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Kultur: Blaue Stunde

Kriegskind, Supermodel, Kunstfigur: Vera Gräfin von Lehndorff eröffnet das Lesefestival

Von Gregor Dotzauer

Veruschka war ihre Erfindung. Vera Gräfin von Lehndorff aber ist ein Traum. Egal, ob man die Kunstfigur fassen will, die in den sechziger Jahren mit einer fiktiven osteuropäischen Vergangenheit als erstes deutsches Supermodel die internationale Modewelt eroberte oder die Frau, die sich nun ihrer wahren ostpreußischen Vergangenheit versichert hat („Veruschka“, DuMont Verlag, 400 Seiten, 24 Euro) - sie bleibt ein Geschöpf zwischen den Himmeln der Fiktion und den Gravitationskräften dieser Welt. Wer genau zur Eröffnung des messebegleitenden Lesefestivals Open Books am Dienstagabend im Frankfurter Schauspiel Auskunft gibt, lässt sich schwer entscheiden. Denn das Authentische und das Inszenierte gehen bei ihr eine Liaison ein, die sie im selben Maß befördert, wie sie sie zu durchschauen versucht.

Da sitzen 1,83 Meter dürre Eleganz auf dem Blauen Sofa. In einem dunklen Kaftan erinnert sich Vera von Lehndorff an den Vater, der 1944 – sie war gerade fünf Jahre alt – als Verschwörer aus dem Stauffenberg-Kreis hingerichtet wurde, an die Bomben, die wie Lametta aus den Wolken perlten, und wie sehr sie dieses Schauspiel als Kind bewunderte, nicht wissend, welche Schrecken damit verbunden waren. Das indigoblaue Kleid schimmert unter dem Bühnenlicht im tiefsten Nonnenschwarz, und weil zusätzlich zur Haube ein Visier ihr Gesicht verhüllt, reden lange nur die Partie unterhalb der Nase und die grazilen Hände.

Vera Lehndorff ist exhibitionistisch genug, sich als Wesen an der Grenze zur Totalverschleierung auszustellen. Und sie ist störrisch genug, selbst zu glauben, dass dies ein wirksamer Schutz gegen die Bilder sei, die ihr die Fotografen mal mit mehr, mal mit weniger Einverständnis entrissen hätten. Immer wieder , sagt Moderator Alf Mentzer, sei in ihrem Buch die Rede davon, wie sie in der äußersten Sichtbarkeit habe unsichtbar werden und verschwinden wollen: ein Paradoxon, das ihr Leben bestimmt hat.Vielleicht macht das aber auch die Würde dieser wachen und intelligenten Frau aus, die schon durch ihre weit hinten, in der Kehle ansetzende Stimme klarmacht: Hier bin ich direkt vor euren Augen, Lichtjahre von euch entfernt. Gregor Dotzauer

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