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Kultur: Da wächst was

FORUM In „Day is Done“ blickt Thomas Imbach aus seinem Fenster – und sieht die Welt

Vor dem Fenster läuft ein 24-Stunden- Film. „Es gibt immer etwas zu beobachten. Alles ist ständig in Bewegung“, sagt Thomas Imbach, „wie ein Meer“. Der Ausblick war der Grund, weshalb er das Atelier hinter dem Züricher Güterbahnhof bezogen hat. Er arbeitet dort noch heute. Und natürlich lag es irgendwann nahe, die Kamera auf dieses Panorama der permanenten Dynamik zu richten. Anfänglich nur für kurze Momente, 35-Millimeter-Film ist teuer. Später dann, als sein Projekt verbindlicher wurde, drehte er längere Einstellungen. Ungefähr zwölf Stunden Fensterfilm sind so zusammengekommen.

Was Thomas Imbach über die Jahre außerdem gesammelt hat: rund 5000 private und geschäftliche Nachrichten von seinem Anrufbeantworter. Gespeichert auf den gewöhnlichen Audiokassetten, mit denen das Gerät lief. Zwischen 1988 und 2003 hat er die Mitteilungen aufgezeichnet und archiviert, dann kamen Anrufbeantworter aus der Mode, das Handy übernahm. Es sind sehr private Nachrichten darunter, von den Eltern, der Freundin, dem Sohn.

Extremes Außen, extremes Innen – dass sich das Material zusammenfügen könnte, habe er „intuitiv gespürt“, sagt Imbach. Sein Film ist eher en passant entstanden. Und zugleich aus Passion. „Day is Done“ heißt er, und entwickelt über fast zwei Stunden einen suggestiven Sog von großer Kraft.

Der Schweizer Thomas Imbach hat sich zum einen mit dokumentarisch-essayistischen Arbeiten wie „Well done“ einen Namen gemacht, einer Studie über Angestellte eines Hightech-Unternehmens, die im Datenstrom zu ersaufen drohen. Aber auch in seinen Spielfilmen – „Lenz“ nach Büchner, oder „Happiness Is a Warm Gun“ über den Kelly-Bastian- Komplex – gibt es immer Momente, in denen die Realität überschießt und die Fiktion infrage stellt.

„Day is Done“ nun vereint den Blick für das Vorgefundene und das Talent zur dramatischen Verdichtung in ganz eigener Weise. Auf der Bildebene: Kontemplation. Startende Flugzeuge, ratternde Züge, ein rauchender Industrieschornstein. Wiederkehrende Abläufe, wechselndes Wetter, mal beschleunigte, mal verlangsamte Impressionen von eigener Schönheit. Imbach sagt, er sei fasziniert von Lichtstimmungen, wie ein Maler alter Schule.

Die Erzählung dazu: ein mittlerer Lebensbogen. Tod des Vaters, Geburt des Sohnes, Zerbrechen der Beziehung. Das sind die plot points aus dem eigenen Leben, die dem Film Struktur verleihen. Und das alles erfährt man in Miniaturen von den Stimmen auf dem Band.

Allerdings nennt sich „Day is Done“ nicht von ungefähr eine „autobiografische Fiktion“. Seinen unsichtbaren und zugleich präsenten Protagonisten hat Imbach „T“ getauft – „nicht direkt zu verwechseln mit mir“. Auf Nachrichten, die über ihn erzählen und suggerieren: der ist immer abwesend, hat er sich in der Montage konzentriert. Ein Beispiel für die Zuspitzung, mit der Imbach bewusst gegen seinen „T“ arbeitet: „Eine Zeit lang bekommt man in den Messages das Gefühl, der ist ein Riesenarschloch, kümmert sich nicht um sein Kind, lässt seine Familie sitzen.“ Andererseits kann man aus späteren Nachrichten schlussfolgern, dass sein Sohn Noah durchaus eine innige Beziehung zu ihm hat. Ein Kunstgriff, der aus einer privaten eine universelle Erzählung macht. Und der zugleich ein ironisch funkelndes Spiel mit dem Bild des bis zum Autismus besessenen Schöpfers bedeutet, „des Künstlers im Turm“, wie Imbach sagt. Wobei die déformation professionelle in Momenten tatsächlich aufscheint: so, wenn der Regisseur Noah beim Auspacken eines Geschenks filmt.

Durchweg bleibt „Day is Done“ auf mehreren Ebenen lesbar. Vor Thomas Imbachs Panoramafenster wächst etwa über die Jahre ein verglastes Hochhaus. Er nennt es „ein Geschenk, das die Stadtentwicklung mir gemacht hat“. Natürlich kann man damit die Ausweitung des Kapitalismus assoziieren. Aber für den Regisseur versinnbildlicht es schlicht auch das Großwerden des eigenen Sohnes.

Heute 22.15 Uhr (Cubix 9), 19. 2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 4)

Der Soundtrack des Films: Mitteilungen vom Anrufbeantworter

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