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Sopranistin Vera-Lotte Boecker in der Titelpartie.

© Monika Rittershaus

Castellucci inszeniert in Berlin: Es glimmt ein Hoffnungslicht

Romeo Castellucci inszeniert „Daphne“ von Richard Strauss an der Berliner Staatsoper. Thomas Guggeis dirigiert sensibel, in der Titelrolle beeindruckt Vera-Lotte Boecker.

„Wenn du mich verlässt, geliebtes Licht, sind sie ferne von mir; Bäume und Blumen, Schmetterling, Quelle.“ Daphne, die junge Wassernymphe, beklagt das Scheiden der Sonne, während das Horn des Fischers Peneios zur Dionysos-Feier ruft. Als Verkörperung der Natur ist Daphne menschliches Verhalten fremd. So auch das Fest der blühenden Rebe und der Paarung.

Aber das Dorf, das ein Gastmahl mit Lachen und goldenem Wein erwartet, liegt frierend im Schnee. Denn die Natur hat sich verwandelt, weil der Mensch sich an ihr vergangen hat. Und der einzige überlebende Baum, in der Kindheit Daphnes gepflanzt, will nicht gedeihen, bleibt ein kläglicher Strauch.

Regiezauberer Castellucci

Regiezauberer Romeo Castellucci hat die bukolische Tragödie von Richard Strauss weder in ein antikes Griechenland noch in eine idyllische Hirtenwelt verlegt, sondern in die Kälte, um die Distanzierung von der Natur zu unterstreichen, die unsere Epoche kennzeichnet. Er verantwortet in dieser Interpretation an der Berliner Staatsoper Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und Licht.

Es schneit immerfort. Der Schnee verbirgt viel, das Publikum soll selbst entdecken, was dennoch zu beobachten ist. Denn die Personenführung mit der bewundernswert biegsamen Vera-Lotte Boecker in der Titelrolle ist sehenswert. Als Kultfigur residiert an der Rampe die Büste Apollos vom Pergamonaltar.

Eingefrorene Natur

Das pastorale Vorspiel mit seinen Klangwundern bildet einen beredten Kontrast zu der eingefrorenen Natur der Szene. Die Regie spielt mit solchen Gegensätzen. Am Pult der sensibel musizierenden Staatskapelle steht Thomas Guggeis, Staatskapellmeister Unter den Linden und designierter Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt ab 2023/24.

Seine Strauss-Interpretationen in Berlin und Frankfurt haben zum Ruhm des jungen Dirigenten wesentlich beigetragen. Er hegt die durchsichtige Instrumentation der Partitur wie auch, etwa in einer Kussszene, ihre harmonisch kühnen Akkordschichtungen, die noch an „Elektra“ erinnern.

Fataler Kuss

Auf dem Dionysos-Fest küsst Apollo Daphne – um es ziemlich schnell wieder zu bereuen, weil er gegen seine göttliche Natur gehandelt hat. Auch tötet er seinen Nebenbuhler Leukippos, den Daphne seit Kindertagen liebt und nun tatsächlich dank der Regie mit Herzmassage zu retten sucht. Sie beerdigt ihn.

Trauermusik. Mehrdeutig sieht Castellucci den Schluss: Apollo erscheint unter dem Titelblatt des Erstdrucks von T.S. Eliots „The Waste Land“. Das gräbt sich ins Gedächtnis ein. Und es glimmt dennoch ein Hoffnungslicht für die Natur.

Das Werk, 1938 in Dresden unter dem Widmungsträger Karl Böhm uraufgeführt, wird selten gespielt. Zeitgeschichtlich ist es tragisch überschattet. Stefan Zweig, Dichter der „Schweigsamen Frau“, der für Strauss wegen der Rassegesetze des Naziregimes nicht mehr arbeiten konnte, empfiehlt als seinen Nachfolger den Wiener Theaterprofessor Joseph Gregor.

Musikalisches Juwel

Dessen „Daphne“-Entwurf bezeichnet Strauss als „imitierten Homerjargon“, und es bleibt bei einer schwierigen Zusammenarbeit. Denn seine Neigung zur griechischen Mythologie hatte der Komponist immerhin einst mit Hugo von Hofmannsthal teilen können. Nun bleibt das schwülstig-krause „Daphne“-Libretto.

Musikalisch aber ist die Aufführung ein Juwel. Überall solistische Glanzleistungen bis zu Evelin Novak und Natalia Skrycka, die sich in den kleinen Sopranrollen zweier Mägde profilieren. Peneios, der weise Fischer, wird von René Pape mit Autorität und sonorem Ton verkörpert. 

Die beiden Tenöre Magnus Dietrich und Pavel Cernoch finden ihre Spitzentöne als Leukippos und Apollo. Die Altstimme von Anna Kissjudit setzt Farbakzente, während Vera-Lotte Boecker die Szene als intensive Schauspielerin und musikalisch mit leuchtenden Kantilenen beherrscht. Hoch motivierter Premierenbeifall. 

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