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Die römischen Banditen von Charles Gleyre.

© RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Gérard Blot

Charles Gleyre Ausstellung: Der melancholische Romantiker

Mitte des 19. Jahrhunderts war er ein gefeierter Maler, heute ist er fast vergessen. Nun entdeckt das Pariser Musée d’Orsay den Schweizer Maler Charles Gleyre neu.

Die Zahl der Künstler, die Paris im 19. Jahrhundert zur Welthauptstadt der Kunst machten, ist schier unüberschaubar. Der grundlegende Wandel des Geschmacks - oder, um den Begriff zu gebrauchen, den der Kultursoziologe Pierre Bourdieu an der Malerei Manets gewonnen hat, die "symbolische Revolution" - im letzten Viertel dieses Säkulums hat indessen zahllose Künstler aus dem öffentlichen Gedächtnis vertrieben. Darunter sind auch solche, die eine Brücke bilden zwischen der akademischen Malerei und der ihrer späteren Verächter. Im Pariser Atelier des Schweizers Charles Gleyre haben spätere Impressionisten wie Renoir und Monet gearbeitet, aber zugleich Neoklassizisten wie Gérome; auch James Whistler zählte zu seinen Schülern. Gleyre selbst (1806-1874) war um die Jahrhundertmitte ein gefeierter Maler, dessen Gemälde "Der Abend" von 1843 unter dem romantisierenden Titel "Verlorene Illusionen" jahrzehntelang zum Inventar des bürgerlichen Geschmacks zählte.

Gleyre als Person hingegen geriet nahezu in Vergessenheit. Das Pariser Musée d'Orsay, das das ganze 19. Jahrhundert der französischen Kunst bewahrt, widmet ihm jetzt eine Retrospektive unter dem Titel "Der reumütige Romantiker". Sie zeigt einen Maler, dessen Werk man wahlweise als "vielgestaltig" oder "uneinheitlich" charakterisieren kann. Mit dem erwähnten "Abend" von 1843 feierte Gleyre einen enormen Erfolg, ungeachtet des Fehlens eines literarischen oder historischen Bezugs.

Die jungen Leute, die auf einer am Ufer liegenden Barke versammelt sind, evozieren die Antike, ohne tatsächlich antik zu sein. Das mag heutigen Betrachter weder auffallen noch gar als Mangel erscheinen; die offizielle Kritik der damaligen Zeit jedoch nahm dies sehr wohl wahr. An die Stelle der an einem idealisierten Griechentum ausgerichteten Malerei seiner Zeitgenossen liefert Gleyre ein Stimmungsbild, das vielerlei Interpretationen erlaubt. Die makellose Malerei, insbesondere das fein abgestufte Kolorit trugen erheblich zur Beliebtheit des Bildes bei.

Der Orient prägte Gleyres Melancholie

Im ausführlichen Ausstellungskatalog wird auf den Einfluss der (älteren) Darstellungen des vermeintlichen keltischen Barden Ossian wie auf die Figurenbilder Ludwig Richters hingewiesen. Doch deutlicher ist die eigene Erfahrung Gleyres im südlichen Mittelmeerraum. Er hatte Griechenland und sogar Ägypten bereist; was er fand und in wunderbar zartfarbigen Aquarellen festhielt, war eine Welt der Vergangenheit, keine der vitalen Urkräfte, wie sie die so genannten Orientalisten vorstellten. Das kleinformatige Gemälde des "Ramesseums" in Theben (1840) zeigt die großartige Ruine am Rande des Niltales in einer Weise, dass die durch die sengende Sonne bewirkte Vergänglichkeit als unausweichliches Schicksal erkennbar wird. Gleyres Melancholie hat sich im Orient vielleicht nicht gebildet, wohl aber ausgeprägt. Er galt später in Paris, obgleich ein guter Gesellschafter und geschätzter Lehrer, mehr und mehr als Eigenbrötler.

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Das großformatige Historienbild - die höchste aller Gattungen - der "Römer unter dem Joch" von 1858 war eine Auftragsarbeit seines Schweizer Heimatkantons Waadt, eine Szene der helvetischen Geschichtsmythologie. Lieber wandte er sich griechischen Themen zu, und der "Tanz der Bacchantinnen" (gezeigt im Salon von 1849) oder die delikate "Sappho" stehen beispielhaft für jene glatte, dekorative und technisch überaus verfeinerte Kunst, die im Zweiten Kaiserreich ihre Blütezeit erlebte; in ihrer unterschwelligen Erotik spiegeln sie die (Un-)Moral der damaligen Pariser Gesellschaft. Von dort zum Symbolismus ist es ein kurzer Weg, und Gleyre hat ihn mit dem rätselhaften, merkwürdig stumpffarbigen Gemälde "Die Sintflut" durchaus vorgezeichnet.

Ihm fehlte die Selbstsicherheit der wahren Salonmaler

Gleyre stirbt 1874 an einer inneren Blutung mitten in Paris. Sein Werk kommt durch Ankauf 1908 und nachfolgende Schenkungen ganz überwiegend ins Museum von Lausanne, der Hauptstadt des Kantons Waadt. Das mag dazu beigetragen haben, dass er im Panorama der Pariser Kunst des 19. Jahrhunderts nicht recht präsent ist. Ihm fehlte zeitlebens die Selbstsicherheit der wahren Salonmaler wie Gérome. Hinter der Perfektion seiner malerischen Oberfläche ahnt man Abgründe. Malen wollte er sie nicht. Er blieb innerhalb der Grenzen, die der Kunstbetrieb aufgerichtet hatte und eisern verteidigte, bis Courbet daran rüttelte und die Impressionisten sie niederrissen.

Paris, Musée d'Orsay, bis 11. September. Katalog (Ed. Hazan), 45 €. - Mehr unter www.musee-orsay.fr

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