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Eine Szene aus "Dark Blood". Der Film wurde erst 20 Jahre nach dem Dreh veröffentlicht.

© Berlinale

"Dark Blood": Weltpremiere nach 20 Jahren

Nach einer Nacht voller Drogen in Hollywood starb der Hauptdarsteller von "Dark Blood". Der Film fiel an die Versicherung. Erst jetzt konnte das Material zurück gekauft und zu Ende geschnitten werden.

Das hat es wohl noch nie gegeben. Ein Festival, auf dem es sonst an großen, echten Uraufführungen mangelt, zeigt die Weltpremiere eines vor 20 Jahren gedrehten Films. Als George Sluizer 1993 an „Dark Blood“ arbeitete, starb der 23-jährige Musiker und Schauspieler River Phoenix zehn Tage vor Abschluss der Dreharbeiten. Phoenix’ Herz blieb stehen nach einer Nacht voller Drogen in Hollywood.

Bei „Dark Blood“ war er einer der drei Hauptdarsteller. Der Film fiel an die Versicherung, die für den Abbruch bezahlte – und erst 2012 konnte der heute 80-jährige Regisseur das gerettete, zurückgekaufte Material zu Ende schneiden. Dabei kopierte Sluizer keine nachgedrehten Szenen hinein, sondern griff zu einem Kunstmittel. Anfangs zeigt ihn ein Standbild zusammen mit River Phoenix am Rande des Sets, und die Stimme des Regisseur beginnt die Geschichte des nunmehr dem Toten gewidmeten Werks zu erzählen.

Auch später, wenn im laufenden Film plötzlich ein Stück fehlt, liest Sluizer im Off die unvollendete oder nie gedrehte Szene so suggestiv aus dem Script, dass der Film im Film wie selbstverständlich im Kopf des Zuschauers entsteht. Es ist, als habe jemand Brechts Methode des Epischen Theaters einfach aufs Kino übertragen.

Das funktioniert erstaunlich. Auf einmal wird ein in der roten Wüste von Nevada, im klassischen Indianerland (mit einigen Indians in Nebenrollen) spielender kleiner Romantikwestern zum sonderbar großartigen Ereignis. Die Story gibt eigentlich nicht mehr her als eine tragikomische Farce: mit dem Paar Buffy und Harry, zwei mittelalten Hollywood-B-Movie-Stars (Judy Davis und Jonathan Pryce), die sich ein Weekend ohne Kinder in einsamen Weiten gönnen. Eine Art Selbstfindungstrip nach zwölf Jahren Ehe so lala. Aber statt im Range-Rover fahren die beiden durch den Wilden Westen im Bentley. Als der Motor im Niemandsland streikt, bleibt als Drink in sengender Sonne und später sternkalter Nacht unter Koyoten nur ein letzter Brandy – aus dem silbernen Flachmann. So viel Stil sorgt, neben sarkastischen Dialogen, für einige halbstarke Komik.

Eigentlich Edel-Trash. Selber ein B-Movie, auch wenn River Phoenix als Eremit in der einst von Atombombentests verseuchten Wüste erscheint. Er heißt nur Boy, ein Viertelindianer mit einer von Geistern, Kerzen und alten Göttern besetzten Geheimkatakombe (oder: Kathedrale) im Wüstengestein. Mit einer Wohnhütte, vor der allerlei Metallpfannen hängen, die ihm als tönende Gongs dienen. „Das ist die Musik des Todes“, sagt er, der mit einem wunderbar heiligen, fanatischen Ernst die Frau Buffy begehrt und sie und ihren erst dünkelhaft blasierten, bald von Hitze, Eifersucht, Isolation gezeichneten Mann Harry als Pannenopfer kidnappt.

Man wischt sich da die Augen: Alles wirkt jetzig, aber es gibt keine rettenden Handys, der touristische Fotoapparat ist noch frühdigital. Wir sind wie in einer Zeitmaschine, in der auch die Filmzeit relativ ist. Weil man plötzlich begreift, dass der unvollendete Film zwar einen tödlichen Schluss hat (für Boy alias River Phoenix ein bewegendes Menetekel), dafür aber Szenen vom Anfang oder der Mitte der Geschichte noch nicht gedreht worden waren. Diese Selbstreflexion eines Films über seine eigene Geschichte und die ihrer Darsteller setzt „Dark Blood“ in einen unverhofften Dialog mit einem anderen Werk: mit Jafar Pahanis „Pardé“. Auch dieser Film war ein Film über das Verhängnis, nicht einfach ein Film sein zu können.

15. 2., 12 Uhr 30 (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr 45 (HdBW), 17. 2., 21 Uhr (Friedrichstadtpalast)

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