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Audrey Luna als bettlägrige Venus.

© Monika Rittershaus

Die Berliner Philharmoniker mit "Le Grand Macabre": Blitze aus dem Blech

Traum vom Weltuntergang: Simon Rattle dirigiert, Peter Sellars inszeniert in der Philharmonie die Oper „Le Grand Macabre“ von György Ligeti.

Mitten an diesem überwältigenden Abend mit György Ligetis „Le Grand Macabre“ in der Philharmonie denkt man auf einmal an die Weltpolitik. Nicht, weil das 1977 vollendete, 1996 revidierte Stück von einem halb irren, halb gewalttätigen Despoten handelt und den Zuständen im verkorksten „Breughelland“, jener Farce eines geordneten Staates „in keinem bestimmten Jahrhundert“, wie sie der flämische Dichter Michel de Ghelderodes einst ausgemalt hat. Auch nicht, weil die Inszenierung von Peter Sellars die Angst vor einem globalen Super-GAU zeigt: Im großen Saal stehen Giftmüllfässer unter Plastikplanen, streiten Wissenschaftler, kämpfen Sterbende im Krankenbett. Und was nicht auf die mit Pulten und Großinstrumenten bestellte philharmonische Bühne gepasst hat (Mondlandschaften, Anti-Atom-Demos, Pferde), das lässt der amerikanische Regisseur über Bildschirme laufen.

So oder ähnlich gefiel es Ligeti 1997 in Salzburg nicht. Damals hatte Sellars es schon einmal mit nuklearer Bildgebung versucht. In Berlin zeigt er am Ende eine schwarz-weiße Kuh, die mit dem Schwanz wedelt. Es kann eben doch alles gut werden, soll das bedeuten, der „Große Makabre“ hat den Weltuntergang ohnehin nur geträumt, schon Ligetis handfester Rat am Ende seiner einzigen Oper lautet, „fürchtet den Tod nicht, gute Leut’! / Irgendwann kommt er, doch nicht heut’!“ Ronnita Miller und Anna Prohaska singen diese Verse über einer langsamen Passacaglia ausgeruht, es sind die letzten Augenblicke an diesem Abend, sie sind sehr zärtlich und freundlich. An die weniger wunderbare Weltpolitik hat man zwischenzeitlich trotzdem denken müssen, aber nur deswegen, weil Donald Trump vor Monaten eine Diskussion über Teleprompter anzettelte.

Krächzend, spuckend, falsettierend

Denn während man den Sängerinnen und Sängern zuhört und ihrer Lust daran nachspürt, das eigene Stimmfach krächzend, spuckend, falsettierend immer wieder zu verlassen, während man ihrer „Marionettisierung“ (Ligeti) zusieht und ihrer unvorstellbaren Virtuosität gewahr wird, noch bei den verrücktesten Wortspielereien, die Ligeti und sein Librettist Michael Meschke sich ausgedacht haben („Kokorikökö! Kabrikama! Makrabe!“ – „Was für eine Krabbe?“) – da fragt man sich, wie so etwas überhaupt geht. Aus dem Gedächtnis. Rein gesangstechnisch.

Die Sopranistin Audrey Luna, in der Doppelrolle von Venus und Gepopo, windet sich nicht nur dermaßen gekonnt im Krankenbett, dass man darin sämtliche amerikanische Krankenhausserien wiederzuerkennen glaubt. Sie stirbt ihren Tod auch in so langen, fulminant ausgirlandierten Sopranhöhen, dass man den eigenen Ohren kaum trauen mag. Wie macht sie das nur, wie so lässig, mit so versteckter Ironie, wie hält sie bei alldem ihren Sopran in so jenseitigen Höhen? Ganz ähnlich Peter Hoare, der den Piet vom Fass singt, faucht und beißt und dennoch nie seinen Stimmsitz verliert. Oder der sängerisch fantastische Pavlo Hunka als Despot Nekrotzar, für das Widerwärtige dieser Figur immer ein wenig zu gutmütig.

Dann natürlich Prohaska und Miller in Liebesduetten mit anbetungswürdiger Parallelführung der Linien. Schließlich der Countertenor Anthony Roth Constanzo, der den nichtswürdigen Fürsten Go-Go singt – seine androgyne Gestalt ebenso wie sein wunderlich helles Timbre weisen ihn im Happening-Sturm der Partitur immer wieder als eine Art Kleinen Prinzen aus. Ihnen und allen anderen vom durchweg fabelhaften Gesangsensemble steht der Rundfunkchor unter Gijs Leenaars zur Seite, der auf bestürzende Weise zeigt, wie gepresst und wütend Singen klingen kann, wenn Partitur und Interpretation es nur wollen. Es ist mutig von Leenaars, das zuzulassen.

Keine Zeit für Mätzchen

Nicht weniger beeindruckt an diesem Abend die Leistung der Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle. Wie zeigt sich Modernität? Jedenfalls nicht nur daran, dass es eine Digital Concert Hall gibt oder einen Twitter-Account. Atomkrieg ist, wenn Bomben fallen. Und modern ist, wenn ein Orchester bei sich ist und seine herausragenden Fähigkeiten ganz in den Dienst einer Komposition stellt. Keine Zeit für Mätzchen, keine Zeit fürs Nicht-Empfinden. Stattdessen Fahrradhupen gleich anfangs, wie von György Ligeti vorgesehen. Schrille Blitze aus dem Blech. Ostinate Muster in den berüchtigt schönen Streicherfarben des Orchesters, irisierende Flächen, gewaltige Crescendi.

Neben, unter, über dieser Musik aber, die auch an die Zuhörenden hohe Anforderungen stellt, liegt ein so scharfer und kontrollierter Puls, wie ihn wohl nur Sir Simon Rattle setzen kann. Er behält alles im Blick, die Figuren in Krankenbetten und unter Konferenztischen, die Solobläser auf den Emporen, den Chor auf den Rängen, die Philharmoniker, die den Sängern zu Willen sind, ohne sich dabei aufzugeben. Er ist der eigentliche Ermöglicher dieses grandiosen Abends.

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