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© Davids/Huebner

Sein oder Nichtsein: Der doofe Diktator

Lubitsch light: „Sein oder Nichtsein“ als Premierenpleite zum Vergessen am Deutschen Theater.

Keine Frage: Es kommt Bewegung in die einst so gut sortierte Berliner Theaterszene. Hatte man sich in der letzten Volksbühnen-Premiere schon sekundenweise wie im Berliner Ensemble gefühlt, überrascht das Deutsche Theater jetzt mit abendfüllendem Boulevard von Admiralspalast-Gnaden.

Der Regisseur Rafael Sanchez hat auf der großen (Dreh-)Bühne mit viel Liebe zum Detail Ernst Lubitschs Filmklassiker „Sein oder Nichtsein“ aus dem Jahr 1942 nachinszeniert. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs probt ein Warschauer Theaterensemble die Hitler-Farce „Gestapo“. Doch auf Druck der Regierung sagt der Regisseur die Premiere kurzfristig ab und lässt stattdessen den vergleichsweise unverfänglichen „Hamlet“ spielen. Nach dem Einmarsch der Deutschen wird aus der geprobten Hitler-Farce aber plötzlich Ernst. Um zu verhindern, dass der Nazi-Agent Professor Silewski der Gestapo wichtige Informationen über die polnische Widerstandsbewegung liefert, müssen die Schauspieler ihre Nazi-Kostüme aus dem Fundus holen und selbst in die Rollen von Gruppenführer Erhardt, Spion Silewski und Adolf Hitler schlüpfen.

Im Programmheft denkt der Autor und Filmkritiker Georg Seeßlen über die „historische Unschuld“ nach, die Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ – genau wie Charles Chaplins zwei Jahre früher entstandenen Film „Der große Diktator“ – „unwiederholbar“ mache: „Man kann weder den einen noch den anderen Film mit der Realität von Auschwitz zusammen denken.“

Auf der Bühne sucht man derlei kluge Gedanken leider vergeblich. Sanchez versucht gar nicht erst, dem Film einen Mehrwert abzugewinnen. Kein Aspekt nirgends, der auch nur ansatzweise begründen könnte, warum es diese Theaterinszenierung geben muss. Die Naivität, mit der Sanchez’ reichlich zweistündiger Abend zwischen Widerstandsschmonzette und Schenkelklopfer über die von Simeon Meier mit historisierendem Mobiliar ausstaffierte Drehbühne rollt, lässt einen tatsächlich offenen Mundes staunen.

Lauter an sich tolle Schauspieler – Bernd Moss als eitler „Hamlet“-Darsteller Joseph Tura, Maren Eggert als seine affärenfreudige Frau Maria oder Christoph Franken als deren Fliegeroffiziersgeliebter – sind in ein derart flaches Komödienkorsett eingeschnürt, dass man im Publikum solidarisch mitleidet. Da weitet sich bereits enorm die Lunge, wenn Ingo Hülsmann als Silewski den braven Komödienrealismus wenigstens momentweise mit einem Hauch von Trash und Tarantino auskontert – im Wesentlichen schon durch die schlichte Weigerung, sich dümmer zu stellen, als er ist. Strategisch genau entgegensetzt, aber gleichermaßen erfolgreich torpediert Jörg Gudzuhns Gruppenführer Erhardt den humoristischen Biedersinn. Er tritt die Flucht nach vorn durch gnadenlos krachledernes Overacting an.

Was einen an diesem Abend wirklich umhaut, ist seine unfreiwillige, in aller Unschuld über die Rampe transportierte Ignoranz. Der 34-jährige Sanchez, der seit der Saison 2008/09 gemeinsam mit Barbara Weber das Zürcher Neumarkt-Theater leitet, tut geradezu so, als sei der Diskurs „Darf man über Hitler lachen?“ eben erst erfunden worden. Logisch, dass er sich damit auch auf der Spiel-im-Spiel-Ebene nur blamieren kann. Zur komplizierten Dialektik zwischen Bühnenfigur und Leben, die man Schauspielern ja seit jeher gern unterstellt und die bei Lubitsch zum Handlungsmotor schlechthin wird, fallen Sanchez fast ausschließlich Mottenkisten-Tricks ein. Hier hüpft man so säuberlich und eins zu eins von einer Rolle in die andere, als gäbe es nicht seit Jahrzehnten postmoderne Identitätsdiskurse – und weder einen Frank Castorf noch einen René Pollesch in dieser Stadt. „Wir stehen hier Abend für Abend auf der Bühne und müssen den Schwachsinn spielen, den Sie inszenieren“, brüllt da etwa ein aus der Rolle gefallener „Gestapo“-Darsteller seinen Regisseur Dowasz (Harald Baumgartner) an – und bekommt immerhin Szenenapplaus.

Davon abgesehen sorgt lediglich eine juristische Angelegenheit für ein gewisses Erregungspotenzial. Und zwar aufseiten des Autors Jürgen Hofmann: Der verteilte vor dem Deutschen Theater Flugblätter, weil das Haus – anders als ursprünglich geplant – seine Lubitsch-Bearbeitung „Noch ist Polen nicht verloren“ aufgrund der Rechtelage kurzfristig durch die eng am Drehbuch entlanggestrickte Nick-Whitby-Fassung ersetzte.

Bleibt eine neuerliche Premierenpleite am Deutschen Theater, die man am liebsten ganz schnell vergessen möchte.

Nächste Vorstellungen: 27. und 29.11.

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