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Kultur: Bubenspiele

Helmut Böttiger über den nicht enden wollenden Walser-Hype Martin Walser hat fürs Erste gewonnen. Von allen möglichen Redaktionen werden die professionellen Sich-zu-Wort-Melder abtelefoniert, um auf der Höhe des Debattendiskurses zu sein.

Helmut Böttiger über den

nicht enden wollenden Walser-Hype

Martin Walser hat fürs Erste gewonnen. Von allen möglichen Redaktionen werden die professionellen Sich-zu-Wort-Melder abtelefoniert, um auf der Höhe des Debattendiskurses zu sein. Walser hat neckischerweise versucht, das in seinem Roman schon ein bisschen vorwegzunehmen, ohne aber die triefende Höhe der Passagen über das „feuilletonistische Zeitalter" in Hermann Hesses „Glasperlenspiel" zu erreichen.

Die zweite Runde im journalistischen Schaukampf ist mit der Auslieferung des „Tod eines Kritikers" am Mittwoch eingeläutet worden. Der Wirbel erreichte auch sofort die Buchhandlungen: die erste Auflage von Walsers Roman (50 000 Exemplare) war bereits mit dem Erscheinen vergriffen - wie übrigens auch die beiden Auflagen von Bodo Kirchhoffs „Schundroman" (20 000), dessen Erscheinen wegen der auch hier stattfindenden Ermordung eines Reich-Ranicki nachgebildeten Kritikers vorgezogen wurde – um am Walser-Effekt teilzuhaben.

Man muss beim augenblicklichen Walser-Reich-Ranicki-Hype zwei Kraftzentren unterscheiden. Das erste ist das wütende Um-Sich-Schlagen eines alten Mannes, der noch einmal mit allen Mitteln Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Das ist für die jüngere Literaturgeschichte interessant, aber letztlich eher belanglos. Das zweite, entscheidende Kraftzentrum jedoch ist das mediale. Es ist dadurch entstanden, dass FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in aufsehenerregender Form den Antisemitismus-Vorwurf an Walser inszenierte. Dass er sich dazu gezwungen sah, ist von der Rolle Reich-Ranickis für die FAZ nicht zu trennen. Letztere ist ja mehr denn je auf ersteren angewiesen, und für Schirrmacher muss das so etwas wie ein tragischer Konflikt gewesen sein: die Entscheidung zwischen dem tendenziell nationalkonservativen Autor Walser, der so gut zur FAZ passt, und dem Praeceptor Germaniae der Literaturkritik, der Jude ist.

Alles weitere, was sich danach in den Feuilletons abspielte, nimmt Bezug auf die Deutungshoheit, die die FAZ unter Schirrmacher jahrelang innehatte. Die Literaturredaktion der „Süddeutschen" ist seit kurzem mit ehemaligen Untergebenen Schirrmachers aus der FAZ bestückt, und es sind schon rechte Bubenspiele, die da stattfinden - von „Vatermord" zu sprechen verbietet sich wohl angesichts der immer noch jungen Jahre des FAZ-Herausgebers und Über-Ichs. Den letzten Höhepunkt dieses Sandkastenkriegs bilden jetzt die wechselseitigen Darstellungen darüber, wann und ob die FAZ in Person ihres Literaturchefs, der vor kurzem noch Untergebener des jetzigen Literaturchefs der „Süddeutschen" war, Walser Zusagen über den Vorabdruck des Romans gemacht hat. Das ist alles recht komisch, und vielleicht rächt es sich mittlerweile doch, dass so viele Schirrmacher-Leute bei der Konkurrenz Unterschlupf gefunden haben.

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