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Der Alte von Friedrichsruh. Bismarck 1891 mit seinen geliebten Doggen.

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Bismarck und Russland: Mann von gestern, Mann von morgen

Zweihundert Jahre nach seiner Geburt gilt Otto von Bismarck als Reaktionär. Aber sein Denken erlebt eine Renaissance. Die AfD will an seine "Rückversicherungspolitik" anknüpfen, und Gerhard Schröder lobt seinen "Ausgleich mit Russland". Auch der Geopolitiker wird wieder entdeckt.

Sein Aufstieg begann mit einem Abstieg. Eine berühmte Karikatur des britischen „Punch“-Zeichners John Tenniel zeigt den greisen Staatslenker Otto von Bismarck, wie er 1890, als Reichskanzler entlassen, die Gangway eines Hochseedampfers heruntersteigt. „Der Lotse geht von Bord“, lautet die Bildzeile, und die Botschaft ist klar: Der jugendliche Kaiser Wilhelm II., der übermütig über der Reling lehnt, würde Deutschland nicht mehr so umsichtig durch alle Gefahren steuern wie der Meisterdiplomat.

Kaum hatte sich Bismarck grummelnd auf sein Gut Friedrichsruh bei Hamburg zurückgezogen, begann auch schon der Kult um ihn. Überall im Kaiserreich wurden Bismarck-Türme, -Brunnen und -Denkmäler errichtet, die wilhelminischen Untertanen verehrten ihn als „eisernen Kanzler“ und „Schmied des Reiches“, geradezu als Übermenschen in Kürassierstiefeln. Dabei war der Politiker in seiner Regierungszeit nie populär gewesen, „bei vielen“, befand der Publizist Sebastian Haffner, „war er schlechthin verhasst“. Dafür hatte Bismarcks demonstrative Verachtung der Demokratie gesorgt, im relativ machtlosen Parlament sah er nicht mehr als ein „Überdruckventil“, dessen Beschlüsse er nur dann respektierte, wenn sie seinen Plänen entsprachen.

Preußen und später Deutschland regierte der Kanzler beinahe wie ein absoluter Herrscher und konnte sich dabei stets auf die Loyalität des Königs und Kaisers Wilhelm I. verlassen, der sich ihm politisch unterworfen hatte. Innenpolitik betrieb Bismarck nicht anders als Außenpolitik, er schmiedete wechselnde Bündnisse und ließ sie, wenn es opportun war, schnell wieder platzen. So machte er sich alle großen Parteien, die er ohnehin für „Reichsfeinde“ hielt, zu Gegnern – von den Liberalen über das den Katholiken nahe stehende Zentrum bis zur aufstrebenden Sozialdemokratie. „Ich suche die preußische Ehre darin“, so hatte er schon früh sein Credo formuliert, „dass Preußen sich von jeder schmachvollen Verbindung mit der Demokratie entfernt halte“.

Der Mythos beherrscht noch immer die Erinnerung

Zum Bismarck-Mythos gehört, dass die Deutschen ihn bis heute gerne für die Inkarnation eines besonnen und weitsichtig agierenden Staatsmannes halten. Darum wird immer, wenn ein großer Politiker abtritt, die Lotsen-Karikatur aus dem „Punch“ zitiert, bei Adenauer, dem Begründer der Bonner Republik, genauso wie beim Prinz-Heinrich-Mützenträger Helmut Schmidt. Ohne Bismarcks Sturz und die Abkehr von seiner Politik, lautet eine Spekulation, hätte der Erste Weltkrieg womöglich gar nicht stattgefunden. Schließlich hatte Bismarck erklärt, Deutschland sei „saturiert“ und damit seinen Verzicht auf Gebietsgewinne von den Nachbarstaaten begründet. Kaiser Wilhelm II. hingegen zerstörte mit seinem Beharren auf einen „Platz an der Sonne“, der Deutschland zustehe, in kurzer Zeit das fein ausbalancierte Bismarck’sche Bündnissystem.

Aber Otto von Bismarck war alles andere als ein Pazifist. Schon 1906 urteilte der Göttinger Historiker Max Lehmann (dessen „Charakteristik“ des Kanzlers gerade im Donat-Verlag neu herausgekommen ist), Bismarcks „Blut- und Eisen-Politik“ als Mittel der Reichsgründung habe zum „Triumph des Schwertglaubens über das zivile Denken“ geführt. Die Geburt des Kaiserreiches war eine blutige Angelegenheit, die Bismarck durch drei Kriege mit Dänemark (1864), Österreich-Ungarn (1866) und Frankreich (1870/71) einleitete. Für den Traum von der deutschen Einheit starben mehr als 200 000 Menschen.

Es reichte dem Kanzler nicht, Frankreich zu besiegen. Er wollte es auch demütigen. So ließ er die Kaiserproklamation ausgerechnet im Spiegelsaal von Versailles stattfinden, dem französischen Königsschloss, und bei den Friedensverhandlungen bestand er darauf, dass der Kriegsgegner Elsass-Lothringen an Deutschland abzutreten habe. Damit wurde dem neuen Staat „die Erbfeindschaft seines nächsten Nachbarn sozusagen in die Wiege gelegt“, konstatierte Haffner. Ein Großteil der Bismarck’schen Außenpolitik war deshalb defensiver Natur, stets geleitet von der Angst, dass mitten in Europa gelegene Deutschland könne von Gegnern „eingekreist“ werden. Der 1887 geheim abgeschlossene Rückversicherungsvertrag mit Russland, der beide Mächte auf Neutralität im Kriegsfall verpflichtete, war ein diplomatischer Coup. Aber er war auch die Konsequenz aus einer selbst verschuldeten Zwangslage.

Bismarck war alles andere als ein Friedenskanzler

Dass Wilhelm II. den Rückversicherungsvertrag dann gleich nach Bismarcks Entlassung auslaufen ließ, ist als wichtige Etappe auf dem Weg zum Ersten Weltkrieg interpretiert worden. In Wirklichkeit wurden die Weichen zu einem großen Krieg in Europa bereits vorher gestellt, 1879, als Bismarck gegen den Widerstand des Kaisers den „Zweibund“ mit Österreich-Ungarn durchsetzte. Es war ein Bündnis, das sich ausdrücklich gegen Russland richtete. Russland und Österreich wollten das Osmanische Reich beerben und konkurrierten auf dem Balkan miteinander – dem Pulverfass, das 1914 die Welt explodieren lassen sollte.

Bis heute wird Bismarck von den Deutschen als Sozialistenfresser verachtet und als „weißer Revolutionär“ (Lothar Gall) verehrt. Über keinen anderen deutschen Politiker außer Hitler erscheinen so viele Bücher wie über ihn. Zum 200. Geburtstag des ersten Reichskanzlers ist eine ganze Bücherflut herausgekommen. Das Spektrum der zwei Dutzend Veröffentlichungen reicht von den umfassenden Biografien von Christoph Nonn (C.H. Beck) oder Hans-Christof Kraus (Klett-Cotta) über Neubearbeitungen älterer Lebensbeschreibungen von Johannes Willms (dtv) oder Ernst Engelberg (Siedler, Tsp vom 25. 2.) bis zu Kuriosa wie der „Geschichte einer großen Liebe“ zwischen Bismarck und seiner Ehefrau Johanna von Puttkammer (Gabriele Hoffmann, Insel) oder den „besten Anekdoten über den Eisernen Kanzler“ (Beck).

Bismarck, der am 1. April 1815 in Schönhausen in der Altmark geboren wurde, mutet heute wie eine zutiefst vorgestrige Figur an, ein Reaktionär, der im dynastischen Denken der Welt vor 1789 steckengeblieben war. Trotzdem erleben Bismarcks Ideen gerade eine Renaissance. So bezieht sich die AfD bei ihrem Appeasement gegenüber Russland ausdrücklich auf den Reichsgründer und „Elemente seiner Rückversicherungspolitik“. Deutschland und die EU sollten ihre Politik nur „unter Wahrung der Empfindlichkeiten Russlands“ betreiben, rät der stellvertretende Bundessprecher Alexander Gauland. Auch Altkanzler Gerhard Schröder lobt im aktuellen „Spiegel“ Bismarck für seinen „Ausgleich mit Russland“. Allerdings sind derlei Analogien historisch schief. Zu Bismarcks Zeiten war eine Übereinkunft mit Russland für Deutschland überlebensnotwendig, weil Frankreich als „Erbfeind“ galt. Heute ist es ein Freund und Verbündeter.

Die Angst vorm "Eingekreistwerden" beherrschte sein Denken

Bismarck kannte den Begriff „Geopolitik“ noch nicht, er wurde erst 1899 vom schwedischen Staatsrechtler Rudolf Kjellén geprägt, ein Jahr nach dem Tod des Altkanzlers. Aber die Vorstellung, dass das politische Handeln eines Staates durch seine geografische Lage determiniert sei, hat Bismarck stets geleitet. Seine Außenpolitik kreiste um den Versuch, die Gefahren, die dem Deutschen Reich durch seine „Mittellage“ drohten, zu minimieren. Derartiges politisches Raumdenken schien durch die „Lebensraum“-Feldzüge der Nationalsozialisten endgültig diskreditiert zu sein. Doch jetzt ist es wieder da. Für Wladimir Putin ist die Annexion der Krim ein Versuch, die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“, den Zerfall der Sowjetunion, zu lindern.

Vor Kurzem hat der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler in der Zeitschrift „Tumult“ ein „geopolitisches Denken des 21. Jahrhunderts“ gefordert. Es müsse auf den Umsturz der alten räumlichen Ordnung im Schwarzmeerraum und am Kaukasus durch Umstürze und Krieg sowie im Nahen und Mittleren Osten durch den „Islamischen Staat“ neue Antworten finden. Schon Realpolitiker wie Henry Kissinger (ein Text von ihm ist vor Kurzem im Sammelband „Bismarck: Der Monolith“ im Osburg-Verlag erschienen) beriefen sich gerne auf Bismarcks „Tatsachen-Machiavellismus“, mit dem sich sogar ein Vietnam-Krieg begründen lässt.

Bismarck galt als schroff und cholerisch, bei Mitarbeitern war er wegen seiner Ausbrüche gefürchtet. Als ihn der britische Maler William Richmond 1887 bei einem Besuch in Friedrichsruh fragte, ob er wirklich ein „eiserner“ Kanzler sei, antwortete er: „Nein, meine Härte ist angelernt. Ich bin ganz Nerven, und zwar derart, dass Selbstbeherrschung die einzige Aufgabe meines Lebens ist.“ Männer dürfen keine Gefühle zeigen, sie müssen sich panzern gegen die Widrigkeiten der Welt – diese Lektion haben die Deutschen der Pickelhauben-Ära von ihrem Reichsgründer gelernt.

Am Dienstag, 31. März, hält Lothar Gall im Zeughauskino des DHM den Vortrag „Bismarck: Preuße, Deutscher, Europäer?“, 18 Uhr, Eintritt frei.

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