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Crossover: Sex-Mex-Juppidu in Hotpants

Rock-Oper, Freak-Show und Musical: Peaches feiert den zehnten Geburtstag ihres Debütalbums mit der Show „Peaches Does Herself“ im Berliner HAU

Für Verächter einer Achtziger-Jahre-Cyber-Punk-Ästhetik, für heteronormative Klemmis und Leute, die kein Blut sehen können, war das nichts. Für alle anderen war es eine Überfülle. „Peaches Does Herself“ im Berliner HAU ist eine große Ich-über-mich-Show. Die kanadisch-berlinerische Grande Dame des körperbetonten Electroclash hat in Eigenregie ein Hybrid aus Rock-Oper, Freak-Show, Musical und Tanztheater entwickelt, in dem sie selbst die Hauptrolle spielt und singt, in dem ein Medley aus eigenen Songs ihre Geschichte erzählt sowie eine ziemlich alte Stripperin, ein Transsexueller, eine Geschlechtschirurgin, viele Dildos, Kunstblut, acht Tänzer und ein Penisschutz in Schwanenhalsform auftreten. Alles anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des ersten Albums „Teaches of Peaches“. Himmel!, dachte man schon vorher. Denkt man hinterher auch noch.

Zuerst steht ein Professor am Katheder und trägt den Stand des akademischen Peaches-Diskurses vor. Aneignung von Ausdrucksformen männlicher Dominanz, Kreation eines weiblichen Machismo, Foucault und Klitoris-Metaphern sind so die Stichworte. Die tolle Schwesternband Jolly Goods fährt mit einer Coverversion von „Rock Show“ mitten hinein – im Schritt exquisit riot-girl-mäßige Menstruationsflecke. Diese Verschaltung von Wissenschaft einerseits und Pop-Praxis einer Post-Peaches-Generation andererseits setzt gleich ein Ausrufezeichen an den Anfang: Seht her, auf welchen Feldern meine Arbeit auch schon fruchtbar geworden ist.

Danach sieht man Peaches breitbeinig in ihren klassisch gewordenen pinkfarbenen Hotpants auf einem Bett sitzen und an ihrer Drum Machine tüfteln. Wir haben das Jahr 1999. Eine blinkende Vulva aus Luftballons beschert ihr die Einsicht, dass ein „girl“ im Text nicht so knallt wie eine „bitch“. Und schon kommt die Sache ins Rollen. Lookalike-TänzerInnen performen sich durch die frühen Hits, probieren mit naiver Begeisterung diverse Arten des Geschlechtsverkehrs, vaginalen Kopfschmuck und eine hübsch unperfekte Silberhoden-Choreographie. Sex-Mex-Juppidu fürs adulte Kindertheater. Der Beginn einer Karriere.

Weiter geht die Geschichte durch die erschöpfenden Härten des Rock’n’Roll-Erfolgs zur Neuerfindung der Peaches als symbolisch umoperiertes Wesen mit Kunstbrüsten und -penis. Immer wieder tritt gleichzeitig schillernd und abschreckend die 65-jährige Stripperin Sandy Kane auf, schwenkt Herz-Pasties an den schlaffen Brüsten, haut gelangweilt ihre Porno-Shantys heraus und hantiert mit einem Dildo herum.

Verstört ist die Bühnen-Peaches, als ihr, während sie ihren Plasteschwanz schüttelt wie ein Duracellhase, der Einbruch eines Realen passiert: Der nackte Transsexuelle Danni Daniels schwebt herein. Da steht die kleine Peaches mit ihren umgeschnallten Geschlechtsteilen, und vor ihr baut sich dieser ephemere Körper auf, der in echt über Brüste plus Schwanz verfügt. Wie Peaches hier gleichzeitig die Scham über das eigene, recht platte Spiel mit der Gender-Benderei und die begeisterte Annäherung an eine noch substanziellere Queerness aufführt, das ist toll. Die wundervoll kitschige Romanze zwischen dem trampeligen Cyborg und dem ätherischen Traumwesen ist camp as camp can. Wenn elf Jahre Peaches zu einer derart liebevollen Groteske gerinnen, kann man nur gratulieren. Kirsten Riesselmann

Weitere Aufführungen: 30. und 31.10., 19.30 Uhr, HAU 1

Kirsten Riesselmann

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