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Kultur: Bushs Traum als Superparty

Horizonterweiterung gen Osten: die Ausstellung „E. U. Positive“ in der Berliner Akademie der Künste

Die Braut trägt Weiss, eine Musikkapelle spielt den Hochzeitsmarsch, nur ein Detail stört: Die Frau, die in Wahrheit ein Mann ist, hat die Augen verbunden – hilflos und blind, aber voller Erwartungen geht es auf die Reise in eine ungewisse Zukunft. Die Videoinstallation „Wedding“ des 36-jährigen Esten Marko Laimre beschreibt nicht nur treffend eine momentane Gefühlslage, sondern die Schwierigkeiten bei der Annäherung zweier Unbekannter – und sie ist auch kein Kommentar zur EU-Erweiterung, da bereits vor drei Jahren entstanden.

Laimres Arbeit ist Teil einer Ausstellung, die sich mit jenem Thema beschäftigt, das derzeit aus nahe liegenden Gründen größte Konjunktur hat: der neue Osten und seine Kunstszenen. „E. U. Positive“ lautet ihr ambivalenter, weil sowohl nach Zustimmung als auch nach Virusinfektion klingender Titel. Sie ist die vierte umfangreiche Kunstschau ihrer Art in den vergangenen vier Jahren in Berlin. Um es vorwegzunehmen: Im Vergleich zu früheren Unternehmungen hebt sich „E.U. Positive“ durch Einfühlsamkeit, Subtilität und den Verzicht auf willig-billige Schockeffekte angenehm von ihren Vorgängern ab.

Vielleicht ist es auch eine Frage der Generation: Die meisten Künstlerinnen und Künstler von „E.U. Positive“ sind in den Sechzigerjahren geboren und damit das entscheidende Jahrzehnt später, um sich nicht mehr nur an den Deformationen des kommunistischen Erbes abzuarbeiten. Waren gerade die Berliner Ausstellungen „After the Wall“ und „Privatisierungen“ durch auffallend brutale, betont drastische Kunst geprägt, so greift die von Eckhart Gillen und Matthias Flügge kuratierte Schau in der Akademie der Künste die politischen Veränderungen in einer völlig anderen Tonlage auf. Zwar spielt das Gesellschaftliche auch hier eine Rolle, doch sind es mehr die privaten, intimen Standpunkte und Ausdrucksformen, die den Betrachter faszinieren.

Der Rundgang beginnt bereits im Treppenhaus, wo der Deutsche Thomas Schulz alias Mutabor eine Klanginstallation mit Willkommensgrüßen in allen europäischen Sprachen aufgebaut hat. Derart auf Vielstimmigkeit vorbereitet, steht man dann alsbald in einem labyrinthischen Gang, an dessen Wänden ungefähr 100 Fotografien des ältesten Künstlers in der Ausstellung hängen, des 1939 in Kluoniskiai, Litauen, geborenen Antanas Sutkus. Er ist einer der Großen seiner Zunft, seine Bilder halten magische Augenblicke fest und erzählen gleichzeitig komplette Geschichten, zumindest glaubt man das.

Dass Sutkus’ „Archiv“ der Gesichter, der kostbaren Momente und sprechenden Situationen am Anfang der Ausstellung steht, beweist, wie durchdacht die Schau aufgebaut ist. Denn so geht es geradewegs weiter: mit den geistreichen, komischen und auch melancholischen Videoarbeiten der Estin Kai Kaljo, die in „The Loser“ Auskunft über sich als Künstlerin gibt und dafür von einem unsichtbaren Publikum nur schallendes Hohngelächter erntet; mit den rätselhaften, ironischen Gemälden des Ungarn Adrian Kupcsik; mit den etwas weniger rätselhaften, aber umso ironischeren Fotoinszenierungen des Polen Zbingiew Libera, der in „Sen Busha“ („Bushs Traum“) die Ankunft amerikanischer Soldaten in Bagdad als Superparty fingiert.

Die Lettin Laila Pakalnina hat Menschen auf den Straßen ihrer Heimatstadt Riga Kopfhörer mit Musik aus Mozarts „Zauberflöte“ aufgesetzt und ihre Reaktionen gefilmt, der Litauer Arturas Raila zeigt eine Gruppe von Neonazis beim abfällig-dämlichen Kommentieren eines Filmes, den Raila im österreichischen Linz aufgenommen hat. Absolut zeitgenössisch wirkt auch die Gemälde-Collage des tschechischen Malers Jiri Cernicky, der merkwürdige geistige Landkarten zu wandfüllenden Arrangements kombiniert, während sich die Rumänin Aneta Mona Chisa auf die studentenbewegte Aktion „Tap and Touch Cinema“ der Österreicherin Valie Export von 1968 bezieht, die sie in einen heiteren Feminismus umdeutet. So kann zusammenwachsen, was erst seit kurzem zusammengehört. Die beste Ausstellung seit langem, unabhängig von Geografie und Politik.

Akademie der Künste, bis 7. 11.

Ulrich Clewing

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