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Kultur: Brain Drain

Diedrich Diederichsen wünscht sich ein neues Bild der Pop-Musik Manche Briefe erreichen ihren Adressaten dann doch nicht. Die „Süddeutsche Zeitung" hat kurz nach der Wahl beim noch amtierenden Staatsminister Nida-Rümelin öffentlich eine kulturpolitische Wunschliste eingereicht.

Diedrich Diederichsen wünscht sich ein neues Bild der Pop-Musik

Manche Briefe erreichen ihren Adressaten dann doch nicht. Die „Süddeutsche Zeitung" hat kurz nach der Wahl beim noch amtierenden Staatsminister Nida-Rümelin öffentlich eine kulturpolitische Wunschliste eingereicht. Bald müssen sich andere damit auseinandersetzen. Ich beschränke mich natürlich auf eine Randbemerkung, ein bemüht beiläufig gehaltenes „Ach, übrigens!"

Schließlich betraf der Schlenker die Pop-Musik, und die soll sich dann doch nicht zu breit machen in der schönen redaktionellen Rhetorik, die weiß Gott Wichtigeres zu verhandeln hat. Obwohl doch die SZ gelegentlich eine Schallplattenseite im Blatt hat, die zu den erfreulicheren unter den Schallplattenseiten in Deutschland zu zählen ist. In dieser Randbemerkung jedenfalls wurde Nida-Rümelin darum gebeten, die Pop-Musik in Deutschland doch bitte nicht zu fördern. Das täte der gar nicht gut.

Warum es der Pop-Musik nicht gut täte, von Staatsknete korrumpiert zu werden, wird nicht erläutert. Der Verfasser weiß nämlich, will er deutlich machen, dass wir schon wissen, was er meint. Pop-Musik, meint er nämlich, würde in ihrer herrlich direkt kapitalistischen Marktnähe verdorben werden, wenn man kulturpolitisch eingriffe. Junge Leute, die sowas machen, müssen doch wild, ugebunden und HUNGRIG sein. Existenziell dem wilden Markttreiben ausgesetzt, in den Kapitalismus geworfen! Sich aufopferungsvoll für die Sache, an die sie glauben, Nächte um die Ohren schlagen: kompromisslos, arm, unstrategisch. UND NICHT SO SATT. Wir Feuilletonisten kennen das Leben, wir sind im Kino gewesen: Das Pop-Business ist shady, und das ist gut so. Staatliche Gremien und Fördermittel wären der prosaischste Tod jeder Poesie eines schön schlimmen Milieus und schwitzig schöner Projektionen, die sich eine Pop-Musik wünschen, die so riecht wie Joe Cocker am Morgen danach. Nicht gut. So also implizit die SZ.

Nicht nur dass der unausgesprochen vorausgesetzte Kitsch dieser Randbemerkung vor nicht ganz unwiderlicher Ideologie trieft, er trifft mittlerweile nicht einmal mehr die Realität derer, die von Berufs wegen noch an sie glauben, die Wiederbeleber des Band-Mythos. Noch bescheuerter allerdings nimmt sich der gönnerhafte Verweis aus, dass es die Pop-Musik am besten ohne das bürokratische Geld schaffen würde, wenn man sich ansieht, was aktuelle Pop-Musik für ökonomische Probleme hat, die sich nicht mit jugendlichem HUNGER lösen lassen.

In einer Zeit, wo die meiste Musik (und nicht nur Pop-Musik) auf den gleichen Software-Standards basiert, gibt es zum Glück – im Pop-Musik-Milieu – eine Gegenwartsmusik, die ihren Aktualitätsanspruch ernst nimmt und sich mit der Erweiterung, Verbesserung, Unterwanderung und Zerstörung von Software-Standards beschäftigt. Heutige Pop-Musiker müssen Programme lesen, schreiben und umschreiben können. Zumindest müssen sie diese Standards als Objekte erkennen können, die sich ändern und manipulieren, markieren und parodieren lassen. Das erfordert eine Arbeitsweise, die sich durch keinen Club-Gig, keine Droge und keinen Tropfen Schweiß stützen lässt, sondern quasi-universitäre Bedingungen braucht, die sich Künstler wie Akira Rabelais oder Oval entweder im akademischen oder hochkulturellen Milieu besorgen müssen. Dies aber ist ein kulturpolitisches Problem par excellence: der Brain Drain, der Pop-Musiker zwingt, aus ökonomischen Gründen Kompromisse mit Bildender Kunst oder Universität zu schließen, obwohl das kulturelle Milieu, mit dem sie produktiv im Gespräch sind, das der Pop-Musik, der Clubs und des Nachtlebens ist.

Die Vorstellungen, die sowohl von der künstlerischen wie der sozialen Realität der Pop-Musik kursieren, das zeigt nicht nur dieser Fall, wären indes selbst ein Fall für die Kulturpolitik: sie stammen aus eher älteren Kinofilmen und entschieden angeranzten Soaps. Nicht zuletzt liegt das daran, dass es Archive, Institute, Foren, in denen man in Ruhe und halbwegs so ausgestattet wie andere Kunst- und Kulturforscher anders über Pop-Musik reden kann, kaum gibt. Das zu ändern, so möchte man Nida-Rümelins NachfolgerIn zurufen, wäre wichtiger als wie der Vorgänger Radio-Quoten für deutsche Pop-Musik anzuregen. Die wichtigste kulturelle Leistung der Pop-Musik in Deutschland war es historisch eher, die Leute hier zu degermanisieren – ein unvollendetes Projekt.

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