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CITY Lights: Flüstern und knistern

Für den Stadterleuchter, der an dieser Stelle behutsam die cineastischen Gaslaternen der Woche abseits der alldonnerstäglich angeknipsten Filmstarts entzündet, hatten Kinobetreiber lange Zeit nicht viel mehr als den Status von Hausmeistern oder Pförtnern, an denen vorbei man ins Dunkel des Saals drängt. Diese Haltung dürfte noch immer weitverbreitet sein.

Für den Stadterleuchter, der an dieser Stelle behutsam die cineastischen Gaslaternen der Woche abseits der alldonnerstäglich angeknipsten Filmstarts entzündet, hatten Kinobetreiber lange Zeit nicht viel mehr als den Status von Hausmeistern oder Pförtnern, an denen vorbei man ins Dunkel des Saals drängt. Diese Haltung dürfte noch immer weitverbreitet sein. Die Filme scheinen immer wieder wie von selbst einzufliegen, der zähe Kampf um die Vorführrechte ist den wenigsten Zuschauern bewusst. Ein bisschen sind die Kinomacher allerdings selber schuld daran, dass sie so ignorant unterschätzt werden – warum erzählen sie nicht einfach mehr von ihrer Arbeit? Franz Stadler, Gründer und jahrzehntelang Kopf wie Herz des Filmkunst 66, bevor er das Kino an die Produzentin Regina Ziegler abgab, hat genau dies nun auf höchst anregende Weise getan. Sein Büchlein Immer wenn das Licht ausgeht ... 66 Berliner Kinogeschichten (De Ri Roma-Verlag, 183 S., 12,95 €) wird am Sonntag um 13 Uhr vorgestellt – allerdings nicht wie vorgesehen am „Originalschauplatz“ seines alten Kinos, da dort gerade Umbauarbeiten stattfinden, sondern gleich um die Ecke im Bücherbogen am Savignyplatz.

Obwohl die prominenten Besucher Dennis Hopper und Jack Nicholson das Titelbild seiner Erinnerungssammlung zieren, handelt es sich bei Stadlers Buch keineswegs um eine Selbstbeweihräucherung. Seine Erfahrungen mit der Staatsanwaltschaft und der Filmförderung beschreibt er ebenso uneitel und locker wie seine Versuche, auf Sylt eine Kinokultur zu etablieren. Pflichtlektüre ist das scharfzüngige Kapitel „Typologie der Kinobesucher“: Wer kennt sie nicht, jene Flüsterer und Knisterer und chronischen Zuspätkommer, die ihren Sitznachbarn auf die Nerven gehen? Diese Passage sollte vor jedem Filmbeginn laut verlesen werden – nicht auszuschließen, dass sich die betreffenden Damen und Herren dann etwas besser benehmen.

Ein weiterer Lichtblick in der ärmlicher werdenden Kinolandschaft ist die Brotfabrik, die einmal im Monat einen unbekannten Berlin-Film zeigt. Eine echte Ausgrabung ist Ich werde dich töten, Wolf (1970), Wolfgang Petersens Abschlussarbeit an der DFFB (Montag und Dienstag): Der Film besticht durch den Einfallsreichtum, mit dem das geringe Budget kaschiert wird. Die Rolle einer Frau aus der norddeutschen Provinz, die sich in Berlin an ihrem Ex-Freund rächen will, gab Petersen seiner eigenen Ehefrau Ursula. Petersen selbst kam aus der norddeutschen Provinz, das macht seinen Blick auf die Metropole so reizvoll.

Apropos Norden: In Ewald André Duponts Stummfilmklassiker Varieté (1925) wird Hamburg mit schmuddeligen Reeperbahnbuden gleichgesetzt, deren hässliche Besucher sich an derber Unterhaltung erfreuen (Freitag im Arsenal). Der Trapezkünstler Boss, mit Emil Jannings arg schwergewichtig besetzt, geht hier fast vor die Hunde und findet erst im Berliner Wintergarten ein Publikum, das seiner würdig ist. „Varieté“ war damals ein Hit – nicht zuletzt dank der entfesselten Kamera von Karl Freund, der höchstpersönlich auf dem Trapez mitschwang, um Schwindelgefühle zu erzeugen.

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