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Kultur: Chefwechsel am Moskauer Bolschoi

Iksanov muss gehen, Wladimir Urin kommt.

Bis Dienstag, 9 Uhr Moskauer Zeit, war Anatoli Iksanow Chef von Russlands berühmtestem Musiktheater. Doch dann ließ sich Kulturminister Wladimir Medinski vorm Bolschoi-Theater vorfahren – und zückte auf der Belegschaftsversammlung die Entlassungsurkunde für den Boss. Und hatte den Nachfolger parat: Wladimir Urin, Direktor des Moskauer Stanislawski-Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheaters.

Der Wechsel, so der Minister, sei keine spontane Entscheidung gewesen. Iksanow, Bolschoi-Chef seit 2000, habe viel geleistet, „menschliche Kräfte“ seien jedoch „nicht endlos“ – aus Sicht von Iksanows Kritikern eine diplomatische Umschreibung dafür, dass der Musentempel zuletzt weniger durch Spitzentanz denn durch Skandale für Schlagzeilen sorgte.

Probleme gab es zunächst bei der Renovierung des Hauses. 2005 begonnen, sollte sie 2008 abgeschlossen sein, Wiedereröffnung war indes erst 2011. Dabei sei, so der russische Rechnungshof, die Kalkulation um das 16-Fache überzogen worden – und Milliarden Rubel seien in dunklen Kanälen versickert. Kritik kam auch aus den eigenen Reihen. Wortführer war der unlängst geschasste Meistertänzer Nikolai Tsiskaridse: Schon 2003 hatte er die Entlassung von Primaballerina Anastassia Wolotschkowa durchgesetzt – sie sei angeblich zu schwer für einen Schwan. Wolotschkowa verklagte das Bolschoi auf umgerechnet 750 000 Euro Entschädigung, kam damit jedoch nicht durch.

Direktor Iksanow schwieg, ebenso beim Skandal um Ballettchef Gennadi Janin, von dem Porno-Fotos per Mail an Tausende von Adressaten versandt worden waren. Auf seinen Nachfolger Sergei Filin wiederum wurde im Januar ein Säure-Anschlag verübt. Sein Augenlicht rettete eine Operation in Deutschland. Ins Kreuzfeuer der Kritik war der Bolschoi-Boss auch gekommen, weil er dem durch Spekulanten gesteuerten Ticket- Schwarzmarkt nicht beikam.

Ex-Kultusminister Michail Schwydkoj, derzeit Vizechef des öffentlichen Beirats beim Bolschoi, ließ sich unterdessen mit der Einlassung vernehmen, die Medien hätten die Vorfälle nur zu Skandalen aufgeblasen, der neue Direktor übernehme das Haus in gutem Zustand. Zu erwarten sei, dass er es künstlerisch ebenso erfolgreich entstaube wie seine bisherige Wirkungsstätte.

Dort allerdings brachte Wladimir Urin letztes Jahr ultraorthodoxe Fundamentalisten gegen sich auf. Sie warfen ihm vor, die Inszenierung von Benjamin Brittens Oper „Ein Sommernachtstraum“ propagiere Pädophilie und Drogen. Urin selber verkündete am Dienstag, „Revolutionen“ werde es nicht geben und die Truppe bei allen Entscheidungen mit angehört – auch zu der Frage, ob der gefeuerte Tsiskaridse zurückkehre. Letzteres wiederum hält Ex-Kultusminister Schwydkoj für „Selbstmord“. Tendenzen zum Suizid allerdings hat Wladimir Urin bisher nicht erkennen lassen. Elke Windisch

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