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Deutsches Theater Berlin: Bitte Brecht freundlich

Krise? Blase? Aufstand? Politik auf der Bühne ist tot: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ am Deutschen Theater Berlin.

Es gab mal eine Zeit, und so lange ist das auch nicht her, da waren Theater und Kapitalismuskritik unzertrennlich. Sie waren ein Paar, das sich vielleicht gar nicht mehr so wahnsinnig liebt, aber aus gemeinsamen Feindschaften ungeheure Lebens- und Liebesenergie bezieht. Kinder hatte dieses Paar auch, aber die waren spät geboren und stark vernachlässigt. Das kapitalismuskritische Theater musste Abend für Abend die Verhältnisse aufspießen, seine Regisseurskarrieren pflegen und die großen Bühnen leiten. Eines Tages aber zerbrach die Ehe: Die Kapitalismuskritik war aus, die sozialistische Idee zerbröselt, und das Theater stürzte sich in die eigene Dekonstruktion, wie man das lustig-grimme Selbstzerstörungswerk nannte. Und als es damit fertig war, stellte das Theater staunend fest, dass die Zuschauerreihen immer noch gut gefüllt sind und man bereits das Jahr 2009 schreibt – und der Kapitalismus wieder so böse geworden ist, dass es zum Himmel stinkt und nach profunder Kritik schreit.

Bloß wie? Wie macht man Kapitalismuskritik, wenn man ausgerechnet 1968 geboren ist und nicht die geringste Lust hat, das Theater seiner Rabenväter zu wiederholen? Nun, der Regisseur Nicolas Stemann nimmt am Deutschen Theater Berlin die schwere Sache leicht. Er holt „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Brecht aus der Vitrine – jenes um 1930 bald nach der „Dreigroschenoper“ (Bank! Einbruch! Bettler!) entstandene Börsendrama auf dem Fleischmarkt von Chicago. Stemann stellt den Klassiker (Spekulationsgeschäfte! Armut! Massenarbeitslosigkeit!) auf die Bühne, als wär’s ein großes totes Tier, das ausgeweidet wird. Eine fremde Kreatur: Im Anfangsbild blättern die Schauspieler in der Suhrkamp-Stückausgabe und wundern sich über so eine hohe Sprache. Es geht locker zu, wie auf der Leseprobe, Brecht ist ja so weit weg! Meint der das alles ernst? Andreas Döhler, Felix Goeser und Matthias Neukirch lungern da herum wie in einer Lounge, und so klingt auch die (live gespielte) Musik von Thies Mynther: wie ein loungemäßig durchgespülter Weill-Dessau- Brecht-Choral. Die Typen reden lässig, locker und ein bisschen maulig und schanzen einander, das Leben ist sowieso aus Zufällen zusammengesetzt, die Brecht-Rollen zu. Du bist jetzt der Mauler, das große böse Spekulantenschwein, und nachher kann ich den ja auch mal machen ... Und Katharina Marie Schubert findet sich offenbar zu ihrer größten Verblüffung in der Rolle der Johanna Dark wieder, jener frommen Heilsarmeefrau, die in die Hölle von Armut und Ausbeutung hinuntersteigt und von allen benutzt wird, den Arbeitern wie den Kapitalisten. Sie trägt ein Glitzerkleid (Kostüme: Esther Bialas), und wenn man sie so sieht mit den drei Herrn der Erschöpfung, dann kommen die wohl alle gerade von einer Party und sollen jetzt ein ernstes Stück spielen. Bitte Brecht freundlich, grinsen sie und labern ins Standmikrofon.

So beginnt dieser dreistündige Stemann-Abend mit Video (Banken! Polizei! Demonstranten!), und nun springen wir gleich an den Schluss. Der Johanna geht es gar nicht gut, es geht mit ihr zu Ende, aber sie spricht immer noch im Plastikton einer Fernsehmoderatorin. Die Mauler halten immer noch Maulaffen feil, doch inzwischen ist Margit Bendokat aufgetreten, diese wunderbare Schauspielerin mit dem berlinischsten aller Berliner Organe. Das dringt durch, das trifft ins Herz, das kann agitieren und rühren zugleich. Margit Bendokat, mit Hartz- IV-Trainingsklamotten und Lidl-Tüte, spielt die hungrige Witwe eines im Schlachthof verunglückten Arbeiters. Sie ist die einzige hier, die ihre Figur nicht denunziert. Das besorgt dann die Regie. Die Bendokat spricht von der Möglichkeit und Notwendigkeit eines kommunistischen Aufstands und wird erschossen. Und mit ihr wird der scharfe Brecht-Ton umgenietet, eine ganze Epoche, der sprachliche Gestus eines Theaters, das einmal etwas bedeutet hat – und bedeuten konnte. Und die Johanna Dark sieht’s und zuckt mit den Achseln, pfff!

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder macht sich Stemann über das alte politische Theater und seine Parolen lustig und findet das alles eigentlich blöd: Dagegen spricht, dass das im Grunde schon Brecht erledigt. Er liefert die Skepsis und die Selbskritik gleich mit. Oder Stemann will zeigen, dass wir unfähig sind, politisches Theater überhaupt noch auf die Bühne zu stemmen. Dafür spricht die Mauligkeit seiner Protagonisten, ihre demonstrativ zur Schau gestellte Unlust und ihr fader Zynismus. Seht her, so verkommen sind wir!

Die Haltung überträgt sich auf die gesamte Veranstaltung. Zynisch, müde, gequält höflich und heiter. Kurz: verlogen. Was soll’s, Brecht ist Mist, Kapitalismus ist Scheiße, und dem Theater fällt dazu halt nichts mehr ein. Aus dem Museum geholt wirkt der große, ernst dreinblickende Chor, den Stemann wacker aufmarschieren lässt. Chöre sind gerade in Mode, und das passt ja irgendwie gut zu einem alten Börsenhaifisch wie Brecht, mit dessen Weisheiten die Blasenentzündungen der Finanzwelt im 21. Jahrhundert nicht mehr zu diagnostizieren und zu heilen sind.

Das wäre noch die Frage: Taugt Brecht wirklich nichts mehr? Um das herauszufinden, müsste man sich auf den Text der „Heiligen Johanna“ einlassen – auf sein Pathos, seinen Witz, seinen marxistischen wie zutiefst pessimistischen Gehalt (der Mensch ist schlecht). Johanna Dark – die Dunkle. Outgesourct ins Programmheft, finden sich all die Erkenntnisse, mit denen Regie wuchern könnte: Brechts Beschäftigung mit Goethes „Faust“ und Schillers Ideen zur Erziehung des Menschen, aber auch mit Homer. Die „Heilige Johanna“ liest sich als ein großes Menschheitsstück, Brechts Rindfleischberge und -fabriken lassen die Tötungsmaschinerie der Nazis schon ahnen.

Stemann aber trauert um die verlorenen Mittel, um die Kräfte, die das Theater nicht mehr durchströmen, aber auch diese Trauer weint bloß Krokodilstränen, und zu einer kompletten Brecht-Demontage reicht die Kraft nicht. Ein schrecklich matter Abend zwischen Hoffen, dass es einmal wieder besser wird, und Bangen, dass es jetzt immer so läppisch weitergeht. So ist vielleicht die Stimmung in der Stadt und im ganzen Land, aber vor allem auch am Deutschen Theater, das sich hier selbst einen Spiegel vorhält. „There is no alternative“, steht da groß auf der Bühne geschrieben. Wir haben keine Wahl. Wir müssen da durch.

Wieder am 21. und 29. Dezember

Rüdiger Schaper

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