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Das Leben ist eine Baustelle. Christoph Schlingensief (1960 - 2010) und der Architekt Diébédo Francis Kéré in Burkina Faso.

© Aino Laberenz/Filmgalerie 451

Christoph Schlingensief: Feuer im Herzen

Sibylle Dahrendorfs Film „Knistern der Zeit“ begleitet Christoph Schlingensief in sein afrikanisches Operndorf.

Den Tod kann man nicht besiegen. Aber was sonst hat Christoph Schlingensief getan? Er schrieb, er inszenierte, er machte Pläne, er unternahm nach seiner Krebsoperation Reisen, die selbst einen kerngesunden Menschen auf eine harte Probe gestellt hätten. Schlingensief hat dem Tod nichts geschenkt, denn er ließ nicht zu, dass der Tod ihm noch vor der viel zu kurz bemessenen Zeit das Leben nahm. Dass der Tod sich allzu viel herausnahm, als er noch lebte und kämpfte.

Im Februar 2010 legt er in Burkina Faso den Grundstein für sein größtes, sein letztes Projekt. Das Gelände liegt 30 Kilometer östlich von Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Staats. Sibylle Dahrendorf ist dabei. Die Filmemacherin begleitet Schlingensief seit vielen Jahren, sie hat den Künstler fürs Fernsehen porträtiert. Aber das hier ist etwas anderes, eine Elegie, wenn auch nicht allzu getragen; es wäre auch nicht in seinem Sinne gewesen.

Dahrendorfs Kinofilm „Knistern der Zeit – Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso“ unternimmt den Versuch, die Aufbruchsstimmung einzufangen, die Euphorie und auch die Skepsis, die Schlingensief mit der OperndorfIdee auslöste. Es ist also erst einmal ein Film über eine Idee, etwas, das nur in einem Kopf existiert, der andere Köpfe damit infiziert; etwas, das man nicht sehen kann, dafür aber umso kräftiger imaginiert. Oder infrage stellt. Aber das spielt keine Rolle. Jede Debatte befeuert. Das Operndorf hatte von Anfang an einen starken Wachstumsdrang in sich, wie ein soziales Netzwerk, eine „soziale Plastik“ im Beuys’schen Sinn. Es wächst, während sein Erfinder dem Tod ins Auge sieht.

Wie ein flammender Ritter

Die Zeit muss also zurückgedreht werden. Zurück in die Wochen, Monate, Jahre, als Schlingensief in Afrika nach einem Bauplatz suchte. Als Hoffnung bestand, dass er die Krankheit vielleicht doch besiegen oder weiter zurückdrängen könnte. Man erlebt hier ausschließlich Christoph, den Afrikaner; nichts von seinen früheren Arbeiten, nichts von Bayreuth. „Knistern der Zeit“ will keine Filmbiografie sein. Wer diesen Film sieht, ohne Schlingensiefs Regiearbeiten zu kennen, dem geht es ähnlich wie den Afrikanern, denen er hier mit diesem Irrsinnsding eines Operndorfs, einer Siedlung mit Schule, Krankenstation, Gästehäusern und Festspielhaus entgegentritt wie ein flammender Ritter. Die Zeit springt zurück in die Phase, da noch kein Stein vermauert, kein Euro eingesammelt war.

Und das ist, wenn auch nicht über die gesamten 106 Minuten, fein eingefangen. Wie Christoph Schlingensief seine Ideen versprüht, Menschen begeistert, unbeirrt und unaufhaltsam vorprescht. Seine unbedarfte Art, mit afrikanischen Politikern zu sprechen. Sein geistiges Zupacken, seine Zuversicht, die man mit Naivität oder, was die Krankheit angeht, mit Verdrängung verwechseln könnte.

In der flirrenden Hitze von Burkina Faso läuft man einem fiebrigen Animateur hinterher. Kaum dass Kamera und Mikrofon seine Gedankensprünge nachzuvollziehen in der Lage sind. Francis Kéré, der Architekt aus Burkina Faso, Schlingensiefs wichtigster Partner, sagt einmal, in einem schwachen Moment, sinngemäß: Da haben wir den Salat. Jetzt müssen wir’s bauen.Und dann sein herrliches, optimistisches Lachen. Dahrendorf besucht den alten Kéré, einen Häuptling, in einem anderen Teil des Landes. Papa Kéré hat Tränen in den Augen, denn er vermisst Christoph. Da spürt man: Schlingensief ist in Afrika angekommen, auch über seinen Tod hinaus. Und plötzlich stehen da Häuser, das Dorf nimmt Gestalt an. Christoph Schlingensief stirbt, 49-jährig, im August 2010. Vierzehn Monate später, im Oktober 2011, eröffnet an dem Ort, der nichts als eine Fata Morgana, ein Hirngespinst gewesen war, die Schule. Die Kinder kommen aus der Umgebung, versammeln sich in der elegant-einfachen Architektur, die Kéré entworfen hat. Es passt.

Der Sterbende ist zu nah – und dann wieder zu weit weg

Nicht nur die Zeit knistert, wenn Schlingensief den Raum betritt, es knistert auch auf der Baustelle, es bleibt eine schwierige, riskante Unternehmung. Schlingensiefs Frau (niemand sagt Witwe), Aino Laberenz, führt sie mit unfasslicher Liebe, Kraft und Geduld weiter.

Der Film geht irgendwann zu sehr in die Länge, dreht sich im Kreis. Er hat nichts Neues mehr zu erzählen, die älteren Geschichten, die Volksbühne usw., stehen hier nicht zur Debatte. Etwas Theaterarbeit gibt es doch, Ausschnitte aus den Proben zu „Via Intolleranza“, Schlingensiefs letzter Inszenierung. Zum Brüllen komisch, wie er einem afrikanischen Rapper beibringen will, die Wörter klarer zu betonen. Da spürt man die kulturelle Differenz, die Hierarchie, die hier herrscht, wie in jeder künstlerischen Produktion.

Das Musiktheater „Via Intolleranza“ war für die Zuschauer hierzulande eine Geduldsprobe. Und ein wenig erlebt man das auch so in diesem bewegenden Film. Der sterbende Künstler ist zu nah – und dann wieder zu weit weg. Sibylle Dahrendorf, und da geht es ihr wie vielen, will einfach nicht, dass es zu Ende ist. Der Film bleibt in Afrika, er geht nicht nach Deutschland, kümmert sich nicht um einen Kulturbetrieb, in dem Christoph Schlingensief heftig vermisst wird.

Bald jährt sich sein Todestag zum zweiten Mal, was man auch nicht glauben mag. Denn dieses Knistern hat nie ganz aufgehört. Wunderbare Helfer reisen nach wie vor nach Burkina Faso, um das Operndorf voranzubringen. Es ist schrecklich heiß dort, die Reise beschwerlich. Die Mitglieder des Beirats nehmen das auf sich. Man muss Schlingensief nicht zur heiligen Figur verklären – aber seine Aura wirkt fort. Sie ist nicht mit ihm gestorben. Nach dem Sommer soll nun bei Kiepenheuer & Witsch seine Autobiografie erscheinen. Aino Laberenz bearbeitet das Material, den schriftlichen Nachlass. Und Anfang 2013 soll eine Schlingensief-Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken eingerichtet werden. Keine Retrospektive, aber etwas Umfassendes, wie man hört.

So kann man dieses „Knistern der Zeit“ beschreiben: Es ist das Gefühl, das einen nie mehr verlässt, wenn man einmal mit einer Künstlernaturgewalt in Berührung gekommen ist. Es hat etwas mit Elektrizität zu tun. Es kommt von der Spannung, wenn ein Mensch seine Lebensspanne derart auflädt wie Christoph Schlingensief, der bis nach Afrika läuft, um den Tod abzuhängen.

Ab Donnerstag im Babylon Kreuzberg, Cinema Paris, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe.

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