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Kultur: Dampflok und Dudelsack

Der Vater des weißen Blues, inzwischen 76, tänzelt mal eben in Berlin vorbei: John Mayall im Columbia-Club

Mit den menschlichen Legenden ist das so eine Sache. Sie erhöhen die Unsterblichkeitswahrscheinlichkeit unter uns Irdlingen, aber solange sie leben, ist die letzte Rate für den Jenseitsruhm nie ganz abbezahlt. Vorgemerkt für die Ewigkeit, werden sie von ihren einstigen Gefolgsleuten langsam vergessen und von den Nachgeborenen gleich gar nicht mehr wahrgenommen. Wie schön, wenn man sich da im Diesseits immer wieder mal in Erinnerung rufen kann.

John Mayall, mittlerweile gewaltige 76 Jahre alt, ist so eine Legende. Den Vater des weißen Blues nannten sie ihn schon, als er noch rotblondes Langhaar zum Wildlederstirnband trug und jahrelang in seinem kalifornischen Baumhaus lebte. In den Sechzigern eines sehr vergangenen Jahrhunderts machte er mit seinen, nun ja, legendären Bluesbreakers Leute wie Eric Clapton, Peter Green und Mick Taylor groß, bevor die mit Cream, Fleetwood Mac und den Stones richtig berühmt wurden. Und ist doch immer noch auf Achse, jetzt zum Beispiel, drei Wochen lang Abend für Abend quer durch Europa – in Läden, die mal Kulturetage (Oldenburg) und mal Bluesgarage (Hannover) oder, ganz intim, Jazz Café (London) heißen. So jemand kriegt heutzutage meist keine Konzertkritik mehr, eine kleine Ankündigung für die Restfans tut’s auch.

In Berlin ist John Mayall am Dienstag im Columbia-Club aufgetreten, vor 300 mitgereiften Leuten – oder waren es ein paar weniger oder mehr? Aber die Akustik in dem alten Kino ist gut, zumindest für frenetische Jubelpfiffe und allerwärmsten Applaus, und so spielen sich die wieder mal aktuellsten Bluesbreakers auf der kleinen, so freundlich wie unaufwendig beleuchteten Bühne selber superschnell warm. Gelassen unterstützt von Zweitkeyboarder Tom Canning, wunderbar treibend angetrieben von Schlagzeuger Jay Davenport und flankiert von den famosen und famos langhaarigen Rocky Athas (Gitarre) und Greg Rzab (Bass), tänzelt und tändelt die Legende mittendrin: John Mayall, das feine und feinbebrillte Langgesicht, das Haar zum wuchtigweißen Pferdeschwanz gebunden, und seine metallene Armbanduhr – fürs Restzeitmanagement – hat er auch dabei.

Was dann zwei Stunden lang abgeht, ist ein verdammt fröhlicher und gleichzeitig gemütlicher Blues. Von „Chicago Line“, einem eher späteren Hit auf einem seiner 58 (achtundfünfzig!) Alben, zurück zu „California“ aus „The Turning Point“ und seiner allerbesten Zeit: Da stampft der Dampfzug unermüdlich über die Gleisschwellen der immerselben zwölf Bluestakte, nicht wirklich zügig, nie wirklich langsam, aber unendlich zuverlässig. Und irgendwann geht das entspannte Zusammenschwingen der Instrumente in ein großes Singen über.

Natürlich ist da Mayalls berühmte Einoktavstimme, die jenseits ihres Volumens nur den Schrei oder den Sprechgesang kennt, und sie ist sofort ganz unverwechselbar da. Aber abseits des eher hackenden Umgangs, den Mayall und Canning ihren Keyboards angedeihen lassen, sind es vor allem die Gitarristen, die die Saiten singen lassen. Rocky Athas treibt sie in zeitweise verzaubernden Spaziergängen in den elegischen Schmerz, der allem Blues innewohnt, Greg Rzab dagegen macht, als „Room to Move“ zum immergrünen Dialog mit Mayalls Zungenschnalzen herausfordert, den Bass zu dessen keckem Widerpart. Und nichts jault da mehr oder bratzt oder knödelt, sondern die Combo um den großen Klassiker stimmt sich und ihre Zuschauer selig ein ins Appassionato cantabile.

Fehlt Mayalls Gitarre, vor allem die legendäre neunsaitige? Ein bisschen. Aber wozu Gitarre spielen, wenn ihm die virtuoseren Kollegen zur Seite stehen, denen er großzügig Raum fürs große Solo gibt? Und da ist doch die Mundharmonika, Mayalls eigentliches Markenzeichen, und die bedient der junge alte Mann mit äußerstem Vergnügen. Hey, auf was für einen prächtigen Lungendudelsack der sich mit 76 noch verlassen kann! Dass die Mundharmonika ein bisschen kantiger tönt als früher, dass sie da und dort eine Pause mehr macht: Macht nichts. Früher war früher. Aber jetzt ist jetzt. Und der Himmel, der trügerische, der kann warten, sowieso.

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