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Kultur: Dämonen der Seele

Angst, Wahn, Nacht: Wie Toula Limnaios um ihre Tanzcompagnie kämpft

Von Sandra Luzina

Man muss eine Polizeiwache passieren, um zur „Halle“, der Tanzbühne der Compagnie Toula Limnaios zu gelangen. Danach muss man sich vom Verstand verabschieden. Denn Toula Limnaios zielt auf das Andere der Vernunft. In ihren Choreografien verschwimmen die Grenzen von Traum und Realität; Erinnerung und Einbildung gleiten ineinander über. Ihr Tanzen erzeugt immer ein Gefühl des Schwindels.

Bei der Probe an diesem schwülen Juli-Nachmittag agiert die Choreografin auch plötzlich kopflos. Geprobt wird eine Wiederaufnahme von „Nichts. Ich werde da sein, indem ich nicht da bin“, dem ersten Teil einer Beckett-Trilogie. Da eine Tänzerin sich verletzt hat, springt Toula Limnaios selbst ein. Wie sie dem Publikum den Rücken zuwendet, bietet sie einen grotesken Anblick. Den Kopf hält sie gesenkt, die Fäuste sind geballt, sie ist ganz drängende Kraft, ganz Körper. Bei der Aufführung schwebt dann ein roter Luftballon über der Figur. „Es ist dunkel wie in einem Kopf. Was ich auch sagen mag, es wird falsch sein, und es wird übrigens auch nicht von mir sein ...“, spricht eine Frauenstimme. Das Stück, das angeregt wurde von Samuel Becketts „Texten um Nichts“, ist eine groteske Kopfgeburt, die um das Gefühl der Ausweglosigkeit kreist. Für die Spaltung von Kopf und Körper findet die Choreografin immer wieder surreale Bilder. Auch die Komposition von Ralf R. Ollertz mit seufzenden und schreienden Männerstimmen entwickelt einen hypnotischen Sog.

Das Ich, das sich verliert, das sich aufspaltet oder auf unheimliche Doppelgänger trifft – die Choreografien von Toula Limnaios sind immer Dokumente einer Verunsicherung. „Ich will den verborgenen Menschen zeigen, das, was hinter der Fassade ist“, erklärt sie. Ihre Choreografien bahnen Wege durch das innere Chaos, das jeder in sich birgt. Mit ihren existenzialistischen Tiefenbohrungen hat sich die 1963 in Athen geborene Künstlerin eine Ausnahmestellung in der deutschen Tanzszene erworben. Dabei bestechen ihre Stücke immer auch durch ihre ausgeklügelte visuelle Ästhetik.

Weil sie als Kind eine unbändige Energie besaß, wurde sie zum Tanz geschickt. Zugleich sei sie aber ein sehr verträumtes Mädchen gewesen, sagt sie. Sie habe sich ständig Geschichten ausgedacht, das Dunkel ihres Schlafzimmer mit fantastischen Gestalten bevölkert. Um sich weniger zu fürchten. Nacht, Traum, Wahn – ihren Stücken haftet noch immer etwas Schwebend-Imaginäres an. Den „inneren Dämonen“ sei sie auf der Spur, erklärt Limnaios: Erinnerungen, die einen verfolgen, Menschen, die einen nicht loslassen.

Auf Auslandstourneen wird die Compagnie Toula Limnaios, die jetzt ihr zehnjähriges Bestehen mit einer Werkschau feiert, als Berliner Vorzeige-Ensemble gefeiert. Mittlerweile. Noch 2003 stand Toula Limnaios plötzlich vor dem Nichts. Das Theater am Halleschen Ufer, wo ihre Produktionen bislang herauskamen, erhielt eine neue Leitung – und der passten ihre Arbeiten nicht ins künstlerische Konzept. Damals stand sie kurz davor, Berlin zu verlassen; doch dann hat sie wild entschlossen ihren Probenort zur Tanzbühne umfunktioniert. Was sich im Nachhinein als Glücksgriff erwies. Die „Halle“ ist eine der ältesten Turnhallen Berlins. Das denkmalgeschützte Gebäude verleiht den Aufführungen ein besonderes Flair.

Abgesehen von tänzerischen Grenzerfahrungen steht Toula Limnaios mit beiden Beinen fest auf der Erde. Gerade hat sie ihr Ensemble auf acht Tänzer erweitert. „Wir befinden uns momentan noch in der Flitterwochen-Phase“, schwärmt die Choreografin. Die letzte Produktion trug den Titel „irrsinn – eine fiktion in bewegung“. Und die Tänzer sind jedenfalls irre genug, um ihr auf ihren Expeditionen durch unbekannte innere Landschaften zu folgen.

Werkschau vom 27. Juli bis 12. August, in der Halle, Eberswalder Str. 10-11, Prenzlauer Berg

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