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Mitten im Parklife. Graham Coxon, Damon Albarn, Alex James und Dave Rowntree sind Blur.

© warner

Blurs Album "The Magic Whip": Melancholie für Metropolen

Comeback nach zwölf Jahren, mit Raumfahrern und Sanddünen: Blur und ihr gelungenes Album „The Magic Whip“.

Damon Albarn kennt und schätzt man als einen Popmusiker, der ganz der Gegenwart verpflichtet ist. Ob bei seiner virtuellen Band Gorillaz, dieser Comic-Pop-und Spaßgruppe, ob mit Projekten, die sich an den verschiedensten Genres bis hin zu Dub oder Afrobeat versucht haben, Bands wie The Good, The Bad and The Queen oder Rocket Juice & The Moon, wo Albarn mit so unterschiedlichen Musikern wie Tony Allen, Paul Simonon, Simon Tong, Erykah Badu oder Flea zusammenarbeitete – immer vermittelte der 1968 in London geborene Albarn den Eindruck, dass er beweglich und kreativ ist, dass er gern Neues ausprobiert, dass er weiterwill. Und ihm insbesondere nichts ferner liegt, als sich der guten alten Zeiten zu erinnern, der neunziger Jahre, in denen er berühmt und zu einem Popstar wurde. Mit drei Schul- und Kunsthochschulfreunden und der Band Blur mischte er den britischen Pop auf und führte ihn zu neuer Blüte, mit Alben wie „Parklife“ oder „The Great Escape“. Was im Übrigen seinerzeit schon weitestgehend nostalgiefrei war, und gegen Beatles-, XTC- oder Bolan-Partikel hat ja auch heute niemand etwas einzuwenden.

Damon Albarn, dachte man, sei immun gegen den Retro-Virus, würde nie an der Comeback-Manie erkranken, selbst wenn es in den vergangenen Jahren immer mal wieder Blur-Auftritte gegeben hatte, allerdings nur vereinzelte, unter anderem ein Konzert im Rahmen der Olympischen Spiele 2012 in London, aber auch 2013 beim Berlin Festival, dem letzten auf dem Tempelhofer Feld. Auch von neuen Songs war die Rede, von einem neuen Album, dem ersten nach dem Blur-Split-Album „Think Tank“ von 2003, auf dem Gitarrist Graham Coxon nur noch an den Vorbereitungssessions mitgewirkt hatte, von der Beilegung alter Streitigkeiten, von gemeinsamen Studiobesuchen, aus denen zunächst eine Single mit dem Titel „Under The Westway“ resultierte, mit zwei allerdings eher schwachen Songs.

"The Magic Whip" mutet überraschend wenig retro an und ist gar nicht mal so betont britisch

Jedenfalls wäre Albarn in der Popwelt vermutlich nicht weniger geschätzt worden, wenn es nie ein Blur-Comeback-Album gegeben hätte. Aber Pustekuchen und egal: Denn dieses ist jetzt doch von ihm, Graham Coxon, Bassist Alex James und Schlagzeuger Dave Rowntree eingespielt und von Stephen Street produziert worden. „The Magic Whip“ heißt das Album, es erscheint am kommenden Freitag. Bei aller Skepsis, die es im Vorfeld der Veröffentlichung gegeben hat, von wegen Retromania, jetzt auch noch Blur etc., aber auch wegen der schlappen, vorab veröffentlichten, an alte Blur-Gassenhauer gemahnenden Single „Go Out“, lässt sich jetzt nur noch sagen: „The Magic Whip“ ist verblüffend gut, schon jetzt eines der besten Alben in diesem Jahr, ja, fast ein Meisterwerk.

Das Album ist selbstredend sofort erkennbar als ein Blur-Album, was aber mehr an Albarns näselndem Lennon-Gesang liegt als an Graham Coxons Gitarre. Es mutet aber trotzdem überraschend wenig retro an und ist gar nicht mal so betont britisch, wofür Blur gerade in ihrer Frühphase einstanden mit ihren Vorortsinfonien: Nein, dieses Album klingt vielmehr modern zeitlos, so, als schwebten Blur auf einmal leicht und locker über allem aktuellen Pop-Gewese, als sei Brit-Pop wirklich nur ein Label gewesen.

Erstaunlich ist das auch deshalb, weil „The Magic Whip“ eben von einer Band kommt, genau: einer Band mit klassischem Rock-Line-up. Wenn man sich so umsieht und so umhört, sind solche Pop- oder Rockformate gerade nicht mehr der allerletzte Schrei, hat das gute alte Bandmodell doch ziemlich ausgedient. Es sind primär Solo-Künstler, Paare in welcher geschlechtlichen Zusammensetzung auch immer oder lose Musikerkollektive (siehe Damon Albarns Band-Projekte), die den Pop im letzten Jahrzehnt erneuert haben und für die Musik zurzeit sorgen. Wobei „The Magic Whip“ tatsächlich in weiten Teilen wie der viel bessere Nachfolger von Damon Albarns Soloalbum „Everyday Robots“ aus dem vergangenen Jahr klingt, einem Werk, das mit doch etwas zu vielen ruhigen, zu vielen introvertierten, zu vielen gebrochenen Songs aufgewartet hat.

Die Songs sind zurückhaltend instrumentiert, wirken aber trotzdem reich und spielerisch wirken

Das vor allem Damon-Albarn-Hafte und weniger Graham-Coxon-Hafte mag zudem an den Etappen liegen, während derer dieses Blur-Album entstanden ist. Losgegangen sein soll es in Hongkong, wo sich Blur nach einem ausgefallenen Festivalauftritt kurzerhand für ein paar Tage ein Studio mieteten. Dabei entstanden Aufnahmen, an denen zuerst Graham Coxon und Stephen Street intensiv weiterarbeiteten, die Albarn aber für eine Veröffentlichung unzureichend erschienen. Coxon und Street blieben dran, auch an Damon Albarn, und dieser fuhr schließlich ein weiteres Mal nach Hongkong, um die Stimmung der ersten Aufnahmen einzufangen und die Lyrics für die Songs zu schreiben. Es ist jetzt eine mal luftige, mal verwehte, aber immer passionierte Melancholie, die sich durch viele der Songs zieht. Vielleicht verdankt diese sich der Isoliertheit, die Albarn bei seinem zweiten Hongkong-Aufenthalt empfunden haben mag, mit Referenzen an eine „Kowloon Emptiness“, an „junk-boat phantoms“, mit Gedanken daran, sich wie ein „spaceman“ zu fühlen, „digging out my heart in some distant sand dune“, mit ein bisschen Globalisierungs- und Konsumkritik.

Das Maximum dieser Melancholie wird in dem schönsten, wehmütigsten Stück des Albums erreicht, in „There Are Too Many Of Us“; am unangebrachtesten ist sie womöglich in dem kryptischen Song „Pyongyang“. In ersterem Stück geht es um Sterblichkeit, Humanismus und Überbevölkerung. Albarn singt: „There are too many of us, in tiny houses here and there, all looking through the windows on everything we share“. Und in „Pyongyang“ liefert er einen traurigen Abgesang auf Nordkoreas Hauptstadt mit seinen „mausoleums ... and public avenues“, aus welchem Grund immer.

Das Schöne an diesen Songs ist, dass sie zurückhaltend instrumentiert sind, aber trotzdem reich und spielerisch wirken. Mal klingelt es hier, dann brummt und krabbelt und jault es dort, mal glaubt man, eine staubig-kratzende Westerngitarre zu hören, im Schlussstück „Mirrorball“, mal ein Xylofon, das für den entscheidenden Beat in „Thought I Was A Spaceman“ sorgt.

Zumal es doch ein paar Zugeständnisse an früher gibt und Erinnerungen an die Rummelplatz-und-Hunderennen-Atmosphäre von „Parklife“ und „The Great Escape“ aufkommen: eben mit dem stampfenden „Go Out“, der ersten Single, die mit jedem Hören doch besser wird (und vielleicht bald am Millerntor beim FC St. Pauli den Torgassenhauer „Song 2“ ersetzen wird); mit „I Broadcast“, das genauso quietschvergnügt wie krawallig und hypernervös rüberkommt; und mit dem schunkeligen „Ong Ong“ und seinen vielen Lalalalalas. Doch, die Blur des Jahres 2015 gehen sorgsam mit ihrem Erbe um. Dazu waren sie in ihrer experimentellen Spätphase um das Jahr 2000 herum, auf den Alben „13“ und „Think Tank“, als insbesondere Graham Coxon und Damon Albarn völlig unterschiedliche Vorstellungen hatten, wohin die Reise gehen soll, naturgemäß noch nicht in der Lage. „The Magic Whip“ hat da etwas von einem missing link, es verbindet das frühe Ungestüm mit einer Reife, auf die sich, wie es scheint, alle Bandmitglieder verbindlich geeinigt haben. Die Illusion von Jugendlichkeit im Alter ist endgültig passé.

Ob Blur sich damit noch einmal ein neues und vor allem junges Publikum erschließen können, sei allerdings dahingestellt. Dafür klingen die neuen Songs vielleicht eine Idee zu reif, auch die energischer bollernden, nach Erwachsenen- Pop, nach einer Musik, die sich in ihr eigenes Recht setzt, aber keinen Einfluss auf nachfolgende Generationen mehr hat. Klassik-Pop gewissermaßen. Und deshalb – und auch, weil die Geburt dieses Albums schwer war – dürfte nicht damit zu rechnen sein, dass Blur nun wieder im steten Zwei-Jahres-Rhythmus Alben veröffentlichen und auf Tour gehen. So etwas Großartiges wie „The Magic Whip“ produziert man nur alle Jubeljahre.

„The Magic Whip“ von Blur erscheint am Freitag bei Parlaphone/Warner

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