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Kultur: Bluechips und Blaumachen

Veränderung ist möglich: Im New Yorker Kunstsommer dominieren politische Themen

Im Raum steht etwas, das entfernt an einen Liegestuhl erinnert – nur dass er nicht aus Holz gefertigt wurde, sondern aus Neonröhren, die ihr giftig-blaues Licht verstrahlen. Daneben stehen die Namen der Menschen, die in Florida auf einem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden. Die Arbeit des chilenischen Installations-Künstlers Iván Navarro mit dem Titel „You Sit, You Die“ ist Teil einer Gruppenausstellung mit dem Titel „Bush League“ in der Galerie Roebling Hall in Brooklyn. Andere zeigen noch eindeutigeres Bush-Bashing, etwa Joan Lindner, die den Präsidenten, seinen Vize Dick Cheney oder Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice nur in Unterwäsche und verschämt in sich zusammengekrümmt malt.

Der New Yorker Kunstsommer ist politisch, keine Frage. Ende des Monats kommt der Parteitag der Republikaner in die Stadt, die traditionell eine Hochburg der Demokraten ist. Die Atmosphäre knistert, seit Wochen gibt es ein Tauziehen darum, wer wann wo demonstrieren darf – und vor allem: wie dicht am Veranstaltungsort. Es scheint so, als wolle die Kunst in der aufgeladenen Stimmung nicht zurückstehen.

Während sich Navarro und Kollegen in dem immer noch werdenden Szeneviertel Williamsburg tummeln, hat im Galerienbezirk Chelsea das auf Editionen spezialisierte Haus „Printed Matter“ die Arbeiten einer Klassikerin der Friedensbewegung wieder aufgelegt: Yoko Ono zeigt bis Ende nächsten Monats Poster, Postkarten, Buttons und Schriften, die von den Anfängen der Protestbewegung in den Sechzigern bis heute reichen. Einige Werke gibt es für wenig Geld zu kaufen: Das T-Shirt mit der Aufschrift „War Is Over If You Want It“ kostet 25 Dollar.

Auch die Museen ziehen mit. Die „New York Historical Society“ setzt sich mit den Materialien auseinander, die für einen Präsidentschaftswahlkampf unverzichtbar erscheinen wie Buttons, Poster, bedruckte Kaffeetassen und alle anderen denkbaren Produkte, die sich als Träger politischer Botschaften eignen. Das „Whitney Museum of American Art“ zeigt in den Ausstellung „Memorials of War“, den Versuch von Künstlern, die Eindrücke des Vietnamkriegs zu verarbeiten, die Gefühle einer Nation in einer Gedenkstätte zu kanalisieren. Thematisch ergänzt wird die Ausstellung Ende des Monats durch die Filmreihe „War! Protest in America, 1965–2004“.

Wer nun glaubt, diese New Yorker Kunstsaison sei vollständig von der politischen Situation bestimmt, liegt falsch. „Das ist nur eine Facette des breiten Spektrums“, sagt Milton Esterow, Chefredakteur und Herausgeber des Magazins „ARTnews“, „schließlich sind wir der größte Kunstmarkt der Welt, nachdem wir London in den meisten Feldern abgehängt haben“. Das Frühjahr hat den Auktionshäusern Sotheby’s und Christie’s Rekordeinnahmen beschert: 634,2 Millionen Dollar – eine Steigerung von 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das exzellente Angebot unter anderem mit raren Werken aus der Greentree Foundation der Whitney-Familie stieß auf eine neue, finanzstarke Käuferschicht.

„Es gibt im Augenblick mehr Leute mit einer unglaublichen Menge Geld als je zuvor“, sagt Esterow. Bestes Beispiel dafür sei Kenneth C. Griffin, den das Magazin in seiner neuesten Ausgabe als einen der Top-Ten-Kunstsammler in der Welt einstuft. Der 35-jährige Investmentbanker aus Chicago machte seine Millionen mit besonders riskanten Hedge-Fund-Geschäften und startete vor kurzem seine Kollektion von Impressionisten und Post-Impressionisten. Der Einfluss der neuen Kunden, die von der Wall Street in die Auktionshäuser strömen, sei beträchtlich, sagt auch Bill Fine, Präsident von artnet.com – und sie verändern den Markt: „Sie investieren nicht in zeitgenössische Kunst. Sie denken, es sei sicherer auf das zu setzen, was wir den horizontalen Markt nennen: Sie kaufen Werke von Leuten, die tot sind.“

Der Galerienszene in Chelsea, SoHo und auf der New Yorker Upper Eastside hat das bislang noch keinen Abbruch getan. Wer dieser Tage durch die Straßen südlich der Houston Street und dann weiter die Westside hinauf zwischen der zehnten und elften Avenue wandert, findet alle schnell wieder, die Rang und Namen haben: erfolgreiche Junggaleristen wie Leo König, den international vernetzten David Zwirner, die Megaseller Larry Gagosian und Matthew Marks. Annähernd 200 Ausstellungsräume drängen sich alleine zwischen der 14. und der 28. Straße und sie bieten, was gerade angesagt ist. Die Preise für John Currin, Tahaski Murakami und Marlene Dumas haben inzwischen schwindelerregende Höhen erreicht und teilweise die Millionen-Dollar-Grenze durchstoßen.

Rund um die 57. Straße und die Madison Avenue, der Upper Eastside also, tummeln sich traditionell die so genannten Blue-Chip-Galerien. Bei Marian Goodman läuft gerade „Reflecting the Mirror“, eine Gruppenausstellung mit Werken von John Baldessari, William Kentridge, Jeff Koons, Gabriel Orozco, Gerhard Richter und Franz West, die gute Kritiken erhält.

In Chelsea dagegen drängt neben den mittlerweile Alteingesessenen eine neue Generation ans Licht, die das „New York Magazine“ neulich zu den „New Dealers“ kürte. John Connelly etwa, der vor gut eineinhalb Jahren seine Galerie in der 26. Straße öffnete. Kaum größer als eine geräumige Toilette, verwandelt er sie mit jeder Show komplett – ob er sie nun mit den Werken von 75 weitgehend unbekannten Künstlern in ein „Teenage Rebel Bedroom“ umfunktioniert oder einen Tattoo-Künstler holt, der den ganzen Raum mit einer Kolibritapete verziert. Sein Kollege Daniel Reich begann gar in seinem winzigen Apartment in der 21. Straße, bevor er in seine neue Galerie zwei Straßen weiter nördlich zog, die er mit einer Show zu Nick Mauss’ und Shelby Hughes’ „mittelalterlichen Hippiezelten“ eröffnete.

Und daneben gibt es natürlich noch jene, denen Chelsea längst zu spießig geworden ist. Michele Maccarone etwa, einst Chefin bei Luhring Augustine, die nach Chinatown zog, in die Canal Street. „Die Sammler lieben es, dass unsere Eingangstür halb zerbrochen ist“, sagt sie, „früher habe ich Anzüge von Jil Sander getragen, jetzt sind es Hausfrauenkleider für zehn Dollar. In dieser Stadt gibt es Raum für viele verschiedene Ideen.“

Im Augenblick allerdings macht selbst New York ein Nickerchen. Die meisten Galerien zeigen Gruppenshows, die Chefs vergnügen sich auf einsamen Inseln, in Europa oder einfach in den Hamptons. Durch die Straßen in Chelsea mit den alten Lagerhäusern, wo zwischen Taxi-Werkstätten und Reifenhändlern die neuen Fensterfronten hervorstechen, schlendern Touristen. Bei Gagosian zeigen sie noch für ein paar Tage Ed Ruscha, bevor er für die Baselitz-Ausstellung Platz machen muss, die am 13. September beginnt. Matthew Marks bietet „Deliver Us from Evil“, eine überzeugende Show, die vom französischen Karikaturisten Honoré Daumier bis zum mexikanischen Tattoo-Künstler Dr. Lakra in die Jetztzeit reicht.

Fast an jeder Ecke in Chelsea wirbt ein neues Schild für Gewerberäume, die sich hervorragend für Galerien eigneten. „Die Preise haben auch in Chelsea angezogen“, sagt Fine, „aber keiner kann es sich mehr leisten, dort nicht vertreten zu sein“. Der Markt ist klar aufgeteilt: Dort tummelt sich die Avantgarde, die Blue Chips der Branche sind jenseits der 57. Straße zu finden – die Grassroot-Kunst an der Lower Eastside und in Williamsburg. „Eine neue große Umzugswelle sehe ich trotz der jüngsten Mietpreissteigerungen aber nicht“, sagt Fine, „nicht in den nächsten 15 Jahren.“

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