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Daniil Trifonov stammt aus Nischni Nowgorod.

©  Dario Acosta

Daniil Trifonov bei den Berliner Philharmonikern: Apollo und Dionysos

Diabolische Tastenläufe, apollinische Ruhe: Daniil Trifonovs Interpretation von Rachmaninows drittem Klavierkonzert ist der Herzstück des Silvesterkonzerts der Berliner Philharmoniker.

Harmloser und trügerischer als Sergej Rachmaninows drittes Klavierkonzert dürfte kaum ein Stück beginnen. Der Solopart setzt nach drei Takten mit einer schlichten Melodie ein, die wirkt, als hätte sie alle russische Melancholie in sich aufgesogen. Nichts verrät die fingerbrecherischen, diabolischen Sechzehntelläufe, mit denen der Pianist schon bald übers Publikum hereinbricht. Für Shootingstar Daniil Trifonov ist das extrem anspruchsvolle Werk, vor dem Widmungsträger Józef Hofmann kapitulierte, genau das Richtige. Erst im April war er damit bei der Berliner Staatskapelle zu Gast, jetzt haben sich Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker den jungen Russen für ihr Silvesterkonzert in die Philharmonie geholt. Fast überflüssig zu sagen, dass er natürlich die ursprüngliche, von Rachmaninow später gekürzte Kadenz voll ausspielt.

Mit 40 Minuten Länge beherrscht das Klavierkonzert den Abend. So wie Trifonov die Kunst des scheinbar beiläufigen Hereinschleichens in die Musik beherrscht. Um dann lang angelegte Phrasen zu spinnen, die wellenartig auf die Höhepunke zurollen. Das Körperliche aller Musik wird kaum je so bestürzend sichtbar wie bei ihm. Kann man so komplett im Werk versunken, so völlig hingegeben sein, dass einem allein davon der Schweiß aus allen Poren bricht? Trifonov, heftig grimassierend, Paganini-haft entrückt, tropfen die Perlen aus den Haaren wie Frühlingsregen aus den Blättern.

Technische Finesse, die sprachlos macht

Eine totale Verausgabung, die aber nur die Außenseite seines Spiels ist. Wer sich von dem optischen Drama nicht zu sehr ablenken lässt, der hört, dass es alles andere als dionysisch klingt. Es ist, angesichts dieses Erregungsgrades, vielmehr von verblüffender dynamischer Ausgewogenheit, transparent, abgeklärt, mit einem Wort: apollinisch. Ähnlich, wie Rachmaninow selbst sein Konzert gespielt haben soll. Trifonov türmt mit sprachlos machender technischer Finesse Töne auf Töne, ohne zu schwelgen, schlägt die Einladung zur hemmungslosen romantischen Emphase, die die Noten aussprechen, charmant aus. Und spielt das Konzert stattdessen mit kritischem, distanzierten Ohr. Immer wieder kommt es dabei zu Momenten magischer Verbundenheit mit den Philharmonikern, Rattle gibt den Blickkontakt zum Solisten quasi keine Sekunde auf.

Um das Programm aus Rachmaninow, der Ouvertüre zu Dmitri Kabalewskys Oper „Colas Breugnon“ und Antonín Dvobáks Slawischen Tänzen nicht zu osteuropäisch geraten zu lassen, hat Rattle eine kurze, selbstarrangierte Suite aus William Waltons „Falade“ hinzugestellt. Erstaunlich, wie wenig er mit dieser Musik aus seiner britischen Heimat anzufangen weiß. Ob Rhapsody, Country Dance oder Tango: Die Philharmoniker fremdeln mit dem Geist der 20er Jahre, bleiben enorm brav und überlegt, scheinen erst in der abschließenden Tarantela zu ahnen, wie frech und rotzig klingt.

In Dvobáks Tänzen aus op.72 dagegen sind sie ganz bei sich. Egal ob bei den feinen rhythmischen Verschiebungen von Nr. 3, den langen Bögen im Adagio von Nr. 5 oder den dynamischen Schattierungen von Nr. 7: Diese Musik haben sie in den Adern, spielen sie schmissig, aber nicht ranschmeißerisch. Mit den Zugaben, darunter natürlich Brahms erstem Ungarischen Tanz, kann die Silvestersause beginnen.

Noch einmal am heutigen Silvestertag um 17.25 Uhr, live übertragen von der ARD und von RBB Kulturradio.

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