zum Hauptinhalt
Geschichten eines Lebens. Mit seinen Bilder fotografiert Christer Strömholm auch sein Leben. Hier "Gina und Nana", entstanden 1963 in Paris.

© C/O Berlin

Christer Strömholm: Die ganze Welt ein Selbstporträt

Ansichten eines Vagabunden: Die Galerie C/O Berlin zeigt Fotografien von Christer Strömholm zum ersten Mal in Deutschland. Und verabschiedet sich damit vom Postfuhramt.

Abschied nehmen, aber wie? Bis zuletzt bewies der große schwedische Fotograf Christer Strömholm (1918–2002) einen beneidenswerten Humor. So erzählt sein Sohn Joakim bei der Ausstellungseröffnung – mit der C/O Berlin seinem Austragungsort Postfuhramt Adieu sagt –, wie sein Vater eine Krankenschwester narrte. Drei Tage vor seinem Tod sackte Strömholm senior nach einer Injektion filmreif in sich zusammen. Und blinzelte die erschrockene Pflegekraft dann mit hellwachen Augen an, wie der Sohn berichtet.

Gut 150 Schwarz-Weiß-Fotos auf zwei Stockwerken, dazu Vitrinen mit Kontaktbögen, Arbeitsmaterial, Zeitschriften und Schriftstücken: „Post Scriptum“, die atemberaubende erste deutsche Strömholm- Retrospektive, zeigt die ganze Intensität, den Bild- und Lebenshunger, den Eros, den trotzigen Humor dieses einzigartigen Künstlers. Strömholm ist übrigens der einzige Skandinavier, der bisher in die ständige fotohistorische Sammlung des New Yorker MoMA aufgenommen wurde.

C/O Berlin erschwert die inhaltliche und zeitliche Einordnung der Bilder, trotz ungefährer Ortsangaben. Aber das ist Absicht. Der Betrachter soll sich in der Imagination verlieren, ohne Hilfestellung durch Namen, Titel, Daten – wie Joakim Strömholm, heute selbst renommierter Fotograf, das Credo seines Vaters erläutert.

Dennoch ist man dankbar, dass Strömholm junior durch die Ausstellung führt. Er schildert Hintergründe, nennt mitunter sogar doch Titel: „Little Christer“, Mitte der fünfziger Jahre abgelichtet, zeigt einen Jungen, der, zu einer Bühne hochblickend, ein Paar wohlgeformter Damenbeine bestaunt. „Mein Vater hat streng genommen immer nur Selbstporträts gemacht“, erzählt Joakim. Fotografie als Autobiografie. In einem Raum mit surrealen Motiven hängt das Foto eines Gemäldes im Sperrmüll. Dem gemalten Mann klafft ein Loch im Kopf. Der Sohn: „Mein Großvater hat sich erschossen, das hat meinen Vater verfolgt.“

Es ist das Jahr 1934, die Eltern sind längst geschieden, als sich Strömholms Vater, ein schwedischer Offizier, das Leben nimmt. Christer geht kurz darauf nach Deutschland, zwei Jahre darauf nach Paris, ein permanent Reisender, immer auf dem Sprung, stets in Aktion. Im spanischen Bürgerkrieg ist er Kurier für die republikanische Seite, zwischen 1940 und 1945 schließt er sich in Norwegen Widerstandskämpfern gegen die deutschen Besatzer an. Krieg ist thematisch präsent in der Ausstellung, aber Strömholm zeigt Gewalt nie direkt, stattdessen die Narben der Überlebenden und ihrer Nachkommen. Erschütternd sein Bildnis eines blinden Mädchens, das er 1963 in Hiroshima fotografierte.

Kinder sind bei Strömholm eigenständige Charaktere, denen der Fotograf auf Augenhöhe begegnet. Neugierig blicken zwei kleine Jungs in sein Objektiv, jeder hat sich eine Damenhandtasche geschnappt. Das Rätsel des seltsamen Bildes löst der Kontaktbogen: Strömholm streifte 1962 über einen Flohmarkt in Montreuil bei Paris, fotografierte Krempel, dann lief ihm ein Knirps, schließlich ein zweiter vor die Kamera – nach dem kurzen Handtaschen-Intermezzo suchten die Jungs wieder das Weite.

Live im Postfuhramt treffen wir zwei très chic gekleidete Damen. Es sind Jacky und Nana, die Strömholm im Paris der sechziger Jahre neben anderen Transsexuellen auf Kleinbildfilm bannte. „Es war sehr einfach, unkompliziert und natürlich, von Christer fotografiert zu werden“, sagt Nana. Sie steht vor einer dunkelroten Bilderwand, von der man die Schönheit und die Härte dieser Subkultur ablesen kann. Joakim Strömholm erzählt, dass vor 1983 niemand die Serie veröffentlichen wollte.

1962 fotografiert Strömholm auf einem Flohmarkt in Montreuil bei Paris diese beiden Jungs.
1962 fotografiert Strömholm auf einem Flohmarkt in Montreuil bei Paris diese beiden Jungs.

© C/O Berlin

In Paris formulierte sein Vater auch seine künstlerischen Fixpunkte: vorhandenes Licht, der bloßlegende Augenblick der Aufnahme (exposure moment), die persönliche Verantwortung des Fotografen. Dennoch bleibt Strömholms Werk ungewöhnlich variabel, lässt sich stilistisch kaum fixieren. Ein Extrakabinett zeigt den Einfluss der westdeutschen fotoform-Gruppe um Otto Steinert, der sich Strömholm zwischen 1949 und 1954 anschloss. Statt Menschen lichtete der Schwede hier einmal Landschaftsfragmente und Zufallsstilleben ab – mit starkem formalem Gespür, das in der gesamten Ausstellung sichtbar ist. In jedem Bild gibt es diesen Clou, der einen hineinzieht.

Wenn diese fulminante Ausstellung zusammen mit den „Paradies“-Filmstills von Ulrich Seidl Mitte März abgebaut wird, werden an der Oranienburger Straße auch die Umzugskisten gepackt. Ende 2013 soll es für C/O Berlin im Amerika-Haus in Charlottenburg weitergehen, während im Postfuhramt ein Herzschrittmacher-Begegnungszentrum eröffnet. Es ist eben nicht zu ändern: Unser Körper, unsere Wohnungen, unsere Flughäfen, unsere Museen – alles nur vorübergehende Orte. Insofern passt nichts besser zum Finale in Berlin-Mitte als die Leuchtschrift „All Palaces Are Temporary Palaces“. Die Lichtskulptur des Briten Robert Montgomery, Jahrgang 1972, ist hoch droben am historistischen Portal des Postfuhramts angebracht. Ein Trost, eine Mahnung vielleicht, doch sicher auch Motivation, nach vorne zu schauen.

Galerie C/O Berlin, Oranienburger Straße 35/36, bis 17. März, tgl. 11–20 Uhr

Jens Hinrichsen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false