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Liebe und Intrige. Szene mit Moritz Grove (Carlos, l.) und Susanne Wolff (Clavigo).

© Arno Declair

"Clavigo" in Salzburg: Mit heißem Bemühn'

Ein bisschen Goethe: Stephan Kimmig zerlegt „Clavigo“ bei den Salzburger Festspielen und verliert sich im Multitaskingtaumel

Manchmal sind sie wie Königskinder und können zusammen nicht kommen: Texte und Inszenierungen, es ist immer wieder ein Dilemma im deutschsprachigen Theater. Dabei hat Stephan Kimmig, nun ach, seinen Goethe durchaus studiert mit heißem Bemühn’, hat Sekundärliteratur gewälzt und alles gelesen, was der junge Schriftstellers um 1774 sonst noch so veröffentlicht hat. Bei den Proben mit seinen „Anvertrauten“, wie er die Schauspieler nennt, wurde intensiv diskutiert – mit dem Ziel, das 341 Jahre alte Werk auch heute ansprechend zu machen. Die Inszenierung der Salzburger Festspiele, eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater, die ab November in Berlin zu sehen sein wird, ist dennoch ein Desaster.

Als Gegenstück zum sperrigen „Götz von Berlichingen“ hat Goethe den „Clavigo“ konzipiert, als „Drama fürs Aufführen“, „mit möglichster Simplizität und Herzenswahrheit“. Es geht um einen literarisch ambitionierten Mann aus der Provinz, der dabei ist, in der Hauptstadt Karriere zu machen. Aus seiner Liebesbeziehung mit Marie hat er die Inspiration geschöpft, die ihm zu schnellem Ruhm verhalf, jetzt, da er Promi-Status erreicht hat, erscheint sie ihm nicht mehr gut genug. Er löst die Verlobung, angestachelt von seinem Freund Carlos, der Clavigos GenieImage wie ein Agent befördern will. Als Maries Bruder droht, die Privatangelegenheit in die Boulevardpresse zu bringen, kehrt Clavigo reumütig zur Ex zurück. Doch Carlos gelingt es erneut, die beiden zu entzweien. Marie stirbt an gebrochenem Herzen, der von Gewissensbissen gemarterte Clavigo sucht den Tod und wird von Maries Bruder erstochen.

Im Salzburger Landestheater, das mit seiner zierratreichen Neo-Rokoko-Ausstattung architektonisch die Goethe-Zeit beschwört, dauert es lange, bis die ersten „Clavigo“-Worte fallen. Zunächst nämlich treten alle Akteure als Clowns mit roten Schaumstoffbällchen auf den Nasen vor den Vorhang und führen ein Nonsense-Chorstück auf, als wollten sie schon jetzt den 2016 anstehenden 100. Geburtstag der Dada-Bewegung feiern. Susanne Wolff, die den Clavigo spielt, trägt unterm Paillettenkleid einen ekligen Fatsuit und wenn sie auf ihre linke Brust drückt, ertönt der France-Gall-Schlager „Ein bisschen Goethe“.

Viele Mikrofon-Monologe gibt es an diesem Abend, oft werden die Stimmen dabei durch Hall verzerrt oder verdoppeln sich mittels eines Loop-Gerätes. Die dröhnenden Soundinstallationen stammen von Polly Lapkovskaja, die Schauspieler rezitieren oder brummeln diverse Songtexte auf Englisch. Videobilder werden auf einen umgestürzten Heißluftballon projiziert (Bühne: Eva-Maria Bauer), einmal wird das Live-Spiel per Videoleinwand zur Filmsequenz. Kathleen Morgeneyer, die Maries Bruder spielt, tritt zunächst als Manga-Comic-Figur auf und ackert sich durch die „Aaargh“-, „Uff“-, „Zasch“Sprechblasen einer Schwertkampfsequenz. Später wird sie in bodenlanger Robe eine Rede halten, die zunächst nach „Bambi“-Verleihung klingt, dann in wüste Kapitalismuskritik umschlägt und als Gutmenschenpredigt endet. Carlos (Moritz Grove) trägt Tutu, Marcel Kohler als Marie erinnert in seiner sehnigen Schlaksigkeit an Mick Jagger und trägt auch die dazu passenden Rockstarklamotten.

Pollesch, Fritsch: alles, was gerade in Mode ist, wird aufgefahren

Der technische Aufwand ist enorm. Kimmig bietet alles, was an den stilbildenden deutschen Bühnen gerade in Mode ist: taumelnden Klamauk à la Herbert Fritsch, pop-philosophische Theorietext-Attacken à la René Pollesch, Handkamerafahrten à la Frank Castorf und so fort. Ein eigener Ansatz lässt sich nicht ausmachen. Wer mit der Vorlage vertraut ist, erkennt hier und da eine Textpassage wieder, wer das Original nicht gelesen hat, ist vollkommen verloren, weil nicht nur die Geschlechter wild durcheinander schießen, sondern alle Figuren auch ständig in neuen, verwirrenden Verkleidungen auftreten (Kostüme: Johanna Pfau). Im Bestreben, den heutigen Zuschauern nahezukommen, verschließt sich die Diskurs-Revue hermetisch dem Betrachter. Um es mit Goethe zu sagen: Ich finde nicht die Spur von einem Geist, und alles ist Dressur.

Was wäre gewesen, wenn sich Stephan Kimmig einfach auf die Qualitäten dieses nicht ganz unbedeutenden Autors verlassen und mit den Darstellern daran gearbeitet hätte, den hohen Ton des Textes in maximaler Dichte über die Rampe zu bringen? Im Vertrauen darauf, dass lebendige Menschen, mit ihren Wünschen und Zweifeln, gefangen in einem gesellschaftlichen Korsett, immer noch die größte Bühnenattraktion darstellen? In dieser Collage gibt es aber keine Charaktere, nur Witzfiguren. Lässt der Regisseur am Ende dann doch einmal den einen oder anderen Wortwechsel zu, hat man sich durch die beständige Dekonstruktion innerlich allerdings schon so distanziert, dass man die Gefühlsausbrüche nur noch ironisch aufzunehmen vermag.

Wenn Carlos seine letzte Rede gegen Marie führt, hört Clavigo gar nicht richtig zu und tigert stattdessen unablässig über die Bühne. Genau so funktioniert Stephan Kimmigs Inszenierung. Wie ein Smartphonesüchtiger vermag sich die Regie keine fünf Minuten lang auf eine einzige Sache zu fokussieren, muss ständig multitasken – mit dem Effekt, dass er am Ende in allem nur die Oberfläche tangiert.

In Salzburg wieder am 4., 6., 7. und 9. August. Ab 13. November am Deutschen Theater Berlin

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