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Kultur: Da hört der Spaß aber auf

DISKO: Leider nicht in Berlin, sondern in London. Die erste Love Parade habe ich verpaßt.

DISKO: Leider nicht in Berlin, sondern in London. Die erste Love Parade habe ich verpaßt. VAN DYK: Ich war wahrscheinlich irgendwo unterwegs. Genau kann ich das nicht sagen, auf jeden Fall aber war ich auf der verkehrten Seite, in Ostberlin. NEUGEBAUER: Da war ich auch. Und von der Love Parade habe ich nichts mitbekommen. Bei der ersten Love Parade tanzten 150 Leute über den Kudamm. Heute gibt es mindestens 1500, die behaupten, dabei gewesen zu sein. Muß die Gründungsversammlung mitgemacht haben, wer zur Techno-Elite dazugehören will? DISKO: Es gibt bestimmt eine Menge Leute, die gesteigerten Wert darauf legen. VAN DYK: Es sollte wichtiger sein, was jemand in den zehn Jahren danach geleistet hat, als damals über den Kudamm gelaufen zu sein. Herr Neugebauer, Sie waren neun Mal bei der Love Parade. In diesem Jahr legen Sie bei der Gegenveranstaltung, der Fuck Parade, auf. Warum? NEUGEBAUER: Ganz einfach: Weil mir die Musik dort besser gefällt. Die Fuck Parade ist 1997 entstanden, weil die Organisatoren der Love Parade verhindert hatten, daß ein Gabba-Wagen starten konnte. Gabba ist eine extrem harte und schnelle Form des Techno. Außerdem stört mich die zunehmende Kommerzialisierung. Wer einen Wagen zur Love Parade anmelden will, hat immense Kosten zu bewältigen, die über Sponsoren zurückgeholt werden müssen. Ich kann mir schon die Sponsorensuche nicht leisten. DISKO: Wir hatten doch schon einen Sponsor für dich gefunden: die "Bild"-Zeitung. NEUGEBAUER: So unpolitisch bin ich noch nicht, daß sich die "Bild"-Zeitung mit mir schmücken dürfte. Was genau kostet die Teilnahme an der Love Parade? DISKO: Die Organisation der Wagen verursacht Kosten, die anteilig umgelegt werden. Das sind in diesem Jahr ungefähr 4300 Mark. Und für Anlage, Dekoration, Wagenmiete, Ordner und so weiter legen die Teilnehmer dann noch einmal so viel drauf, wie sie wollen. NEUGEBAUER: Solche Summen kann man nur aufbringen, wenn man 500 Mark dafür nimmt, auf dem Wagen mitfahren zu können. Oder man hat ein kommerzielles Interesse und erwartet eine Refinanzierung. Und diese Refinanzierung grenzt bestimmte Gruppen aus, weil sie ein unrentables Image besitzen. Das heißt: Die Fuck Parade ist die wahre Love Parade? NEUGEBAUER: Das könnte man zugespitzt so sagen. Die Ausgrenzung hat mittlerweile solche Formen angenommen, daß sich die Szene nicht mehr mit der Love Parade identifizieren kann. Die Love Parade ist bloß noch ein Karneval der Jugend, mit dem die Clubs viel Geld verdienen. Aber was da musikalisch passiert, ist längst nicht mehr interessant. Und unter dem Deckmäntelchen einer politischen Demonstration verhält sich die Love Parade total unpolitisch. VAN DYK: Aber es ist doch ein wichtiges Signal, daß in Deutschland so viele Leute zusammenkommen können, ohne daß etwas passiert. Als im letzten Jahr deutsche Schlachtenbummler bei der Fußballweltmeisterschaft einen französischen Polizisten fast umgebracht haben, hat die Love Parade mit über einer Million Besucher ein enorm politisches Zeichen gesetzt. Die Raver, die zur Love Parade kommen, verbindet nur eines: Sie wollen den größtmöglichen Spaß haben. Was ist daran politisch? DISKO: Ich glaube, das Verbindende zwischen den Teilnehmern besteht aus Toleranz, Gewaltfreiheit und Friedlichkeit. Das finde ich politisch. Daß die Leute dabei Spaß haben, macht sie nicht unpolitisch. NEUGEBAUER: Aber man sollte sich zum Beispiel mal konkret anschauen, wie man in dieser Stadt mit der Techno-Kultur umgeht. Daß Clubs wie das E-Werk geschlossen werden, ist eine politische Entscheidung. Mitte soll besenrein gemacht werden für die Ministerien. Das geht an die Existenz der Szene. Und dann findet die größe Demonstration in dieser Stadt statt, die den Anspruch hat, eine politische Veranstaltung zu sein, aber da ist niemand, der darauf hinweist. Es wird demonstriert für Friede, Freude, Eierkuchen, aber alles Negative wird ausgeblendet. DISKO: Das Politische an der Love Parade ist, daß die Leute nicht zu irgendeinem Parteitag gehen, sondern zur Love Parade. NEUGEBAUER: Wenn man unpolitisch ist, ist man systemkonform. Das finde ich richtig Fuck-scheiße. Wenn man meint, sich raushalten zu können aus allem, dann wird man Mittel, ein Werkzeug für andere. DISKO: Genau das ist der Sinne der Sache: Die Love Parade ist ein Werkzeug, und zwar für die Leute, die da hingehen. Oder ein Werkzeug für die Veranstalter und ihre Sponsoren: Die ARD-Serie "Marienhof" versucht sich zum Beispiel auf ihrem Wagen als hippe Jugendsendung zu präsentieren. DISKO "Marienhof" ist ja auch tatsächlich eine Jugendsendung: Sie hat wahnsinnige Einschaltquoten in genau der Altersgruppe. Wenn wir die Sponsoren nicht hätten, könnte es die Love Parade gar nicht geben. Und da der Anspruch der Parade immer war, möglichst groß zu werden, ist das genau der richtige Weg: Wir versuchen Aufmerksamkeit zu erregen. NEUGEBAUER: Oder um noch mehr Geld in die eigene Tasche zu stecken. DISKO: Natürlich wird mit der Love Parade Geld verdient. Aber ich weiß auch, wieviel: nämlich nicht viel. Können Sie das genauer sagen? DISKO: Das darf ich nicht sagen. Im letzten Jahr hat Dr. Motte in seiner Rede bei der Abschlußkundgebung gesagt... VAN DYK: Oh Gott! Dr. Motte hat gesagt: "Wir leben auf einem wunderschönen, sogenannten blauen Planeten, eine Perle im Universum, unser Zuhause mit einem blauen Himmel, grünen Bäumen, bunten Blumen, Flüssen und Ozeanen mit vielen verschiedenen Tieren, mit allem was wir als Menschen geschaffen haben. Wir sitzen alle im gleichen Boot, egal welcher Religion oder Partei man sich zugehörig fühlt." Das ist schöne Naturlyrik. Aber was ist konkret gemeint? DISKO: Das sollte man Dr. Motte selber fragen. Er sagt, daß er diese Reden hält, um in diesem Moment eins zu werden mit den Leuten. Und er formuliert seine Rede so komisch, damit die Zuhörer erst denken: Was erzählt der für eine Scheiße, und dann darüber nachdenken. Das ist nicht als sinnstiftende Rede gemeint, sondern er will mißverstanden werden. Er steht mit dem Rücken zu den Leuten, damit er nicht durchdreht. Trotzdem erwartet man von einer solchen Ansprache auch eine Botschaft. Gibt es die? DISKO: Die Love Parade ist nicht dafür gebaut, die Leute einzuladen und denen dann irgendwas zu erzählen, damit sie mit einer Botschaft wieder wegfahren können. Die sollen sich selber erarbeiten, auf was sie da kommen, die brauchen keine Ansage. NEUGEBAUER: Spätestens in dem Moment, wo Deutschland wieder ein kriegführendes Land geworden ist, hört für mich das Unpolitischsein auf. DISKO: Dann kann ich dir nur eins sagen: Geh doch in eine Partei und engagier dich! NEUGEBAUER: Ich will mich aber nicht instrumentalisieren lassen. Was du davon hast, siehst du an den Grünen. Ich kann doch nicht einfach sagen: Ich nehme den Krieg hin und finde das gut so. DISKO: Tun wir doch gar nicht. Gerade wegen des Kosovo sagen wir in diesem Jahr: Music Is The Key. Die Love Parade spricht sich immer für, nie gegen etwas aus. Darüber haben wir kürzlich mit der IG Metall-Jugend diskutiert. Die hatten eine Resolution verfaßt, die die sofortige Einstellung der Bombardierungen forderte, und wir sollten unterschreiben. Wir haben geantwortet: Wir sagen nicht, daß wir gegen etwas sind. Sondern: Die Love Parade ist für den Frieden. Wir sind auf die Straße gegangen, um zu zeigen, was wir empfinden. Was meint denn das Love-Parade-Motto in diesem Jahr: "Music Is The Key", Musik ist der Schlüssel. Für welche Tür? DISKO: Musik ist das verbindende Element, das die Leute zusammenführt, über alle Grenzen hinweg. Durch die Musik und das Tanzen drücken wir unsere Lebensfreude aus, die auf gegenseitigem Respekt, Friedlichkeit und Toleranz beruht. Ohne die Musik wäre die Love Parade nicht möglich. VAN DYK: Wenn man als DJ in der Welt unterwegs ist, sieht man, daß die Leute in Singapore auf genau dieselbe Musik abfahren wie die in Brasilien oder Irland. Auf dem Dancefloor sind alle gleich. Deshalb finde ich "Music Is The Key" ein cooles Motto. NEUGEBAUER: Ich finde den Spruch nichtssagend und beliebig. Als wir vor zehn Jahren angefangen haben, haben wir Musik gemacht, die anders sein sollte. Heute mache ich das Radio an, und alles ist dieselbe elektronische Soße. VAN DYK: Wir wollten musikalisch was verändern. Jetzt hat es sich verändert, und jetzt kommen immere wieder Leute, die sagen: Das ist alles Kacke. Ich finde es viel cooler, eine elektronische Scheibe in den Top Ten zu haben als wieder bloß Phil Collins. In Berlin mußten in den letzten Jahren Clubs wie E-Werk, WMF und Elektro schließen. Ist Berlin noch die Hauptstadt der Techno-Kultur? DISKO: Ich bin schon viel unterwegs gewesen, aber feiern kann man in Berlin immer noch am besten. VAN DYK: Berlin ist auf jeden Fall wichtig, aber es hätte viel, viel wichtiger sein können. In Berlin war immer dieses Sich-Selbst-Eingrenzen und Abgrenzen wichtig, und deshalb passieren viele Interaktionen nach außen nicht. Da gab es diese Musik, die wurde immer minimalistischer, alles andere drumherum wurde negiert. Das ist nicht innovativ, das bringt niemanden voran. Diese Stimmung: Oh, wow, du kommst aus Berlin, gibt es schon lange nicht mehr. DISKO: Mittlerweile hört man eben: Berlin, wow, die Love Parade! Trotzdem will der Veranstalter Planetcom aus Ärger über einen Streit um den Getränkeverkauf die Love Parade nach Paris verkaufen. Wie ernst ist die Drohung? DISKO: Die Love Parade will nicht weg. Aber wir sind bei Zuständen angekommen, wo Bezirksverwaltungen uns sabotieren können. Andererseits gibt es einen Senat, der mit dem Imagefaktor Love Parade die Welt bereist und Investoren in die Stadt locken will. Zuhause sitzen die frustrierten Bezirkspolitiker und überlegen, wie sie das verhindern können. Der Senat sagt immer noch: Die Love Parade muß bleiben. Aber wenn es bei diesen Lippenbekenntnissen bleibt, dann machen wir den Sack zu. Wird es die Love Parade in zehn Jahren noch geben? Und wenn ja: wo? NEUGEBAUER: In Berlin. Sie wird dezentral an lauter verschiedenen Orten stattfinden. Jeder macht seine eigene Parade. VAN DYK: Wenn die Stadt clever ist, dann gibt es die Love Parade auch in zehn Jahren noch in Berlin. DISKO: Ich hoffe, daß wir in zehn Jahren so weit sind, daß wir keine Love Parade mehr brauchen. Daß dann jeder Tag so ist wie die Love Parade.

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