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Jürgen Flimm wird neuer Chef der Berliner Staatsoper Unter den Linden

© dpa

Deutsche Staatsoper: Jürgen Flimm: Das Theatertier kommt

Er kennt jeden im Kulturbetrieb und ist immer im Gespräch, wenn es um einen Top-Job an einer Bühne geht. Jetzt kommt Jürgen Flimm als Intendant an die Berliner Staatsoper - und wird sich unterordnen müssen.

Beim Gedanken an Jürgen Flimm kommt einem unwillkürlich ein Schlager aus den 50er Jahren in den Sinn: „Komm ein bisschen mit nach Italien“, ein Chartstürmer des Wirtschaftswunders, interpretiert von Caterina Valente, Silvio Francesco und Peter Alexander, der in dem Vers kulminiert: „Und wir tun, als ob das Leben eine schöne Reise wär’.“

Wo Jürgen Flimm auftaucht, da weht immer auch ein bisschen Südwind, da fühlt es sich irgendwie nach Ferien an, da wird das Schwere plötzlich leicht, da werden gut gelaunt Kunstfeste gefeiert. Jetzt also soll der Vortrinker der Toskana- Fraktion die Berliner Staatsoper retten: Nach der Schlammschlacht zwischen Daniel Barenboim und seinem Intendanten Peter Mussbach, die im Juli mit der fristlosen Kündigung Mussbachs endete, soll nun wieder die Sonne scheinen über dem Musentempel in Mitte.

Dafür will Flimm sogar seinen derzeitigen Posten als Intendant der Salzburger Festspiele ein Jahr früher als geplant aufgeben. Offiziell läuft sein Vertrag bis 2011, doch die Planung für das österreichische Nobelfestival stehe zu 98 Prozent, erklärte Flimm gestern im Roten Rathaus: „Ich sehe keinen Grund, warum ich nach dem Ende der Festspiele 2010 noch ein Jahr untätig in Salzburg herumsitzen soll.“

Salzburgs Bürgermeister sieht das allerdings anders: „Das kann er sich abschminken!“, erklärte Heinz Schaden gestern zu Flimms Plänen. Der Vertrag des Regisseurs laufe bis Ende des Festivalsommers 2011. „Wenn er den nicht erfüllt, muss er sich rechtlich mit uns auseinandersetzen.“ Schaden sitzt auch im Festspielkuratorium, dessen Vorsitzender Wilfried Haslauer gestern allerdings Kompromissbereitschaft signalisierte: „Das muss man sich anschauen“, sagte er. Haslauer will nun eine Sondersitzung des Kuratoriums einberufen.

Wird man sich dort einig, könnte Flimm im September 2010 in Berlin anfangen. Schon ab Januar 2009 stünde er der Staatsoper als „Berater“ zur Verfügung. Gelockt worden, berichtete Flimm, sei er übrigens von einem ehemaligen Mitarbeiter: Der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz hatte als Jurastudent eine Referendarsstation im Hamburger Thalia-Theater absolviert, dessen Chef Flimm von 1985 bis 2000 war. Als Schmitz ihn vor zwei Monaten anrief und erklärte „Wir brauchen dich!“, habe er nicht lange gezögert. Ein Hotelzimmergespräch mit Daniel Barenboim – zufällig waren beide gerade in New York –, und die Sache war geritzt.

Jürgen Flimm ist jetzt 67 Jahre alt. Er ist einer der üblichen Verdächtigen, wenn in der Welt des Theaters ein Top-Job frei wird. Eine überraschende Wahl ist er also nicht, schon gar nicht ein Theatercoup. Andererseits kann man sicher sein, dass den Regisseur nicht jenes üble Berliner Theaterleiter-Virus befallen wird, das Intendanten so lange in ihrer Institution hocken bleiben lässt, bis sie ihren guten Ruf aufs Spiel setzen: siehe Götz Friedrich, siehe Harry Kupfer oder zuletzt Frank Castorf. Nein, Flimm erfüllt seinen Fünf-Jahres-Vertrag, dann geht er wieder weg: das Leben genießen.

Der erfahrene Theatermacher ist ein Kandidat für den Übergang. Am 31. Mai 2010 fällt Unter den Linden der letzte Vorhang, danach wird das Traditionshaus kernsaniert, also bis auf die Grundmauern abgetragen und dann – mit neuester Technik hinter den Seidentapeten – originalgetreu wiederaufgebaut. Drei Jahre soll das dauern, wenn alles glatt geht, mindestens drei Spielzeiten also werden die Mitarbeiter der Staatsoper extra muros arbeiten müssen, in einem Ausweichquartier weit im Westen der Stadt.

Für 20 Millionen Euro lässt der Senat das Schillertheater an der Charlottenburger Bismarckstraße den Bedürfnissen der Staatsoper anpassen. Es ist eine klassische Kompromisslösung. Mit dem Admiralspalast an der Friedrichstraße wären viele Staatsopernbeschäftigte glücklicher gewesen, auch, weil sich der Weg zur Arbeit nicht verlängert hätte. Aber die Politik entschied nicht inhaltlich, sondern politisch. Es galt, der Charlottenburger Klientel mal wieder ein Zuckerl zuzuschieben.

Wie auch immer Klaus Wowereit als Regierender SPD-Bürgermeister Angela Merkels Vorstoß für einen „Aufbau West“ bewertet hat, als Kultursenator der Hauptstadt praktiziert er genau das. Seit dem Schillertheater 1993 die Subventionen entzogen wurden, diente das Haus erst als Abspielbude für Musicals, später war es für jede durchreisende Truppe zu haben, die es mietete. Wüst sieht das ehemalige Staatstheater nach dieser Zeit als Bühnenhure jetzt aus.

Weil Barenboims Stammhaus eine Sanierung braucht, kehrt nun ein wenig Glanz nach Charlottenburg zurück. Und die Bismarckstraße wird zum deutschen Lincoln Center, wenn wie in New York mit der Metropolitan und der City Opera auch in Berlin zwei moderne Opernhäuser, zumindest temporär, in Sichtweite liegen: die Deutsche Oper und die Staatsoper in ihrer Ersatzspielstätte.

Weil die Gemengelage dieses Umzugsmanövers so komplex, auch weil so viel politische Rücksichtnahme im Spiel ist, ist Jürgen Flimm derzeit die beste Wahl für die Staatsoper. Kein anderer deutscher Intendant ist derart gut vernetzt in den unterschiedlichen Entscheider-Zirkeln, kein anderer hat zudem international so einen klingenden Namen wie der gebürtige Gießener mit der rheinischen Frohnatur.

In Köln hat Flimm studiert, Theaterwissenschaft, Germanistik und Soziologie. 1968 wird er Regieassistent an den Münchner Kammerspielen, erlebt hier hautnah Altmeister wie Fritz Kortner und junge Wilde wie Claus Peymann. Ab 1971 tritt er dann selber als Regisseur hervor, macht sich schnell einen Namen als detailgenauer Arbeiter. 1979 überträgt die Stadt Köln dem 38-Jährigen die Leitung des Schauspielhauses, 1985 folgt der Ruf ans Hamburger Thalia-Theater. 15 glückliche Jahre bleibt Jürgen Flimm in der Hansestadt, lenkt sein Haus mit Geschick und Liebe. Wenn er seinen Spielplan macht, denkt er immer auch ans Publikum. Keine Selbstverständlichkeit in diesen Jahren. Ein Revoluzzer ist er sowieso nie gewesen. Ein prototypischer Achtundsechziger schon. Aber er wusste die überschießenden Energien seiner jungen Jahre klug in die rechte Richtung umzulenken: in jene nämlich, die ihm Lebensgenuss verspricht.

In seinen besten Jahren wird Jürgen Flimm als Meister des psychologischen Realismus gefeiert, als Schauspielerregisseur im besten Sinn, der seinen Darstellern Raum lässt, ihnen keine Konzepte überstülpt. Und als idealer Theater-Chef der alten, liebenswerten Schule, der nicht nur seine Stars, sondern eben auch die Techniker mit Vornamen kennt. Ein inszenierender Intendant, der seine Eitelkeit so weit kontrollieren kann, dass er andere Götter neben sich duldet, Regisseure mit ganz anderem Stil nach Hamburg holt: Robert Wilson, Alexander Lang, Axel Manthey, Ruth Berghaus, Katharina Thalbach, Martin Kusej.

Mit Daniel Barenboim hat Flimm künftig eine „ganz große Wildkatze“ (Flimm über Barenboim) neben sich. Der Maestro ist dafür berüchtigt, dass er keinen Widerspruch duldet, was seine eigenen Berliner Projekte betrifft, und sich nicht weiter darum kümmert, was Unter den Linden sonst so vor sich geht. Wer diese Arbeitsteilung akzeptiert, kann in den ihm zugestandenen Freiräumen so manches realisieren. Dem heutigen Kölner Kulturdezernenten Georg Quander ist das in seiner Zeit als Staatsopern-Intendant gelungen. Sein Nachfolger Mussbach ist an Barenboims Sonnenkönigtum gescheitert.

Auch Jürgen Flimm ist es nicht gewohnt, in dienender Funktion zu arbeiten. Gefragt, wie es zum Bruch mit seinem Salzburger Schauspielchef Thomas Oberender kam, antwortete der Regisseur jüngst, Oberender habe nicht als Partner mit ihm zusammenarbeiten wollen, habe jede Diskussion als Einmischung empfunden. Flimm wird in Berlin zeigen müssen, dass er seinem Vorgesetzten gegenüber geschmeidiger ist, das zeigte gestern ein Zwischenfall im Roten Rathaus: Der Regierende Bürgermeister hat seine Begrüßung absolviert, der Pressesprecher erteilt Flimm das Wort – und noch während dieser Luft holt, beginnt Barenboim zu reden. „Da geht’s schon los“, entfährt es Wowereit leise. Doch Flimm ist zu sehr Profi, um sich etwas anmerken zu lassen, und gibt lieber zu Protokoll, seine erste Amtshandlung als Chef in Salzburg sei ein Anruf bei seinem lieben alten Freund Daniel gewesen.

Als Jürgen Flimm vor zwölf Tagen bekannt gab, er werde seinen bis 2011 laufenden Vertrag mit den Salzburger Festspielen nicht verlängern, wurde so mancher hellhörig in Berlin. Von den „mehreren Optionen“ sprach er in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“: Er könne sich vorstellen, entweder an eine andere Institution zu gehen, als „Regisseur und Lehrer“ nach Amerika oder in die Kulturpolitik. Letztlich lockte ihn die deutsche Hauptstadt am meisten.

Wenn Flimm mit der Machtverteilung an der Staatsoper zurechtkommt und Lust hat, als Botschafter seines künftigen Hauses in die Stadt hinein zu agieren, dann wird er viel Spaß an dem Job haben. Mit seinen Impresario-Fähigkeiten, die unbedingt Partylöwentum und Dampfplauderei einschließen, wird er in Berlin weiter kommen als zuletzt in Salzburg. „Salzburg ist ein ganz schweres Pflaster“, hat er in der „Zeit“ zugegeben: „Auch ich habe die Schwierigkeiten unterschätzt.“ Bei den Piefkes geht es ruppiger zu, dafür aber meint man auch das, was man sagt.

Den rauen Tonfall hat er bei seinem vorletzten Job schon geübt, als Intendant der Ruhrtriennale. Hier hat er zwar das Festival nicht neu erfunden, die Qualität aber doch auf hohem Niveau stabil gehalten. Und er hat das getan, was man sich von ihm auch in Berlin erhofft: Er hat seine Freunde zusammengetrommelt. Künstler wie Rocklegende Patti Smith, Koloraturkönigin Cecilia Bartoli, Altmeisterin Andrea Breth, Shootingstar Alvis Hermanis, die Schauspieler Barbara Sukowa und Tobias Moretti. Von Moritz Eggert ließ der bekennende Fußballfan ein Oratorium mit dem Titel „Die Tiefe des Raums“ komponieren.

Wenn Flimm große Namen nun auch nach Berlin holt, ins Schillertheater wohlgemerkt, wenn er der Ausweichspielstätte damit Aufmerksamkeit sichert, dann ist das schon eine Menge. Vielleicht gelingt es ihm gar, Riccardo Muti für eine Produktion an der Bismarckstraße zu gewinnen, den schwierigen Maestro und ehemaligen Mailänder Scala-Chef, den Flimm bereits bei den Salzburger Pfingst- und Sommerfestspielen als Publikumsmagneten installiert hat.

Natürlich ist ein 67-Jähriger nicht unbedingt das Modell Zukunft. Sicher wird er, wie es der größte aller lebenden Intendanten, Gerard Mortier, vorgemacht hat, an seinem neuen Arbeitsplatz Ideen aufwärmen, mit denen er schon früher Erfolge verbuchen konnte. Wer will einem derart erfahrenen Theatermacher das verübeln? Wichtig ist doch auch, dass die Stimmung stimmt, dass der Chef den Leuten Lust macht, in sein Theater zu kommen. Es wird eben überall nur mit Wasser gekocht. Oder, um es mit der Schlager-Weisheit des Valente-Hits „Komm ein bisschen mit nach Italien“ zu sagen: „Denn am Tag scheint dort die Sonne und am Abend scheint der Mond.“

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