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Hanns Zischler

© Kai-Uwe Heinrich, TSP

Bücher von Ulrich Greiner und Hanns Zischler: Lob der Besinnlichkeit

In einer Zeit, in der schlechte Nachrichten dominieren und nur die Lautesten Gehör bekommen liest Peter von Beck schöne, leise Bücher von Ulrich Greiner und Hanns Zischler.

Nicht nur des Kalenders wegen ist es jetzt Zeit auch mal für die stilleren Bücher. Nichts gegen die lauten, wenn sie gut geschrieben sind. Ich mag nur als Leser gerne die Abwechslung. So ist Julian Barnes einer meiner Lieblingsschriftsteller. Berühmt wurde er einst durch „Flauberts Papagei“, ein eher leises Buch. Danach hatte ich freilich Lust auch auf die Krimis, die der feingeistige Julian Barnes unter dem Pseudonym Dan Kavanagh geschrieben hat. Und das waren nun ziemlich harte, scharfe, von Sex and Crime bestimmte Stories. Also keine ganz leisen Bücher.

Im Augenblick aber schreien alle Nachrichten so überdeutlich „Krieg!, Krise!, Flüchtlinge!, Erdbeben!, Trump!, AfD!, Populismus!“, dass ich zusätzlich keine Migrationsproblemromane, keine Hooliganfaschos, Sadomasochistinnen oder Kindesmissbraucher in der Literatur mehr benötige, auch keine Weltuntergangs- oder Weltrettungsgeschichten. Nichts, was in Kunst und Kultur verpackt oft genug spekulativ, alibihaft, voyeuristisch wirkt. Oder nur gut gemeint, was das Gegenteil von Kunst bedeutet.

Ulrich Greiner schreibt über "Das Leben und die Dinge"

Man könnte für die leisen Bücher auch das lange verfemte Wort besinnlich verwenden. Was nichts mit tüdelig zu tun hat, weil im Besinnen das Sinnliche sich mit dem Nachdenken paart. Zudem birgt die Stille nicht nur ein Refugium, sondern auch den wohl letztmöglichen Skandal. Eine Stunde (wenn nicht schon fünf Minuten) absolute Sendepause und schwarze Bildschirme würden heute das bare Entsetzen auslösen und vielen als Hauch der Apokalypse erscheinen. Und manchen als heilsam.

Darum lese ich gerade das in seiner selbstbewussten Nachdenklichkeit ebenso stille wie vielsagend anregende Buch von Ulrich Greiner: „Das Leben und die Dinge“ (Jung und Jung Verlag, Salzburg, 214 Seiten, 19, 90 Euro). Es ist eine im Untertitel „Alphabetischer Roman“ genannte Reflexion von Gegenständen und Erscheinungen, die Greiner, der 1945 geborene Literaturkritiker und langjährige Feuilletonchef der „Zeit“, vor dem inneren Lebensauge Revue passieren lässt. Was war wichtig, überraschend, bestürzend, was bot Halt, was war richtig?

Es beginnt mit A wie „Agfa Clack“, mit der Geschichte einer noch bildarmen Nachkriegskindheit und den ersten Erfahrungen mit Fotoapparaten, und endet mit Z wie „Zimmer“: von der Kinderbettstatt über die Partyhöhle als Hallraum für Velvet Underground und Pink Floyd bis zu den WG- und Redaktionsbehausungen. Unter „B“ gibt es den Pubertätsfantasien weckenden, in der Liebespraxis hakeligen BH, aber auch Blei für den alten Zeitungssatz sowie Brille, Buch (elementar), Büro und Buggy. Vorm „C“ für Computer. Hose paart sich mit Hortensie, und unter „F“ eröffnen sich hier erfahrungstiefe Einsichten in den Wandel des Feuilletons.

Hanns Zischlers sprachschöne Novelle hat politische Aktualität

Eine Zeitreise, auch eine zu vergessen geglaubten Worten, Empfindsamkeiten, Kinderträumen auf der Schwelle zu Naseweisheit und behutsamer Welteroberung ist Hanns Zischlers „Das Mädchen mit den Orangenpapieren“ (Galiani Verlag, Berlin, 112 Seiten, 16,99 Euro). Die Schülerin Elsa ist 1958 mit ihren Eltern von Dresden in eine oberbayerische Kleinstadt gekommen. Die zarte, sprachschöne Novelle des Schauspielers, Essayisten, Homme de Lettres Hanns Zischler ist durchaus eine innerdeutsche Flüchtlings/Migrationsgeschichte; doch eben von jener Aktualität, die man mit einem tagesjournalistischen Begriff gerade nicht begreifen kann.

Gleichwohl ist die Erzählung nicht „zeitlos“. Denn sie findet eine dichte Metapher für das Wechselspiel zwischen Nähe/Heimat und lockender Fremde und Ferne – indem Elsa dem Zauber jener hauchfeinen Papiere und ihrer bunt aufgedruckten Worte wie „Principessa di Cefalù“, „Moro“ oder „Sanguinelle“ verfällt, in denen die in der DDR nicht vorhandenen und in der frühen Bundesrepublik noch neuen Südfrüchte eingehüllt sind. Es geht dann um noch viel mehr, um Lektüren und Liebe. Gleich am Anfang steht indes ein Rätsel: „Ich zog da aus / wo Lumpen einkehrten, / zog in ein Haus, / bewohnt von Gelehrten.“ Was das meint, erfährt man natürlich erst am Ende, betört und neugierig ahnungsvoll.

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