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Kraemer

© David Heerde

Sebastian Krämer: Kleinkunst macht auch Mist

Klavier, Karriere, Kabarett: Sebastian Krämer steht vor dem großen Sprung aus Friedrichshain.

„Du hast einen Drachen für mich gebaut“, singt ein Mann seinem Kind vor. Die Stimme klingt zärtlich. Die Melodie, die er seinem Klavier entlockt, schwebt perlend vorbei. Doch dann fährt er fort: „Wass’n das für’n Drache? Drachen fliegen hoch am Wind, das hier fliegt höchstens auf den Müll!“

Sebastian Krämer, Verfasser dieses Liedes, sitzt im kargen Garderobenraum des Zebrano-Theaters in Friedrichshain. Er trägt einen hellgrauen Baumwoll-Zweireiher und scheint sich unbehaglich zu fühlen. Die Hände spielen unruhig ineinander, jedes seiner Worte wägt er vorsichtig ab, seine Blicke eilen unstet durch den Raum. Dabei ist Krämer es gewohnt, angeschaut zu werden. Zwischen 100 und 150 Auftritte hat der 33-jährige Kabarettist in den letzten Jahren absolviert und ist dabei einer der erfolgreichsten Kleinkünstler Deutschlands geworden. Vor ein paar Wochen hat er den Oscar dieser Disziplin, den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Chanson/Musik/Lied erhalten. In einer Stunde wird er im Zebrano-Theater als Mitglied des Wortvarietés Dienstagspropheten auf der Bühne sitzen, doch die Kollegen lassen noch auf sich warten.

Krämers aktuelles Programm heißt „Krämer bei Nacht“. Auf der CD dazu („Schlaflieder zum Wachbleiben“) werden nicht nur Kinder in die Schranken gewiesen, sondern auch U-Bahn-Musikanten gerüffelt. „Spiel! Spiel! Spiel! Mein Tag ist ohnehin schon trüb“, empfiehlt der Künstler mürrisch einem „Sinti und Roma“, der mit seiner Geige und seiner Flasche Bier zusteigt. „Doch vorher: Üb! Üb! Üb!“

Wird Krämer böse, wenn man ihn mit Georg Kreisler vergleicht? Immer wieder fällt dessen Name, wenn Kritiker ihn einordnen wollen. Zum ersten Mal sucht der schüchterne Mann Augenkontakt. Wiegt bedächtig den Kopf. „Ich versuche gar nicht erst, die Meisterschaft von Kreisler zu erreichen, aber vielleicht eine andere, ausgehend von einem Stil, den er maßgeblich mitgeprägt hat, der aber für mich bereits ein historischer ist.“

Sebastian Krämer formuliert immer so. Er ist ein Mann aus gutem Haus, und er macht keinen Hehl daraus. Geboren wurde er 1975 in der ostwestfälischen Provinz, sein Vater war Studienrat. Angesichts schlechter Klausuren seiner Schüler – so wird Krämer später auf der Bühne in einem autobiografischen Text bekennen – neigte der Vater zur Verzweiflung. Er verteilte die zu korrigierenden Hefte in der Wohnung und rief: „Was soll ich dem denn geben?“ Der kleine Sebastian hüpfte als intellektuelles Gewissen um ihn herum und schlug vor: „Na, eine Sechs, Papa! Oder eine Fünf!“ Nicht immer blieb dieser Rat ungehört.

So etwas prägt. Ein Leben lang. Da das Elternhaus nicht nur intellektuell, sondern auch musikalisch ist („Wir hatten einen Flügel und ein Klavier“), bekommt Sebastian schon früh privaten Unterricht und schreibt als Jugendlicher eigene Lieder. Seine ersten Auftritte absolviert er mit 17 Jahren, Gastspiele in ganz Deutschland und der Schweiz folgen bald. Von 1993 bis 2000 ist Krämer Mitglied der von Christof Stählin geleiteten Friedberger Akademie für Poesie und Musik SAGO. Stählin, ein Lautensänger, Liedermacher und Schriftsteller, führt in der SAGO junge Musiker zu Seminaren zusammen. Auch ihn, sein erklärtes Vorbild, hat Krämer für heute Abend ins Zebrano-Theater eingeladen. 1996 zieht der Nachwuchs-Entertainer nach Berlin. Sein Studium der Musikwissenschaft bricht er ab, als die Auftritte in der Scheinbar, im Grünen Salon, im Zebrano und auf Lesebühnen überhandnehmen. Das Fernsehen wird aufmerksam auf den jungen Mann am Klavier. Er bekommt Einladungen in Kleinkunstsendungen jenseits der Primetime, wie „Night-Wash“ oder „Ottis Schlachthof“.

Wenn Sebastian Krämer von diesen Erfolgen erzählt, spürt man, dass er auch einiges von Karriereplanung versteht. „Die Internetplattformen werden wichtiger“, sagt er. „Da haben wir eine ganz andere Ausgangssituation als vor sechs Jahren.“ Weil er weiß, dass Fans seine Auftritte auf Youtube hochladen werden, spielt er vor der Kamera gern Stücke, die er vorher noch nie gesungen hat. So werden Internetnutzer neugierig auf ihn, und weil sie die neuen Stücke nicht auf der CD finden, kommen sie zu den Liveauftritten. Immerhin muss Krämer ja nicht nur sich selbst, sondern seine Frau und die beiden kleinen Söhne durchbringen, die vier und sechs Jahre alt sind – und ihm hoffentlich keinen Drachen bauen.

Immer häufiger öffnet sich nun die Tür zur Garderobe. Langsam trudeln die Kollegen für die Show ein. Martin Betz hat sich bereits im Theatersaal ans Klavier gesetzt und memoriert die Stücke, die er zum Einlass und in der Pause spielen wird. Christof Stählin stimmt seine Laute. Die Abendkasse öffnet.

Wie sehen Krämers Zukunftspläne aus? Da muss er nicht lange überlegen. Der Aufbruch in die größeren Spielstätten Berlins steht an. Zunächst bestreitet er am 17. April einen Soloabend im Haus der „Wühlmäuse“. Dort will er im November auch ein größeres musikalisches Projekt vorstellen, zum ersten Mal mit Band. Der US-Entertainer Billy Joel zählt zu seinen Idolen. In den nächsten Jahren geht es Sebastian Krämer vorrangig um die „Tendenz zur Bekanntheit“.

So beendet er das Gespräch. Er muss noch seinen Schlips knoten. Das Publikum wartet schon.

Sebastian Krämer tritt am morgigen Samstag beim „Kantinenlesen“ in der Kulturbrauerei auf (20 Uhr). Am 5. April moderiert er den „Club Genie und Wahnsinn“ im Zebrano-Theater (Sonntagsstraße 8, Friedrichshain) 20 Uhr 30.

Knud Kohr

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