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Kultur: Boulevard der Dämmerung

„Max Slevogt – die Berliner Jahre“: Der deutsche Impressionist kehrt ans Brandenburger Tor zurück

Es war das letzte Friedensjahr. Das alte Europa stand in voller Blüte, der Krieg schien weiter weg als in den Jahren zuvor. 1913 feierte Kaiser Wilhelm II. sein 25-jähriges Regierungsjubiläum, zwar mit einer Militärparade Unter den Linden, aber doch als farbenfrohes Fest.

So jedenfalls hat es Max Slevogt (1868 –1932) gesehen – und in seinem eher kleinformatigen Gemälde als Hommage an die französischen Vorbilder Edouard Manet und Claude Monet gestaltet, den Wegbereiter und den Mitbegründer des Impressionismus. Welche Ironie! Ausgerechnet die Kunst des „Erbfeindes“ als Maß für die Darstellung einer der höchsten Feierlichkeiten, in denen sich das Kaiserreich präsentierte.

Es ist freilich eine arg verspätete Hommage, entstanden doch die Vorbilder der beiden Franzosen zeitgleich bereits 1878 – zum Pariser „Fest des Friedens“. Aber auch ein anderes Vorgängerbild mag Slevogt vor Augen gestanden haben: Adolph Menzels „Abreise König Wilhelms I. zur Armee“ von 1870, das gleichfalls den beflaggten Linden-Boulevard zeigt. Menzel, der Zeitgenosse der Impressionisten, blieb detailversessener Realist – wenn auch mit Hintergedanken, rückte er doch den Turm des Berliner Rathauses bedeutungsvoll in den Fluchtpunkt des Bildes. Slevogt, der – vielleicht nicht zufällig – nahezu denselben Standpunkt unweit des Pariser Platzes einnahm, holte betont beiläufig die Reklametafel des „Passage-Theaters“ kurz vor der Ecke Friedrichstraße ins Bild.

Es ist einmal mehr eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die die Ausstellung „Max Slevogt – die Berliner Jahre“ mit ihren mehr als 80 Gemälden anklingen lässt. Die Stiftung Brandenburger Tor zeigt sie von heute an in ihrem Max-Liebermann-Haus, das, wenngleich nicht das authentische Gebäude, doch den historischen Ort markiert, an dem Slevogts Berliner Jahre beginnen. Denn Liebermann als Präsident der gerade abgespaltenen „Secession“ war es, der den zwanzig Jahre jüngeren Slevogt 1899 aus München, wo dessen „Danae“ Skandal erregt hatte, an die Spree holte. Nicht allein Liebermann: Der Verleger Bruno Cassirer – Vetter des Kunsthändlers und „Secessions“-Sekretärs Paul Cassirer – lockte Slevogt mit Verweis auf den Erfolg des „Concurrenten Corinth“: „Wenn Sie nicht bald kommen, hat er alle reichen Leute abgemalt und für Sie bleibt nichts übrig.“

Es blieb dann doch genug übrig. Die 14 Jahre, die Slevogt ab 1901 in Berlin lebte, wurden seine fruchtbarste Zeit und führten ihn auf den Gipfel seiner Laufbahn. Nach Berlin komme man, „um Carrière zu machen“, hatte Fontane einmal bemerkt; für Slevogt trifft es zu. Auch später, nachdem er sich 1915 auf sein im Jahr zuvor erworbenes Landgut in die Pfalz zurückgezogen hatte, kam Slevogt oft zurück, wurde er doch 1917 von der Preußischen Akademie zum Leiter einer Meisterklasse berufen. Die Akademie lag – damals wie heute wieder – schräg gegenüber vom Liebermann-Haus; auch das macht die Wahl des jetzigen Ausstellungsortes so glücklich.

Das kunsthistorische Urteil über Slevogt blieb gespalten. Wiewohl er gemeinsam mit Liebermann und Corinth zum „Dreigestirn des deutschen Impressionismus“ gezählt wurde – eine Cassirer-Parole –, erreichte er nicht deren je eigenen Rang. Das Unzeitgemäße seiner Kunst fiel schon den Zeitgenossen ins Auge. Erst recht seine ehrenvolle Akademie-Berufung stand konträr zu den 1917 virulenten Strömungen des Expressionismus und bald darauf des Verismus. Slevogt blieb dem Impressionismus treu, ungeachtet gelegentlicher anderer stilistischer Anleihen, die sich in der Ausstellung beobachten lassen.

Slevogt, der Unzeitgemäße: Noch deutlicher wird dies beim Blick auf die drei aus seiner Münchner Zeit stammenden düsteren Bilder, die am Beginn der Ausstellung stehen. Erst in Berlin, wo er den französischen Impressionismus bei den führenden Kunsthändlern und vor allem in der Nationalgalerie vor Augen hatte, fand er zu seinem Stil, der zwischen Manet und Monet oszillierte – zwischen der dunkeltonigen Formreduktion der spanisch inspirierten Bilder des einen und der flirrenden Farbigkeit im reifen Werk des anderen. In seinen geglücktesten Bildern bringt Slevogt beides zur Synthese, etwa in der Porträt-Reihe des Sängers Francisco d’Andrade in dessen Paraderolle als Don Giovanni. So hängen in der Ausstellung der „Weiße“ und der „Schwarze d’Andrade“ an den Längswänden des Erdgeschosses einander gegenüber, der eine mehr Monet, der andere mehr Manet. Aber beide greifen auf den berühmten „Hamlet“ Manets zurück.

Slevogt liebte das Theater – und das Theatralische. Es wurde ihm später oft als Oberflächlichkeit angekreidet. Merkwürdigerweise interessierte ihn die Stadt, dieses pulsierende, auch neureich-protzige Berlin der Vorkriegszeit nicht. Das Linden-Bild von 1913 markiert eine Ausnahme, die allerdings bedauerlich macht, dass der Maler diesen Weg nicht fortsetzte. Stattdessen malte er auf dem Landsitz eines vermögenden Sammlers in NeuCladow Gartenbilder, leichthin gesetzte Impressionen im schönsten Wortsinn.

Die Berliner Gartenbilder sowie spätere, nicht immer gleichermaßen gelungene aus den Pfälzer Jahren füllen das Obergeschoss des Liebermann-Hauses. Das ist schön anzuschauen; die stärkere Kraft aber geht von den Bildern im Erdgeschoss aus, von den Porträts zumal, die Slevogt nicht als Durchdringung der Person anlegt, sondern als Rollenbildnisse. Eben darum sind ihm die Andrade-Bilder ja so geglückt, weil Gehalt und Formensprache hier zusammenfallen. Der „Weiße d’Andrade“ mit dem Untertitel „Das Champagnerlied“, der Sensationserfolg der Sezessionsausstellung von 1902, begründete Slevogts Berliner Ruhm – und markiert zugleich die Grenze seines künstlerischen Vermögens. Es ist eine Kabinettausstellung, die die Stiftung Brandenburger Tor da gemeinsam mit dem erstveranstaltenden Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal organisiert hat, keine Retrospektive. In dieser Bescheidung ist sie ein Gewinn für Berlin; sie ist unbeschwert, ohne eine Neubewertung von Slevogts Œuvre zu fordern.

Er bleibt „der Glänzende“, als den ihn Karl Scheffler damals bezeichnete. Man spürt, dass Slevogt diesen Glanz gesucht und genossen hat. Sein Berliner Bild von 1913, wiewohl es nicht in der Mitte seines Werkes steht, zeigt den Ungleichzeitigen einmal auf der Höhe der Zeit, dieser besonderen Zeit von 1913. Sie ging indessen zu Ende – ohne es auch nur zu ahnen.

Max-Liebermann-Haus, Pariser Platz 7, bis 4. September. Katalog 25 €.

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