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Buckower Elegie: Bertolt Brecht und sein letzter Ferientag

Bertolt Brecht verbringt seinen letzten Ferientag im Sommerhaus am See - mit den Frauen seines Lebens.

Still ruht der See zwischen den Birken in Buckow. Es ist früh am Morgen, bei Brechts schlafen noch alle. Langsam, sehr langsam, als fürchte sie, die Ruhe zu stören, schwenkt die Kamera über das weite Land rund um den Schermützelsee, fast wie in Trance. Und John Cale fügt ein paar Pianoakkorde hinzu, auch diese so behutsam und sanft, als sei jeder kräftigere musikalische Auftritt schon eine unerlaubte Einmischung in innere filmische Angelegenheiten. Es ist der letzte Ferientag hier draußen bei Brecht und den Seinen. Er lässt sich wahrlich friedlich an.

Aber wie das so ist mit dem Schein: Er trügt. Im August 1956 ist die Welt des berühmten B.B. schon lange nicht mehr in Ordnung - wenn sie es denn je war. Ruth, die ehemalige Geliebte und Mitarbeiterin, bereits durch den Garten, vor Jahren verrückt geworden an den Launen des Dichters. Sie entdeckt Tochter Barbara, das tumbe Kind, das wieder mal zündelt und obendrein Vaters Kappe verbrennt. Von wegen Frieden.

"Wo ist meine Kappe?", wird Brecht an diesem Tag noch häufig fragen, und am Ende ist es eine Frage auf Leben und Tod. "Wo ist Harich?", fragt der Stasi-Offizier Mutter Helene, und die Weigel handelt einen Aufschub heraus. Wolfgang Harich, der Systemkritiker, und seine Frau Isott - beide zu Gast im Buckower Sommerhaus - werden erst verhaftet, wenn Brecht abgereist ist. Wegen des Friedens.

Die Kommune 1 der DRR

Und wieder Pianoakkorde. Allmählich erwacht das Haus. Jan Schütte hat die Geschichte der letzten Tage von Bertolt Brecht erfunden, verstreute Figuren und Fakten versammelt und verdichtet. Der Meister im Kreise seiner Frauen, umgeben von "Helli" und Barbara Weigel, von der bis zur Sprachlosigkeit verhärmten Elisabeth Hauptmann, der irren Ruth Berlau und der blutjungen Käthe Reichel, nicht zu vergessen Isott, die Schöne. Eine eingespielte Lebens- und Arbeitsgemeinschaft: die Kommune 1 der DDR. Der Meister und sein krankes Herz. Der Meister und sein Darm, dem Gase entfahren: Ja, so ist das, auch ein Brecht muss mal furzen. Der Meister und seine Müdigkeit, müde an einer Gesellschaft, die ihn feiert und die er nicht mehr versteht, so wenig wie sie ihn. Und nicht zuletzt der Meister im Streit mit Harich, seinem ungestümen Schüler, der bei der Abreise von den Schergen des Politbüros ins Auto gezerrt und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt werden wird. Harich, Brechts Alter Ego, letzte Erinnerung an die eigenen wilden Jahre und den Glauben an die Veränderbarkeit der Welt, dieser Harich bleibt zurück - und mit ihm der Jugendtraum vom Sozialismus. Brecht schaut nicht einmal hin.

Meist schweigt der Dichter ohnehin. Und Josef Bierbichler ist ein Meister des Schweigens. Er gibt Brecht als erschöpften Griesgram: ein mürrischer Pascha, entwaffneter Kämpfer, ziemlich zahmer Tyrann. Einer, der nur noch Worte hat und auch die nur vereinzelt: Innere Emigration ist gar kein Ausdruck. Nein, so einem kann man nicht böse sein - und wenn er sich gegenüber seinen Liebsten noch so schlecht benimmt.

"Abschied" ist ein Film, dessen Grammatik ohne Verben auskommt. Es ist heiß in Buckow, wenige Tage vor Brechts Tod: zu heiß für jede Bewegung. Wer schwimmen geht, macht bedächtige Züge, kaum dass sich das Wasser zu kräuseln beginnt. Und die Bilder vom See, vom Haus und den Menschen darin, diesen aus der Gegenwart herausgefallenen Menschen, spiegeln Zustände, Stilleben, Erstarrung. "Abschied" ist ein Endspiel aus einer zu Ende gegangenen Zeit - die Legende von eines langen Lebenstages Abend. Bloß keine Aufregung, das ist schlecht für Brechts Herz.

Ja, man kann diese Geschichte so erzählen, so beinahe ungerührt, so meditativ und ohne Dramatik. Und doch stören einen mit der Zeit die immergleichen Pianoakkorde, das immergleiche Alltagsritual, die immergleiche Zeichnung der Brechtschen Wahlverwandtschaften. Mehr Typen als Menschen: Helene Weigels praktische Intelligenz (Monica Bleibtreu), Barbaras enervierende Pubertät (Birgitt Minichmayr), Elisabeth Hauptmanns Ängstlichkeit (Elfriede Irrall), Ruth Berlaus Wahn (Margit Rogall), Käthe Reichels Bewunderung (Jeanette Hain), Harichs Kampfgeist (Samuel Fintzi) - all das leuchtet reglos wie ein Kerzenlicht, flackert kaum auf, wird kaum lebendig. Vor allem stört, dass dieser Film sein Publikum so gar nicht behelligt. Er ist selbst Ritual, Kontemplation. Zwar vermeidet er jegliche Verklärung: Wohl wahr, dass eine große öffentliche Figur privat so klein, ja kleinlich sein kann wie Bierbichlers Brecht. Aber der Film, sonst begänne er nicht mit dem frühmorgendlichen Erscheinen der Stasi, möchte auch von einer letzten Ruhestörung erzählen. Und lässt einen damit doch seltsam in Ruhe. Jan Schütte ist so sehr mit der eigenen Zurückhaltung beschäftigt - und sie gelingt ihm vorzüglich -, dass er die Turbulenzen unter der trügerisch glatten Oberfläche fast aus den Augen verliert.

Darin gleicht sein Film dem Wesen der Weigel, der heimlichen Heldin von "Abschied" - zumindest ihre Auftritte verraten den Aufruhr hinter der Stille. Alles dreht sich um Brecht, schont ihn, sorgt sich und liebedienert: besonders beflissen die Assistenten Palitzsch und Wekwerth (Claudius Freyer und Paul Herwig als reichlich komisches Paar). Aber die wahre Tragödin bleibt Helene Weigel. Sie muss entscheiden, ob sie Harich warnt und Brecht damit gefährdet oder ob sie Brecht schützt und Harich gefährdet. Sie setzt mehrfach an, lässt es doch sein, organisiert, schuftet, raucht wie ein Schlot, verzieht keine Miene mit immer straff nach hinten gekämmtem Haar.

Weigels Strenge, das ist Monica Bleibtreus Zurückhaltung. Eine schauspielerische Zurückhaltung, die selbst auf großartige Weise angestrengt wirkt. Großartig deshalb, weil sie eine andere Anstrengung meint: die Mühe, die es kostet, einen Freund zu verraten - und also ein Unmensch zu sein um eines anderen Menschen willen. Weigels Schweigen unterscheidet sich von Brechts Schweigen, nimmt es doch ein Menschenopfer in Kauf. Womöglich ist "Abschied" doch ein politischer Film.

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