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Kultur: Blutlachen und Kohlköpfe

Sport ist Theater: Finale der Improvisations-WM in Berlin

„Mehr guten Sport“ forderte Bertolt Brecht schon 1926 für das Theater. Achtzig Jahre später wird im Theater am Kurfürstendamm der erste Weltmeister des Theatersports gekürt. Zwei Mannschaften, ein Moderator, ein Musiker und ein Schiedsrichter stehen auf der Bühne, davor sitzen hunderte Regisseure. Denn die Zuschauer bestimmen, was auf dem „Spielfeld“ geschieht. Wenn jemand das Endspiel der Fußball-WM als tragische Oper sehen will, so muss er es nur sagen. Vielleicht wird es auch eine Romanze oder ein Zahnarztbesuch. Was letztlich gespielt wird, weiß niemand, nicht einmal die Darsteller. Theatersport ist Theater in der archaischen Form, der Tradition von Stegreif und commedia dell’ arte. Alles ist improvisiert, jede Szene originär und einzigartig. Es gibt kaum Absprachen und keine Proben, weder Kostüme noch Kulissen. Die Schauspieler sehen sich an, das Publikum gibt den Countdown: „Five, four, three, two, one, go!“

Seit zehn Tagen kämpfen 16 Nationen in 55 Spielen um die Gunst des Publikums, das per farbiger Stimmkarte den jeweiligen Sieger des Abends wählt. Neuseeland war dabei, Russland, Japan oder Marokko. An 19 Spielorten zwischen Bremen und München wurde geraten, geküsst, erzählt und gesungen, bis die Lachmuskeln schmerzten.

Helena Lindegren vom schwedischen Team mutierte zum Fußballerzombie namens Oliverkaballack, die Kolumbianerin Maria Herrera bekam gleich fünf Kinder, und Thorsten Brand, Leiter der Improvisationsgruppe „Steife Briese“ in Hamburg, musste sämtliche Requisiten der Gegnermannschaft darstellen – von der Heckenschere bis zur Blutlache.

Spielsprache bei dieser ersten Weltmeisterschaft ist Englisch – ein Vorteil für die kanadischen Favoriten. Kanada ist das Geburtsland des Theatersports. 1977 gründete der Engländer Keith Johnstone hier die „Loose Moose Theatre Company“, die Urgroßmutter aller Improvisationstheatergruppen. Wrestling-Veranstaltungen inspirierten Johnstone schon in den 1960er Jahren, den Wettkampf auf das Theater zu übertragen. Ursprünglich wollte der Regisseur und Schauspiellehrer nur seine Spieler auflockern. Später wurde das Publikum einbezogen, eine Idee, die schon im „epischen Theater“ Brechts angelegt war. Johnstone wollte spontane Schauspieler statt fester Rollen auf den Brettern, ekstatische Zuschauer statt passiver Konsumenten. Das Nationalteam rekrutiert sich aus drei ehemaligen Loose-Moose-Mitgliedern, die mit Witz auch abwegigste Geschichten zu Ende bringen. Ähnliche Entertainer sind die Mannschaften aus Belgien und Österreich.

Überraschungsfavoriten sind die Kolumbianer. Bei ihrer Deutschlandpremiere begeistern die drei durch tänzerische Akrobatik, ähnlich dem Capoeira. Ständige Rollenwechsel treiben das Spiel ins Absurde: Da wird das entführte Kleinkind mangels viertem Spieler zum Entführer und mutiert zum Lehnstuhl, als ein Polizist sich setzen will.Theatersport ist das Spiel der begrenzten Möglichkeiten. Es gibt feste Regeln: Ein Blumenstrauß kann nicht plötzlich zum Kohlkopf werden, und eine abgeschlossene Tür löst sich nicht in Luft auf, solange die Szene konstant bleibt.

Die Handlung ist offen. Das Einzige, was auf keinen Fall entstehen darf, ist Langeweile. Als das Bollywood-Liebesdrama der Mannschaft aus Simbabwe am ersten Spieltag in hüftwackelndem Seufzen stagniert, zieht der Schiedsrichter rigoros einen Punkt wegen „Fouls durch Verschleppung“ ab. Ein Verfahren, dass man sich bei der Fußball-WM auch manchmal gewünscht hätte. Anders als beim Fußball stehen bei der Theatersport-WM nicht Kampf und Sieg im Vordergrund. „Eigentore“ werden belohnt. Am Ende jedes Matches vergibt das Publikum einen „Assist-Punkt“ für die netteste Hilfeleistung. Theatersport ist Spiel ohne Bildungsauftrag: ein vermutlicher Kritikpunkt für den Boxfan und Erzieher Brecht, für den Unterhaltung immer nur Vehikel war.

Improvisationstheater hat sich in den letzten zwanzig Jahren vom Geheimtipp zum Phänomen entwickelt. War das Dortmunder „Emscherblut“ 1988 das erste und lange einzige deutsche Improtheater, gibt es heute allein in Berlin 15 freie Theatersportgruppen. In Kanada und den USA wird Theatersport als Schulfach angeboten. Die „canadian improv games“ bringen jährlich allein 25000 junge Spieler zusammen. Dimensionen, die den Aufwand einer Weltmeisterschaft rechtfertigen.

www.theatersport-wm.de. Finale heute 20 Uhr, Theater am Kurfürstendamm

Lea Streisand

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