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Kultur: Bollwerk Unesco

Ein

von Bernhard Schulz

Viel Gelegenheit zum beschaulichen Feiern bleibt nicht. Wenn die Unesco, die UnoOrganisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, am heutigen Dienstag ihren 60. Geburtstag begeht, steht sie mitten im Streit. Das bei der gestern in Paris begonnenen 33. Generalkonferenz zur Verabschiedung anstehende „Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ reibt sich aufs Entschiedenste mit der globalen Freisetzung aller Marktkräfte. Gestützt auf das 1995 geschlossene Dienstleistungsabkommen Gats haben die Marktverfechter, an ihrer Spitze die USA, die Kultur ins Visier genommen – und wollen das, was sie als Subventionen brandmarken, als marktwidrig untersagen.

Doch der Durchmarsch zur unbeschränkten Marktherrschaft – und damit zum Ende der staatsgeförderten Kultur – wird zum Glück nicht stattfinden. In zäher Diplomatie haben Frankreich, das die exception culturelle, die „Ausnahme für Kultur“ früh auf seine Fahnen geschrieben hatte, doch auch Deutschland im Vorfeld eine respektable Mehrheit für die Unesco-Konvention geschmiedet.

Von der „Ausnahme“ ist nicht mehr die Rede, vielmehr von der „kulturellen Vielfalt“, die es zu wahren gilt. Das Ziel ist dasselbe. Die Folgen der schematischen Übertragung der Welthandels-Richtlinien auf Kultur und Medien können in ihrer Dramatik kaum überschätzt werden. Die Vielfalt kultureller Äußerungen ist die Grundlage der Identität von Gesellschaften, von Ländern, Regionen, Ethnien, wie immer man sie fassen mag. Diese Vielfalt zur Disposition zu stellen, würde eine verheerende Nivellierung nach sich ziehen – und nebenbei alle Bemühungen der Unesco, etwa um die Bewahrung des Weltkulturerbes, schlagartig zunichte machen.

Hinter der Forderung nach dem Totalrückzug des Staates aus der Kulturfinanzierung stecken mächtige Interessen, voran die der US-Medienindustrie. Wo die Förderung einer heimischen Film- und Fernsehproduktion entfällt, findet die Übermacht Hollywoods offene Tore vor. Wo Oper, Orchester ebenso wie Kunst und Kunsthandel oder die Buchproduktion sich selbst überlassen werden, spielen globale Veranstalter, Auktionshäuser und Verlagsriesen ihre Macht aus. Wo öffentliche Zuschüsse als Subvention unterbunden werden, statt als Ermöglichung der heimischen Kultur respektiert zu werden, wird es diese Kultur nicht mehr geben – schon gar nicht in den minder ausgestatteten Ländern der Dritten Welt.

Kulturelle Vielfalt nicht als Relikt vorglobaler Zeiten, sondern als gemeinsamen Reichtum zu begreifen, ist der moralische Ausgangspunkt des Unesco-Abkommens. Dafür plädiert die Mehrheit der 191 Mitgliedsstaaten der Unesco – ungeachtet der Aussicht, dass die USA das Abkommen nicht ratifizieren werden.

Aber es geht durchaus nicht allein um eine handelspolitische Frontstellung. Denn das Unesco-Übereinkommen wirkt ebenso nach innen. Gewiss können sich Kulturinstitutionen auch bei uns nicht aufs bequeme Hand-Aufhalten beschränken. Doch gewinnt der Staat, gewinnen Bund, Länder und Gemeinden eine übergreifende Legitimation – wie umgekehrt die Verpflichtung! – zum Schutz der unter reinen Marktmechanismen nicht lebensfähigen Kultur. Und das wiederum ist durchaus nicht die alleinige exception. Denn für Bildung und Wissenschaft gilt diese Ausnahme von der Gats- Doktrin ebenso – und das unter voller Zustimmung der USA. Das Tätigkeitsfeld der Unesco umfasst etwas fundamental anderes als den Austausch gewöhnlicher Waren und Dienstleistungen. Vive la différence!, wussten die Franzosen schon immer. Jetzt unterstreicht es die Gemeinschaft der 191 Mitgliedsstaaten. Sie besitzen in der Unesco ein Instrument, dessen Bedeutung in der entfesselten (Markt-) Welt nur noch zunehmen wird.

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