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Kultur: Blüte in Arkadien

Spektakulär geglückt: Gottfried Böhms Neubau des Hans-Otto-Theaters am Potsdamer Havelufer

Das milde Spätsommerwetter möge anhalten, wenn am kommenden Wochenende der Neubau des Potsdamer HansOtto-Theaters eröffnet wird. Dann nämlich können die Festgäste mit dem Schiff anreisen und das neueste Schmuckstück des preußischen Arkadiens bereits aus der Ferne aufwachsen sehen, mit seinen wie eine sich öffnende Blüte dreifach gestaffelten knallroten Dächern.

Was sich Potsdam – und mit seiner Hauptstadt auch das Land Brandenburg – da für einen Zauberbau leistet, wird ins benachbarte Berlin ausstrahlen, und das nicht nur optisch. Denn der in Beton gegossene Ehrgeiz von Kommune und Land hat mit dem Intendanten Uwe Eric Laufenberg offensichtlich genau den Matador gefunden, das Haus auch zum vollen Leben zu erwecken. Dass der Prinzipal die sich kulturell unterversorgt fühlenden Bürger der südwestlichen Berliner Wohlstandsvororte im Blick hat, bewies er bereits mit seinem Programm „Potsdam unterwegs“, das in den beiden vergangenen Spielzeiten etliche Berliner an überraschende Spielorte Potsdams lockte. Nun hat Laufenberg gleich fünf Premieren an einem einzigen Wochenende angesetzt, zwei von ihm selbst inszeniert; dazu ein umfangreiches Rahmenprogramm, auf dass alle, alle zu ihrem Vergnügen finden mögen.

Nicht zuletzt ist es die Volllastprobe für das Haus selber. Gottfried Böhm, der 86-jährige Senior der Kölner Architektendynastie, hat es entworfen, sein jüngster Sohn Paul, Jahrgang 1959, führte es gemeinsam mit ihm aus. Der Wettbewerb von 1995 galt dem Standort Schiffbauergasse am Rande der Berliner Vorstadt, einer Militär- und Industriebrache, die Anfang der neunziger Jahre Künstler und Lebenskünstler anlockte. Dann befiel die Stadt wie bei manch ihrer Angelegenheiten Kleinmut, und der Standort wurde auf das Domizil des ewigen Theaterprovisoriums in der Zimmerstraße verlegt. Irgendwann vor Baubeginn, so die Legende, habe der damalige OB Platzeck nochmals das Areal am Havelufer besichtigt – und den Fehler korrigiert.

Was für ein Segen! Denn am Ufer gilt es nun ein architektonisches Meisterwerk zu bestaunen, das eine geradezu barocke Freude an der Überraschung des Besuchers zeigt. Denn von der Straßenseite her heißt es eine Parkplatzbrache mit wild in der Gegend herumstehenden Gebäuden zu durchstolpern, um auf nichts weiter als das gusseiserne Rund eines einstigen Gasometers zu treffen. Von diesem Metallkreis – er nimmt die Anlieferung des Theaters direkt an der Hinterbühne auf – zweigen links und rechts gleichförmige, fünfgeschossige Bürotrakte ab. Theater? Nichts dergleichen ist zu sehen oder auch nur zu erahnen.

Der Eingang duckt sich linker Hand, reichlich versteckt, in die Lücke zwischen dem Büroneubau und einer neuromanischen Villa des 19. Jahrhunderts, die wie das Gasometerrund als Denkmal zu berücksichtigen war. Diese Eingangssituation, mit der der Architekt wohl seinem Unmut über den Denkmalschutz freien Lauf ließ, ist nicht ganz geglückt, doch schon stimmt das geschwungene Vordach auf Kommendes ein. Der Kassenraum ist niedrig, der anschließende, schlauchartrig gestreckte Gang kaum minder. Rot glüht die unverputzte, lediglich gestrichene Sichtbetondecke, schwarz schluckt der Boden der seitlichen Garderobe alle Schritte. Der Handlauf ist – eine schlichte Eisenbahnschiene.

Doch dann: das Hauptfoyer. Ein herrliches Panorama auf die hier zum Tiefen See geweitete Havel und den gegenüberliegenden Schlosspark Babelsberg entfaltet sich; gerahmt von einer ausladenden Pappel zur Linken und beschirmt von unglaublich dünnem Beton. Die geschwungenen Dächer wiederum sieht, wer nach draußen tritt und die drei Terrassenabsätze zum Ufer hinunterschreitet. Das ist kein Theater zum Hineinhasten gerade noch zur Vorstellungsklingel, das ist ein Bau zum Ankommen, Verweilen, Umrunden; kurz: zum sinnlichen Genuss.

Und noch dazu ein Bau der kurzen Wege: Der Zugang schmiegt sich zugleich an den Zuschauerraum, der der Havel den Rücken zukehrt. Auf versenkbaren Hubpodien steigen die Stuhlreihen an, die maximal 485 Zuschauern Platz bieten, aber auf jede denkbare Zwischengröße hin verändert werden können. Wie auch die Bühne, die einen verdeckbaren Orchestergraben vor sich hat, mit Drehscheibe und aller sonstigen Technik prunkt, auf dass die angestrebte Multifunktionalität von Schauspiel, Oper und Was-auch-immer gelingen möge. „Für mich das ideale Theater“, befindet Laufenberg. Punktum.

26 Millionen Euro waren als Kostenrahmen unverrückbar vorgegeben – Böhm hat ihn eingehalten, ungeachtet der zweimaligen Umplanung. Dabei ging allerdings der ursprünglich vorgesehene Zuschauerrang verloren, an dessen Stelle jetzt zwei Beleuchtungsbrücken die gläserne Front zum Wasser hin gliedern. In Japan hat Gottfried Böhm die Anregung für die dreifach gestaffelte Dachform erhalten, sie dort auch bei einem bislang unausgeführten Konzertsaal aufgegriffen. „Das sind Palmwedel oder auch Hände, die das gläserne Nest der Kunst beschützen – so ähnlich hat Böhm das auch gesagt“, übersetzt Laufenberg die Architektur in Poesie. Mit dem Architekten konnte er gut, Kölner, der er selber ist, so dass bereits „vom kölschen Klüngel“ die Rede war. Nein, das Theater hätten nicht alle Politiker haben wollen, doch „das ,Wir-brauchen-das-nicht‘ will jetzt keiner mehr gesagt haben“, freut sich der energiesprühende Intendant des Jahrgangs 1960 über den Lauf der Dinge.

Der seit seiner Gymnasialzeit in Köln ansässige Gottfried Böhm, Sohn des hochbedeutenden Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm und Vater von drei ebenfalls bereits namhaften Architekten-Söhnen, ist einer der renommiertesten deutschen Architekten – der einzige, der 1986 den als „Nobelpreis der Architektur“ gehandelten Pritzker-Preis zuerkannt bekam. Berühmt geworden ist er mit seinen skulpturalen Betonburgen wie dem Rathaus von Bensberg und der Wallfahrtskirche in Neviges, beides Entwürfe der frühen sechziger Jahre. In Berlin hat Böhm einen Viertelkreis des Prager Platzes bebaut, ein nach immensen Verwaltungshürden verwirklichtes IBA-Projekt, und später, 1995, einem Textilkaufhaus an der Tauentzienstraße gläserne Schürzen wie glitzernde Wasserfälle verpasst.

Mit dem Potsdamer Theater gelingt ihm eine Synthese aus der Zweckmäßigkeit mancher seiner späteren Verwaltungsbauten und dem expressiven Formwillen seiner Lebensmitte. Doch im Gegensatz zur einstigen Kantigkeit ist das Zuschauerraum und Foyer überwölbende Dach von heiterer Beschwingtheit. Mit einer eingeschnittenen Rundung nimmt es die Fülle des prachtvollen Baumes zur Linken des Glasfoyers auf. Ebenso schwingt der Zuschauerraum unter seinem roten Dach. Die aufwändige Lichttechnik ist perfekt integriert, nicht vermittels der üblichen Stahlgerüste, sondern auf plastisch geformten Betonbrüstungen angeordnet. Man ist begierig, die Wirkung dieses bergenden Rundes auf die Zuschauer zu erleben und denkt gar an Rudolf Steiners „Goetheanum“.

Nun, goetheanisch grundierte Weihespiele wird Laufenberg hier nicht veranstalten. Aber ein Festhaus hat er gleichwohl bekommen. Die Unesco, die wegen des Welterbestatus von Potsdams Schlösser- und Gärtenlandschaft beim Standort Zimmerstraße Bedenken anmeldete, hat dem Havelufer ihren Segen erteilt. Die Harmonie von Altem und Neuem ist an dieser Stelle des Potsdamer Traumreiches gelungen. Die Voraussetzung: Ein so kraftvoller Baumeister wie Gottfried Böhm ist am Werk.

Weiteres zum Eröffnungsprogramm 22.–24. 9. unter: www.hansottotheater.de

Gottfried Böhm , geb. 1920, lebt in Köln-Marienburg. 1946 Architektur-Diplom. 1968 Mitglied der Berliner Akademie der Künste, 1975 Großer Preis des BDA,

1986 Pritzker-Preis

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