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Tim Fischer singt Georg Kreisler: Weltschmäh

Das Publikum jubelt: Der olle Georg Kreisler versteht sein Handwerk. Tim Fischer singt ihn pur - im Kreuzberger BKA-Theater.

Grauer Anzug, schwarzes Hemd. „Was machen wir eigentlich , wenn die Musik eines Tages abhanden kommt?“, fragt der kleine Mann. Er steht steif wie ein Ladestock an der Bühnenrampe des BKA und singt: über Spießer, die von Beruf auf den Tod warten. Über die Erde, die „sich dreht wie am Spieß“. Über den Euro, der bleibt, wenn alle Museen, Theater, Buchläden abgewickelt sind. Über Europa, dieses „Wirtshaus ohne Krach“, in dem alles schon erfunden ist. Tim Fischer verzichtet auf Moderation und auf Glamour, er singt Georg Kreisler pur: „Gnadenlose Abrechnung“ (Mehringdamm 34, wieder an diesem Sonntag, 19.30 Uhr sowie vom 11. bis 15. November).

Das Publikum jubelt: Dieser olle Kreisler versteht sein Handwerk. So perfekt baut heute keiner mehr Chansons. „Vielleicht ist die ganze Welt nur ein Walzer von Strauß/ Nur eines ist sicher: Ich kenn mich nicht aus“, singt der kleine Mann. Pointen, Gelächter. Gefühlte Weisheit, biss’l Weltschmäh. Der Pianist (Rüdiger Mühleisen) trägt Frack.

Mit Kreisler/ Fischer haben sich zwei Versteckspieler gefunden, die nicht für einander bestimmt waren. Wo sich der altmodische Couplet- und Moritaten-Klassiker der surrealen Poesie, dem Horror-Abgrund blauer Augen und anderen Lebensfallen zuwendet, brillieren seine Miniaturen tragikomisch: „Hier fühl ich mich zuhaus, hier kann man mich benützen und hier geh ich zugrund, mein Schtetl.“ Doch oft versteckt er sich hinter formulierten Posen: der „Alles ist sinnlos“-Phrase, lustvoll inszeniert als Katastrophenszenario; hinter moralisierenden Attacken auf „die da“; hinter abgenudelter Technologie- und Fortschrittsphobie.

Fischer, der junge Sänger, dient diesen sarkastischen Satiren, er hat sie verdienstvoll ausgegraben und reanimiert, er verehrt sie, das ist seine Stärke. Und seine Schwäche, er knackt sie nicht. Er reproduziert die inhaltlichen Posen, verbirgt sich selbst hinter manierierter Aussprache und Grimassen. Er singt, was passiert, wo Masken fallen: „Wenn alle das täten, dann müssten wir improvisieren. Nur Menschen wie Sie und ich!“ Er rollt mit den Augen.

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