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Märchenstunde. Das Eröffnungsstück „Le Grand Nain“ der französischen Compagnie Anomalie orientiert sich am Mythos des Robinson Crusoe. Foto: dpa

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Braunschweiger Festival Theaterformen: Reise ins Anderswo

Vor der Fußball-WM widmet sich das Braunschweiger Festival Theaterformen Afrika - und der kolonialen Vergangenheit Deutschlands. Der Zuschauer weiß kaum, wo er zuerst hinblicken soll.

„Sehen Sie live Eingeborene aus dem Busch des wilden unzivilisierten Afrikas“, lockt der Prospekt, der hautnahen Erlebniskitzel verspricht. Dann geht es treppab in ein Kellergewölbe, wo tatsächlich die angekündigte Reise in das Herz der Dunkelheit bevorsteht – wenngleich nicht ins Zentrum des schwarzen Kontinents, sondern in die finstere koloniale Vergangenheit Deutschlands. „Souvenir aus Eden“ nennt sich eine der Installationen, Jagdtrophäen hängen an der Wand, eine Karte von Deutsch-Südwestafrika liegt auf dem Tisch, daneben ein Hautfarbenbuch sowie ein Klassifizierungsbogen, der Auskunft gibt über die beiden Prunkstücke des Raumes, zwei leibhaftige Angehörige des Stammes der Nama. Vorfahren väterlicherseits, Höhe stehend, Fundort – darüber kann man sich hier informieren, während einen die beiden leicht bekleideten Schwarzen unverwandt ansehen und man kaum weiß, wohin man zuerst nicht blicken soll.

„Exhibit A“ haben der südafrikanische Künstler Brett Bailey und seine Gruppe „Third World Bunfight“ diesen Menschenzoo getauft. Vorbild waren jene berüchtigten Völkerschauen, die sich auch in Deutschland mit ihrer Präsentation vermeintlich Primitiver aus fernen Ländern ab Mitte des 19. Jahrhunderts enormer Beliebtheit erfreuten. Bailey zwingt einen zurück in die Rolle eines Gaffers vor dem Gehege, was Protestreflexe auslöst – und dennoch sensibilisiert für den Genozid, den die deutschen Kolonialherren bis 1915 im heutigen Namibia an den Nama und Herero verübten.

„Exhibit A“ ist zu Gast auf dem Festival Theaterformen, das dieses Jahr in Braunschweig stattfindet. Die künstlerische Leiterin Anja Dirks hat den beklemmenden Parcours zeitgleich zu einem höchst bemerkenswerten Themenwochenende programmiert, das unter dem Titel „Die Gegenwart des Anderswo im Jetzt“ mit Performances, Vorträgen und Videoarbeiten den Wunden der Kolonialgeschichte sowie gegenwärtigen Perspektiven auf Afrika nachspürt.

„Ich schäme mich für meine deutschen Vorfahren“, wird die namibische Schauspielerin Anna Louw zitiert, am Ende von „Exhibit A“, wenn die Beteiligten auf Zetteln an der Wand erklären, warum sie mitgewirkt haben, als Ausstellungsobjekte. „Rassismus gibt es nach wie vor“, beklagt Lamin Touray, ein Lagerarbeiter mit Wurzeln in Gambia, „als Schwarzer bist du ein Nichts“. Dem ist wenig entgegenzuhalten, selbst wenn man Brett Bailey nicht mehr folgen mag, der schlussendlich die bedenkliche Analogie zieht zwischen dem Völkermord in Deutsch-Südwestafrika und heutigen Abschiebungen von Asylbewerbern.

Gleichwohl, der Wettlauf um den „Platz an der Sonne“, wie der gnadenlose Afrika-Imperialismus im Losglück-Jargon verharmlost wurde, er ist nicht wirklich aufgearbeitet, noch immer nicht. Der Berliner Politologe Kien Nghi Ha hält dazu einen klugen Vortrag. Ha, Experte für Cultural Studies, erinnert an die Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85, auf der die damaligen Kolonialmächte den Kontinent unter sich verschacherten – was bis heute die Kartografie prägt. Und er schlägt die Brücke zu rassistischen Zuschreibungen der jüngeren Vergangenheit, seien es die legendären Aussetzer des Bundespräsidenten Lübke oder das Stoiber-Unwort von der „durchrassten Gesellschaft.“ Christine Regus, Pressesprecherin des Goethe-Instituts, berichtet dann noch, wie einmal viele Bundesmittel für kulturelle Projekte in Afrika bereitgestellt wurden, und welches Logo sich die Politik dazu ausgedacht hatte: der Kontinent in Schwarz-Rot-Gold.

Auch über das Themenwochenende hinaus wird das Festival die Beschäftigung mit Afrika fortführen. Neben Produktionen aus Japan und Argentinien zeigt Regisseur Faustin Linyekula seine mit kongolesischen Schauspielern erarbeitete Racine-Interpretation „Schluss mit Bérénice“. Und der südafrikanische Tänzer und Choreograf Boyzie Cekwana beschäftigt sich in zwei Teilen seiner „Influx Control“-Reihe – benannt nach einem Gesetz, das es seit 1923 Schwarzen verbot, sich in Städten niederzulassen – mit den Auswirkungen der Apartheid. Die Theaterformen am Puls der Zeit: kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika scheint es gebotener denn je, sich auf die Innensicht des Landes einzulassen und die paternalistische Haltung des Westens zu hinterfragen. Die der FIFA sowieso.

„Ich bin ein weißer Vater“, mit diesen Worten stellt der Mann sich vor, der seit über fünfzig Jahren als Missionar im Kongo arbeitet. „Mission“ hat der Belgier David Van Reybrouck sein Stück betitelt, das auf der Grundlage etlicher Interviews mit Seelsorgern in dem kriegsgebeutelten Land entstand, nun verdichtet zu einer Solo-Erzählung, die der grandiose Schauspieler Bruno Vanden Broecke belebt. Es ist ein Abend jenseits jeglicher Schwarz-Weiß-Malerei. Er macht die Zerrissenheit des Verhältnisses zwischen Afrika und dem Westen in einem humorvollen, leichten Ton schmerzhaft bewusst – die Untrennbarkeit von humanitärer Hilfeleistung und wohlmeinender Bevormundung, von Sendungsbewusstsein und Ignoranz.

Ein sympathischer Mensch, dieser Missionar. Ein Gläubiger, kein Frömmler, einer, der Kondome verteilt und Fußballspiele organisiert. Aber irgendwann im Laufe seines Vortrags bekennt er, dass er auch nach fünfzig Jahren nicht durchschaut habe, was im Kongo vor sich gehe. Im Gegenteil. Er versteht das immer weniger.

Festival Theaterformen: bis 12. Juni in Braunschweig, www.theaterformen.de

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