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Kultur: Blues aus der Wüste

Sonntag in Bamako: Das westafrikanische Duo Amadou und Mariam und sein großer Erfolg in Europa. Morgen spielen sie in Berlin

Sie sind nicht mehr die Jüngsten, stammen aus einem der ärmsten Länder der Welt und leiden unter der gleichen Behinderung. Dennoch haben sie erreicht, wovon viele afrikanische Musiker nur träumen können. Amadou und Mariam, das blinde Paar aus Mali, das am Sonntag in Berlin auftritt, hat Europa erobert. Mit einer CD, die an Lässigkeit und Eigenwilligkeit kaum zu überbieten ist. „Dimanche à Bamako“, Sonntag in Bamako, heißt ihr ursprünglich 2004 erschienenes Album, das sich seither etwa 500 000 Mal verkauft hat und nun auch in Europa zum erfolgreichsten Album einer afrikanischen Band geworden ist. In Frankreich schafften Amadou & Mariam es sogar auf Platz zwei der Pop-Charts und hängten Bands wie Coldplay oder James Blunt ab.

Herbert Grönemeyer engagierte die beiden im Sommer für seinen eher peinlichen WM-Hit „Zeit, dass sich was dreht“. Die Musik von Amadou & Mariam aber ist völlig frei von Anbiederungen an den Massengeschmack. Ungezwungen kombinieren sie Reggae und Blues mit treibenden westafrikanischen Rhythmen und französischen Texten. Monotone Melodien und minimalistische Refrains dominieren. Tablas, die afrikanische Trommel Djembe und Blasinstrumente machen Druck, dazu kommen Soundschnipsel mit Alltagsgeräuschen aus Afrika. Zu „Afrikas funkiest Band“ ernannte die englische Zeitung „Evening Standard“ Amadou & Mariam. Das internationale Veranstaltungsmagazin „Time Out“ erklärte „Dimanche à Bamako“ zum „Weltmusikalbum des Jahres“.

Auch als „afrikanischen Buena Vista Social Club“ hat man Amadou & Mariam in Anspielung an das kubanische Altmännerensemble schon bezeichnet. Der Vergleich passt insofern, als dass der Erfolg in beiden Fällen nur über namhafte Produzenten möglich wurde. Was der US-Musiker Ry Cooder für die Kubaner war, das ist der Dauerweltreisende Manu Chao für Amadou & Mariam. Der Franzose mit den spanischen Wurzeln hatte 1998 mit dem Album „Clandestino“ den Soundtrack zur Globalisierungskritik geliefert. Für „Dimanche à Bamako“ schrieb er rund die Hälfte der 15 Stücke. Er hat in fast allen Songs auch selbst gesungen, Gitarre gespielt und seine unverkennbaren elektronischen Klangtupferl untergebracht. Außerdem hat er das Album luftig und dynamisch produziert. Der Schlüssel zum Verständnis der hypnotisierenden Musik von Amadou & Mariam ist dennoch nicht bei Chao zu suchen, sondern liegt vielmehr in der wundersamen Liebesgeschichte der beiden heute über 50-Jährigen.

Es war 1961 in der malischen Hauptstadt Bamako, als die fünfjährige Mariam Doumbia an einer Rötelninfektion erkrankte. Die Krankheit blieb unbehandelt und Mariam verlor ihr Augenlicht. Sie saß dann die meiste Zeit vor dem Radio ihres Vaters. Die Nachbarn engagierten sie als Sängerin bei Familienfesten und Mariam wurde eine so genannte Preissängerin. Um die Blindenschrift zu erlernen, ging die 20-Jährige in das Institut für junge Blinde in Bamako.

Auch der zwei Jahre ältere Amadou Bagayoko wollte dort das Lesen lernen. 1977 liefen sich die beiden über den Weg. Amadou hatte da schon in der berühmten Hotelband Ambassadeurs du Motel de Bamako gespielt, deren Repertoire aus Jazzstandards und US-Soulhits bestand. Er lud Mariam ein, mit ihm zu singen. Und nachdem die Eltern die Zustimmung gegeben hatten (wie sollte ein blindes Paar in Afrika überleben?), heirateten die beiden 1980. Für ihren künstlerischen Ehrgeiz war Mali jedoch zu rückständig. Kein einziges Aufnahmestudio gab es in dem Wüstenland.

Amadou und Mariam gingen nach Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste und Musikmetropole Afrikas. Dort nahmen sie fünf Kassetten auf, die sie, immer weiter raubkopiert, zu Stars in Westafrika machten. Als „das blinde Paar aus Mali“ kennt man sie dort bis heute. Doch ihr großes Ziel lautete – wie für die meisten westafrikanischen Musiker: Paris. 1995 wagten Amadou und Mariam den Schritt. Drei Alben nahmen sie dort auf, bis – so will es die Legende – Manu Chao eines Tages in einem Taxi saß und ihr Song „Je t’aime mon amour, ma chérie“im Radio lief. Ein Jahr lang soll er täglich den zärtlichen Blues gehört haben. Schließlich machte er das Paar ausfindig. Herauskam „Dimanche à Bamako“.

Im vielleicht schönsten Song des Albums, „M’bife“ singt Mariam mit einer Stimme, die an ein frühreifes Mädchen erinnert: „Lass mich nicht allein, bleib bei mir, verletze mich nicht, mach mir keine Probleme, umarme mich, ich liebe dich.“ Auf der Bühne sucht sie mit einer Hand den Kopf von Amadou und streichelt etwas unbeholfen darüber. Währenddessen schüttelt Amadou Blues-Soli aus seiner Gitarre und wirkt wie John Lee Hooker in einem bunten afrikanischen Kleid. Am Telefon nennt er Stevie Wonder, Ray Charles, Jimi Hendrix und James Brown als seine Vorbilder.

Angesprochen auf die Inhalte seiner Songs, die sich auch mit afrikanischen Flüchtlingen oder korrupten Politikern beschäftigen, antwortet Amadou zurückhaltend. Wenn man ihn jedoch nach den Sonntagen in Bamako fragt, beginnt er zu erzählen. Es sei der Tag der Hochzeiten in Mali. Die Frauen stünden schon um sechs Uhr auf, um sich zu schminken. Es werde gefeiert und gegessen. Natürlich sei es auch der Tag der Musiker. Denn so eine Verbindung fürs Leben ohne Liveband, das sei einfach unvorstellbar.

Amadou & Mariam spielen am 12. November, 21 Uhr, im Columbia Club.

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