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Schaubühne: Piepshow

Possierliche Anekdoten und gnadenlose Nabelschau: "Entgrenzung" im Studio der Schaubühne.

„Wie machst du auf dich aufmerksam, wenn du auf eine Berlinale-Party kommst, wo keiner dich kennt?“, fragt Niels Bormann seinen Kollegen Kay Bartholomäus Schulze. Der nimmt kurz Anlauf und wirft sich der Länge nach auf den Boden. In der Regel, erklärt er, komme nach einem derart tragischen Sturz sofort irgendeine Regie-Koryphäe auf ihn zu und biete ihm eine Rolle an. Die Strategie, zwinkern die Akteure in Richtung Zuschauerraum, sei durchaus zur Nachahmung in anderen Berufskontexten empfohlen.

Später führt Bormanns und Schulzes Kollege Felix Römer die dramatischen Gefühlsspeicherzonen seines Körpers vor. Stolz hält er seinen „Thomas-Bernhard-Knöchel“ hoch, winkelt das „Shakespeare-Knie“ an und entblößt den säuberlich in eine Tragödien- und eine Komödienbacke ausdifferenzierten Hintern. Um zu überprüfen, ob auch wirklich Schnitzler und Tragödie rauskommt, wo Schnitzler und Tragödie draufsteht, darf eine Zuschauerin aus der ersten Reihe verschiedene Römer-Körperteile anfassen. Nach einer weiteren Zehn-Minuten-Nummer – der Schauspieler berichtet jetzt von den Proben zu „Electronic City“ mit dem Regisseur Tom Kühnel vor sechs Jahren – wissen wir allerdings, dass Felix Römer noch viel glücklicher gewesen wäre, wenn die Zuschauerin ihn gebeten hätte, einfach ganz er selbst zu sein.

Als Nächstes ziehen sich die Schauspieler Ulrich Hoppe und Urs Jucker aus und wieder an – in einem Wettkampf, den das Publikum mit rhythmischem Klatschen und wahlweise „U-huurs“- oder „Ul-li“-Rufen unterstützen darf. Schauspieler, erfahren wir, müssen ja so schnell die Klamotten wechseln können wie kaum eine andere Berufsgruppe!

„Schauspieler plaudern aus dem Nähkästchen“ – das wäre ein guter Titel für Frank Oberhäußers Zwei-Stunden-Projekt im Studio der Berliner Schaubühne gewesen. Oder: „Wir alle spielen Theater“ – in wackerem Gedenken an den populärsoziologischen Klassiker von Erving Goffman; Erscheinungsjahr 1959.

Der Abend heißt aber „Entgrenzung“ und will laut Programmheft nach den jüngsten Tendenzen im Erwerbsleben fragen. Zum Beispiel nach der zunehmenden Vermengung von Arbeits- und Privatsphäre. Mit Schauspielern, die sich für jede Rolle neu öffnen und noch die verquersten Regie-Ideen auf der Bühne buchstäblich verkörpern müssen, ohne dabei den professionellen Selbstschutz (und den letzten Glaubensfunken an die Menschheit) zu verlieren, ließe sich darüber nachdenken. Aber Oberhäußer und seine Darsteller kommen selten über Backstage-Anekdötchen hinaus. Am komplexesten Punkt hockt Judith Rosmair in einem Holzschrank, der sich auf Münzeinwurf öffnet, und spielt wie in einer Peepshow verschiedene Arbeitnehmerinnen-Figuren durch. Im Übrigen hat das Theater an diesem Abend mal wieder gezeigt, wie gnadenlos possierlich es sich um sich selbst drehen kann. Christine Wahl

Wieder heute, 20.30 Uhr

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