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Kultur: Danke für die Farben

Von Frank Peter Jäger In der Nacht des 9. November 1989 stand Matthias Sauerbruch am Neuköllner Grenzübergang Sonnenallee und schaute Richtung Osten: Nach den Radioberichten über die Öffnung der DDR-Grenzen war er mit seinen Kollegen vom Londoner Architekturbüro OMA hierher gefahren, um dabeizusein, doch an der Sonnenalle war kein Mensch zu sehen.

Von Frank Peter Jäger

In der Nacht des 9. November 1989 stand Matthias Sauerbruch am Neuköllner Grenzübergang Sonnenallee und schaute Richtung Osten: Nach den Radioberichten über die Öffnung der DDR-Grenzen war er mit seinen Kollegen vom Londoner Architekturbüro OMA hierher gefahren, um dabeizusein, doch an der Sonnenalle war kein Mensch zu sehen. Plötzlich ein Knattern von Ferne, und wie aus dem Nichts rollten aus der Dunkelheit die ersten Trabbis langsam ins gleißende Licht des Übergangs. Weil sonst niemand da war, zeigten die Transitreisenden Sauerbruch und seinen Kollegen ihre Pässe.

„Wir haben alle durchgewunken, lauter Autos mit strahlenden Gesichtern“ erinnert sich der Architekt lachend. „Das waren euphorische Tage, der Champagner floss, denn unsere Baustelle war ja gleich am Checkpoint-Charlie.“ Er konnte damals nicht ahnen, dass er und seine Frau Louisa Hutton wenige Jahre später gleich um die Ecke in der Kochstraße mit dem neuen GSW-Hochhaus ein Gebäude realisieren würden, dass sie über Nacht zu Architekturstars machte und heute zu den wichtigsten Bauten der neunziger Jahre gerechnet wird.

Inzwischen wird das Paar mit Architekturpreisen überhäuft, sie halten Vorträge vor überfüllten Sälen und bauen Museen, Hochschulgebäude und Behörden in München, Dessau, Magdeburg und Berlin. Der Erfolg schmälert Matthias’ Sauerbruchs Lust auf geistige Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt nicht- er hat intensiv an der inhaltlichen Vorbereitung des Berliner UIA-Kongresses mitgewirkt. Den Unkenrufen der letzten Monate zum Trotz glaubt der 47-Jährige fest daran, das der Kongress ein Erfolg wird: „Die vielen Vorträge und Ausstellungen des Rahmenprogramms bringen der Architektur in der Stadt eine Präsenz, die über das Fachpublikum hinausgeht. Das ist ein großer Gewinn.“

Als Matthias Sauerbruch, der aus Konstanz stammt, 1976 seine Bauzeichnerlehre abgeschlossen hatte, stand für ihn fest, dass er „niemals“ wieder etwas mit Architektur zu tun haben wolle. Ein Jahr später kam er zum ersten Mal nach West-Berlin, und das offene, laboratoriumshafte Klima der Stadt faszinierte ihn. Im Vorfeld der Internationalen Bauaustellung 1984 herrschte in der Berliner Architektenschaft Aufbruchsstimmung. Er erinnert sich an ein „sehr stimulierendes, intellektuelles Klima“. Man hatte sich mit der Insellage der Stadt identifiziert, wollte hier etwas Besonderes verwirklichen. „Wir hatten alle Aldo Rossis Klassiker ‘Architektur der Stadt’ gelesen, und ein paar Straßen weiter wuchsen bald darauf seine spitzen Giebel aus den Trümmerbrachen der Friedrichstadt.“ Wenn Sauerbruch in Erinnerungen wie diesen schwelgt, weicht die ruhige Verbindlichkeit des erfolgreichen Architekten-Unternehmers für einen Moment jungenhaftem Charme, und es fällt leicht, sich den Studenten von 1978 vorzustellen, der voll Neugier in der fremden Großstadt aufgeht.

Als eine Art Zwischenlösung beschloss er, an der Hochschule der Künste mit Architektur anzufangen. Da war der Aufbruchsgeist allerdings noch nicht angekommen. „Die Lehre war stark von der 68er-Zeit geprägt“, sagt Sauerbruch mit spöttischem Grinsen: „Aber leider von deren negativsten Seiten.“ Statt den Studenten das Entwerfen beizubringen, theoretisierten die Soziologen lieber über Gemeinwesenarbeit. Die Professoren Ludwig Leo und Hardt-Waltherr Hämer waren die einzigen Leuchtürme im Meer des Mittelmaßes. „Ansonsten schlugen wir uns mehr oder weniger autodidaktisch durch.“

Das reichte nicht: Sauerbruch bewarb sich an der renomierten Londoner Architektenschmiede „Architects Association“. Der Kontrast hätte nicht größer sein können: „Die Schule war ein Supermarkt der Ideen, wir wurden ständig mit kreativen Herausforderungen konfrontiert.“ In einem Seminar lernte er seine jetzige Frau Louisa Hutton kennen, mit der er 1989 in London sein eigenes Studio gründete. In dieser Zeit tauchten auf Wettbewerbsbeiträgen des Paars zum ersten Mal jene kraftvoll ausschwingenden Ovalformen auf, die man heute als „ihren“ Stil kennt. Doch haben die Architekten die asymmetrischen und amorphen Formen immer in der Überlagerung mit geometrischen Großformen gezügelt und diszipliniert. „Bis so eine Kurve richtig sitzt, wird ein ganze Weile lange getüftelt“, erklärt der Architekt. „Sie dürfen nie durchhängen.“

Die Gebäude des Architekten-Paares sind nicht vorstellbar ohne ihre lebhafte Farbigkeit. Deren Auswahl erfolgt eher intuitiv, meint Louisa Hutton. „Schon wenn wir das erste Mal den Bauplatz begehen, schauen wir, welche Farben dort gut wirken könnten.“ Nimmt ein Gebäude konkrete Konturen an, wird das Zusammenspiel der Farben untereinander und mit den Materialien ausgiebig getestet. Im Domizil des Büros an der Lehrter Straße steht dafür ein eigener Raum zur Verfügung. „Als 1998 zum ersten Mal die farbigen Rolos des GSW-Hochhaus in Betrieb waren, schickte uns jemand, der in der Nähe wohnt, ein Fax, auf dem stand ‘Danke für diese Farben!’ Das freut schon sehr.“

Am Mittwoch um 20 Uhr berichten Sauerbruch + Hutton im Postbahnhof am Ostbahnhof im Rahmen der UIA-Werkberichte über ihre aktuellen Projekte.

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