmonie-Bühne, mit Sophie Marceau als Sprecherin, die in jenem hohen Pathoston rezitiert, der für französische Schauspieler seit dem 17. Jahrhundert Pflicht ist und den Bildungsbürgern der Grande Nation bis heute als edelste Form der Sprachkunst gilt. „Schützen, weint nicht! Zielt genau!“, barmt Marceau als todestrunken-masochistischer Jüngling Sebastian und wirkt in ihrem Disco-Outfit deplatziert. Rattle zelebriert die kühnen, kühlen Alabasterklänge des bereits schwerkranken Debussy, die Philharmoniker raunen und rauschen, schimmernd, irisierend, piano, pianissimo, der von Simon Halsey präparierte Rundfunkchor Berlin schwebt über den Wassern, dann scheinen sonnenhell die Blechbläser auf, das Englischhorn singt Tristaneskes, bis sich das Finale wie ein klingendes Porträt der Montmartre-Kathedrale Sacré Coeur auftürmt. Heiliger Bimbam.

Als Intermezzo folgt Igor Strawinskys „Roi des Etoiles“, Debussy gewidmet, für Männerchor und kaum hörbares Riesenorchester, ein weiterer Mosaikstein in Rattles russischem Großprojekt. Strawinsky will er komplett einspielen, der liegt ihm am Herzen, ebenso wie Jean Sibelius. Im Gegensatz zu den Briten, die Sibelius lieben, tun man sich hierzulande eher schwer mit dem Finnen, und Rattle gibt offen zu, dass seine Philharmoniker diesen Komponisten für zweitklassig halten. Natürlich hört man den Superprofis das nicht an, im Gegenteil. Für Sibelius’ fünfte Sinfonie bieten sie eine berückend brillante Klangpräsenz auf und folgen ihrem Chef leichtfüßig auf den gewundenen Pfaden dieser Partitur: mit Macht zum Licht. Frederik Hanssen

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