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Kurze Kampfpause. Sierra und Bianca Casady sind seit zehn Jahren CocoRosie.

© Rodrigo Jardon/City Slang

CocoRosie: Feministische Traumstrände

CocoRosie mischen auf ihrem Album „Tales of A Grass Widow“ Dancebeats in ihren Freak Pop – eine Begegnung mit den Schwestern vor ihrem Berliner Konzert.

Wenn das Leben nach dem Tod so tanzbar ist, wie es CocoRosie in ihrem neuen Song „After The Afterlife“ andeuten, lohnt es sich, schon jetzt einen guten Hüftschwung fürs Jenseits einzuüben. Es ist das Eröffnungsstück ihres am heutigen Freitag erscheinenden, fünften Albums und hat einen schmissigen R’n’B-Beat, zu dem man auch gut mit runtergekurbeltem Autofenster durch die Stadt fahren könnte – gerahmt von den markanten Stimmen der Schwestern Casady. „Tales of A Grass Widow“ ist ein Album, das auf leicht schräge Weise in Richtung Tanzfläche zielt.

Und doch sind in „After The Afterlife“ auch alle zentralen Elemente enthalten, die die Musik des Duos prägen, seit 2004 das erste Album „La maison de mon rêve“ erschien: der Soprangesang von Sierra Casady, das liebliche bis knarzige Intervenieren von Bianca Casady, Klänge, deren Ursprung ein Tier, ein Kinderspielzeug oder das Rascheln einer Folie sein könnte, zusammengehalten von einer immer wiederkehrenden Klaviermelodie. Wer sich mit diesem Grundkonzept angefreundet hat, kann sich auf die neuen Songs freuen. All jenen, denen sich bei den beiden eigenwilligen Stimmen schon immer die Nackenhaare aufgestellt haben, werden auch die Beats nichts nützen.

Es ist eine sehr verträumte und verspielte Welt, in die CocoRosie ihre Hörerinnen und Hörer jedes Mal wieder entführen. Eine Welt, die vor allem auch deshalb so faszinierend ist, weil die Schwestern tatsächlich in ihr zu leben scheinen. Zum Gespräch in Berlin erscheint Sierra mit Glitzer an den leuchtend grünen Augen, Bianca mit dem mittlerweile für sie typisch gewordenen, aufgemalten Schnurrbart. Die eine krakelt in ihrem Notizbuch herum, wirft ab und an ein paar Sätze in den Raum, die andere schiebt sich Weintrauben in den Mund und übernimmt den Job, an alles Wichtige zu denken. „Möchtest du zuerst auf die Frage antworten?“ – „Ich weiß nicht, du?“ – „Normalerweise willst du immer zuerst.“ – „Dann mach du.“ Das ist vermutlich keine Verwirrungsstrategie, sondern geschwisterliche Gleichberechtigung.

Ihren Bandnamen haben die beiden von ihrer Mutter, die Bianca Coco nannte und Sierra Rosie. In ihrer Kindheit zogen sie fast jährlich an andere Orte in den USA. Später gingen sie dann kurze Zeit getrennte Wege, um sich schließlich in Paris wiederzufinden, wo Sierra an ihrer Karriere als Opernsängerin arbeitete. In einem Badezimmer in Montmartre begann dann vor zehn Jahren ihr Projekt CocoRosie. Damals wurden sie mit Musikerinnen und Musikern wie Joanna Newsom, Devendra Banhart oder Antony and the Johnsons schnell in die eigens für sie aufgemachte Schublade „freak folk“ oder auch „weird folk“ einsortiert.

Die Vorstellung eines männlichen Gottes lehnen die Schwestern ab

Als seltsam gelten die Schwestern auch in Interviewsituationen, doch von zickigem Gehabe, das ihnen gern nachgesagt wird, sind sie heute weit entfernt. Denn CocoRosie haben eine Mission, über die sie sprechen wollen: Feminismus. „Eben noch meinte ein Journalist zu uns, dass er mehr das Feminine als das Feministische an unserem Album mögen würde. Und je mehr ich darüber nachdenke“, meint Bianca Casady, „desto angepisster werden wir“, ergänzt Sierra mit einer Mischung aus süßer Höflichkeit und genervtem Unterton. „Wir haben immer gedacht, dass wir doch alles in unseren Songs sagen, aber die Leute hören einfach nicht zu!“

Also haben die beiden einige neue Projekte gestartet. Mit Antony Hegarty von Antony and the Johnsons, der diesmal wie schon früher mit seiner unverkennbar melancholischen Stimme als Gastsänger auf dem Album zu hören ist, gründeten sie im letzten Jahr die Future Feminist Foundation. Seitdem arbeiten sie an einem Manifest, das Future Feminist Groups weltweit fortschreiben sollen. Denn CocoRosie glauben an die Notwendigkeit eines universalen Feminismus, an Regeln, die für alle gelten. Ihr größtes Feindbild? „Die Idee eines männlichen Gottes da oben,“ sagt die 32-jährige Sierra. Kein Wunder also, dass in dem Tanzstück „Nightshift“, das ihre zwei Jahre jüngere Schwester im letzten Jahr unter anderem in Berlin und Hamburg inszenierte, Gott eine Frau ist.

Um ähnliche Fragen wird sich auch das von ihnen mitinitiierte Magazin „Girls Against God“ drehen, das in diesem Monat erstmals erscheinen soll und Beiträge unterschiedlicher Künstlerinnen versammeln wird. „Der Fokus liegt immer auf der unterdrückenden Natur von patriarchalen Himmel-Gott-Religionen,“ meint Bianca. „Ich respektiere keine Religion, die ihren Glauben gegen Frauen benutzt.“ Genau das würde eine Religion wie der Islam tun, wenn er Frauen vorschreibe, sich zu verschleiern.

Die Geschwister sind längst nicht mehr nur im Popkontext aktiv. So komponierten sie kürzlich die Musik zu Robert Wilsons „Peter Pan“-Version am Berliner Ensemble. Im letzten Jahr kuratierten sie einen Teil des Donaufestivals, auf dem sie unter anderem ihr gemeinsames Film-Musikprojekt „Harmless Monster“ zeigten und Sierra Casady ihre Pop-Oper „Soul Life“ aufführte. Außerdem haben sie im letzten Jahre Charaktere erfunden, sich Geschichten für sie ausgedacht und diese dann für ihr Album „Tales Of A Grass Widow“ vertont.

Da ist etwa jene Stimme aus der Totenwelt, die in „After The Afterlife“ über das vergangene Leben singt. Da ist Antony Hegarty, der seinen Gesang als sehnsüchtige Mutter Natur über einen sehr tiefen, ruhigen Bass legt und fragt: „Do you have love for human kind?“ In „The End Of Time“ ist einem Menschen alles egal: „The babes, the guns, the waste, the punks / I don’t need no human friends / The cars, the wars, the shopping malls / I can leave you all behind!“ Das Stück bewegt sich nach einem dramatischen Anfang durch poppige Spielereien am Synthesizer im Viervierteltakt und verschwindet schließlich immer leiser werdend einfach. Das Ende schleicht sich ein. Der Tod ist immer anwesend. Nur kommt er bei CocoRosie in ziemlich bunten Farben daher.

„Tales Of A Grass Widow“ erscheint bei City Slang, Konzert: 24.5., 21 Uhr, Huxleys Neue Welt

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