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Stadt als Open-Air-Bühne. Das Festival bietet nicht nur lokalen und internationalen Theatergruppen Auftrittsmöglichkeiten, es hat sich auch als Musikfestival etabliert. Diesmal trat Manu Chao auf (Foto), außerdem Portishead und die Rentnercombo Young@Heart. Foto: dpa

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Kultur: Brücken und Brachen

Portishead, Jan Fabre und Doku-Stücke: das Musik-und Theaterfestival Malta im polnischen Poznan – 2012 mit Stefan Kaegi von Rimini Protokoll

Die Fleet Foxes haben den Sonnenuntergang am Maltasee mit ihrem entspannten, 70er-Jahre-mäßigen Folkpop begleitet, jetzt, nach dem Quintett aus Seattle, spielen die britischen Trip-Hop-Pioniere Portishead. Die Tribüne auf der anderen Uferseite, von der aus Sportbegeisterte an Wettkampftagen die Segelregatten verfolgen, liegt im Dunkeln, vorne im Rampenlicht haucht Portishead-Sängerin Beth Gibbons dem Geflimmer der Videoleinwände den Song „The Rip“ entgegen. Ein grandioses Konzert vor unverschämt schöner Naturkulisse. Aus ganz Osteuropa sind die Fans angereist, um den Auftritt der Band in Poznan zu erleben. An jenem See, dem eins der berühmtesten polnischen Theaterfestivals seinen Namen verdankt – und an dessen Ufern es vor nunmehr 21 Jahren auch erfunden wurde. Damals noch als überschaubares OpenAir-Happening für die freie Szene, im Beiprogramm einer Kanu-WM.

Mittlerweile ist das Malta-Festival eine Marke mit Appeal weit über die Stadt an der Warte hinaus. Es bietet den lokalen Gruppen nach wie vor eine Plattform, versammelt aber darüber hinaus die großen Namen der internationalen Theater- und Musikszene. Neben Portishead hatte Manu Chao dieses Jahr einen Auftritt, und beim Frühstück im Festivalhotel lief man jeden Morgen den Senioren vom „Young@Heart“-Chor über den Weg – jenen zu Weltruhm gelangten Rock-Rentnern aus Massachusetts im Durchschnittsalter um die 70, die für ihre Vokalkonzerte gerne mal Punkklassiker wie The Clash covern. Allabendlich sangen sie in der ausverkauften Messehalle und befeuerten die polnisch-amerikanische Freundschaft.

Das Malta-Festival fiel in diesem Jahr etwas kürzer aus, weil es in eine ganze Reihe von Kulturevents eingebettet war, mit denen die erstmalige Präsidentschaft Polens im Rat der Europäischen Union gefeiert wird. Den Jungeuropäern gibt so was ja noch Anlass zur Freude. Auch wenn Malta-Gründer und Festivaldirektor Michal Merczynski versichert, man fühle sich nun nicht aufgerufen, der EU das Halleluja oder wahlweise Beethovens Neunte zu singen.

Das ganzjährige Kulturprogramm zur Ratspremiere – das Merczynski als einer der umtriebigsten Kuratoren Polens mitorganisiert – steht unter dem Motto: „Kunst für sozialen Wandel“. Im September wird es in Warschau einen europäischen Kulturkongress geben, von dem Merczynski jetzt schon schwärmt, er soll Künstler wie den Komponisten Krzysztof Penderecki mit Johnny Greenwood von Radiohead zusammenführen oder den Regie-Altstar Krystian Lupa mit der Autorin Dorota Maslowska.

Ambitioniert gibt sich auch das Malta-Festival mit dem Schwerpunkt-Thema „Die Ausgeschlossenen“. Den Randständigen aller Couleur ist die Reihe „Idiom“ gewidmet, die im vergangenen Jahr von den Malta-Machern ins Leben gerufen wurde, um ein bestimmtes Thema prominent ins Licht zu rücken. Leider beweist die „Idiom“-Verantwortliche Katarzyna Torz mit ihrer Auswahl diesmal vor allem eines: welche saft- und kraftlose Kunst nach EU-Norm für den Wanderzirkus der Festivals oft produziert wird.

Jan Fabres „Prometheus Landscape II“ – das hohle Göttergedröhn eines Ex-Provokateurs, der dem Mythos von Prometheus kein Feuer, sondern Masturbationsfantasien abgewinnt. Das Stück „It is hard to be a God“ des Ungarn Kornel Mundruczo – eine Zumutung, die schon beim Düsseldorfer „Theater der Welt“ lief und einen vorzeitig aus der Aufführung treibt. Der Kloschüssel-Realismus, mit dem einem diese Geschichte über Zwangsprostitution zu Leibe rückt, geht gründlich ins Leere. Und die gehypte Französin Gisèle Vienne lässt in „Jerk“ einen jungen Serienkiller seine Morde an einer Reihe argloser Jungs mit Handpuppen nachstellen. Grauenhaft ist da nicht nur das Sujet.

Das kann nur besser werden im nächsten Jahr: Da übernimmt Stefan Kaegi, Mitglied der im Berliner HAU angedockten Gruppe Rimini Protokoll, die Reihe als Kurator. Malta-Direktor Merczynski und Kaegi sind sich bereits verschiedentlich begegnet, unter anderem, als Kaegi sein Projekt „Parallele Städte“ – ebenfalls im Hebbel Am Ufer herausgekommen – in Warschau gezeigt hat. Mit austauschbaren Namen und beliebigen Produktionen dürfte sich einer wie Kaegi nicht zufriedengeben.

Das Thema Ausschluss gehen die lokalen Gruppen jedenfalls konkreter an. Das berühmte Teatr Osmego Dnia etwa hat Interviews mit Insassen des örtlichen Untersuchungsgefängnisses geführt und zu einem Stück verarbeitet. Überhaupt ist eine Reihe von Arbeiten aus sozialen Projekten entstanden. Das junge Studenten-Kollektiv aus Katarzyna Szyngiera, Agnieszka Jakimiak und Agata Baumgart organisiert in der Performance „Der Bus kommt“ eine nächtliche Fahrt zu einer ehemaligen Psychiatrie im nahen Owinska. Der Gebäudekomplex beherbergte im Laufe der Jahre die Hitlerjugend, eine Klinik für Gehörlose und eine Besserungsanstalt. Mittlerweile ist der Verfall weit vorangeschritten, Jugendliche treffen sich in den Ruinen zum Trinken und Paintball-Spielen. Ein Ort mit faszinierender Atmosphäre, dessen Geschichte das Stück assoziativ aufnimmt – allerdings, wie bei fast allen polnischen Performances, ohne englische Übersetzung. Was das betrifft, kann sich das Malta-Festival ruhig noch ein bisschen europäischer geben.

Direktor Michal Merczynski sagt, er liebe Poznan, diese Stadt auf halber Strecke zwischen Berlin und Warschau, er lebe schließlich hier. Aber sein Heimatort sei auch ein bisschen konservativ, verführe zur Bequemlichkeit, und die Bewohner seien an Großspektakel gewöhnt. Malta – das ist in diesem Jahr weniger spürbar als sonst – war ja immer auch ein Stadtfest, eine einzige Open-Air-Bühne für Performances und Site-Specific-Projekte zwischen Brücken und Brachen. Für den letzten Abend ist in diesem Jahr ein Auftritt der katalanischen Company La Fura dels Baus geplant, sie werden gigantische Puppen durch die Straßen und über den prächtig herausgeputzten alten Marktplatz schicken.

Die Riesen kommen? Merczynski wiegt den Kopf und betont, natürlich gelte es, das Inhaltliche nicht aus den Augen zu verlieren. Die Show habe definitiv eine Message, auch hier gehe es um die Ausgeschlossenen. Amüsement und Anspruch zu vereinen, polnische und internationale Bühne zugleich zu sein, das sind die Herausforderungen für dieses spannende Festival, das zwischen Messehalle und Maltasee seine europäische Identität sucht. 2012 unter Mitwirkung von Stefan Kaegi.

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