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Poetisch und burlesk. Szene aus „Bello!“ der italienischen Kompagnie Fabbrica C.

© Berlin Circus Festival

Das Berlin Circus Festival ist eröffnet: Körper im Clinch

Sonne, Saltos, Staunen am Eröffnungsabend. Auf dem Tempelhofer Feld zeigen 15 Kompanien, was der zeitgenössische Zirkus in Europa zu bieten hat.

Los geht es sonnig und verstolpert. Planvoll verstolpert, ist ja Zirkus – mit dem clownesken katalanischen Trapez- und Musikduo „La campistany“. Zirkus heißt Circus, wenn es nach Johannes Hilliger und Josa Kölbel geht, den Chefs des Berlin Circus Festivals. Sie setzen sich mit dem distinguierten „C“ vom Sägespäne-Geruch der traditionellen Unterhaltungsform ab. Inzwischen mit der neunten Ausgabe des Festivals auf dem Tempelhofer Feld, das sie 2015 als erstes und bis heute größtes in Deutschland begründet haben..

Offensichtlich haben Hilliger und Kölbel, die 2018 im Auftrag von Thomas Oberender auch eine Schiene für zeitgenössischen Zirkus im Haus der Berliner Festspiele kuratierten, die Wettergötter auf ihrer Seite. Ein strahlender Abend lässt sich zum Auftakt am Freitag gar nicht denken. Die Kurzstücke der Katalanen und des Niederländers Luuk Brantjes finden auf der Open-Air-Bühne statt, bevor es für zwei längere Produktionen dann erst in das kleine und dann in das große Chapiteau geht.

Bruderliebe. Szene aus „bitbybit“ der Belgier Simon und Vincent Bruyninckx.
Bruderliebe. Szene aus „bitbybit“ der Belgier Simon und Vincent Bruyninckx.

© Berlin Circus Festival/Kalimba

Um den Nachwuchs muss sich diese Kunstform im Gegensatz zu anderen nicht sorgen. Nirgends sieht man so viel hippes Clubpublikum und junge Familien wir hier. Ein internationales sowieso, Artistik ist nonverbal und steht traditionell in Ländern wie Frankreich und Spanien sehr viel höher im Kurs als in Deutschland. Seit gut zehn Jahren tut sich aber auch hierzulande einiges.

Der Bundesverband zeitgenössischer Zirkus hat sich 2011 gegründet. In Berlin sind im Chamäleon Theater Ergebnisse international geförderter Künstlerresidenzen zu sehen. Im März nahm die Unesco den Zirkus in das immaterielle Kulturerbe Deutschlands auf. Und die Senatskulturverwaltung hat dem Berlin Circus Festival die Förderung gerade um vier weitere Jahre verlängert.

Die Qualität der inländischen Stücke sei inzwischen deutlich besser, sagen Kölbel und Hilliger beim Gespräch zwischen den Shows. Beide fahnden das Jahr über europaweit nach festivalgeeigneten Produktionen an der Schnittstelle zwischen Akrobatik, Tanz und Schauspiel. „Die größte Herausforderung dieser Darstellungsform ist es, eine Dramaturgie, eine Geschichte zu schaffen, aus der die Akrobatik nicht herausfällt“, sagt Kölbel.

Tanz mit der Schwerkraft

Am Eröffnungsabend gelingt das gleich mehrfach. Zuerst im Kurzstück „Lone“, in dem Luuk Brantjes sich per Schleuderbrett und Drehscheibe einen atemberaubenden Tanz mit der Schwerkraft liefert. Ein Sandsack dient ihm als Widerpart für sein Körpergewicht, wenn er sich selbst wie auf einer Wippe in die Luft schleudert und Saltos macht.

Johannes Hilliger (l.) und Josa Kölbel, die Chefs des Berlin Circus Festivals.
Johannes Hilliger (l.) und Josa Kölbel, die Chefs des Berlin Circus Festivals.

© Berlin Circus Festival

Den beherrschen auch die belgischen Brüder Simon und Vincent Bruyninckx vom Collectif Malunés. Ihr einstündiges „bitbybit“ im schummerigen Zelt auf einer Art Schwebebalkensteg quer durch den Raum und unter der Zeltkuppel dargeboten, arbeitet ebenso mit totaler Verlangsamung und Stille, wie mit Tempo und dröhnendem Sound.

Technische Requisiten sind Seile, laut klickende Karabiner und „Jaws of Steel“, Mundstücke, an denen sie die Seile befestigen. Zuneigung, Abneigung, Konkurrenz und Vertrauen, die ganze Gemengelage von Geschwisterverhältnissen scheint in diesem gruselig guten Tauziehen auf, das in einer rauschhaften Umarmungschoreografie mündet.

Den letzten Akt bestreitet die italienische Kompagnie Fabricca C. In gut einer Stunde Spielzeit entfaltet die Truppe im großen Zelt eine wundersam kopf- und körperlastige Choreografie aus Text, Boden- und Handstandakrobatik. Im Zentrum steht ein Schauspieler, der Monologe zu Situationen wie „In der Warteschlange“, „Im Kino“ oder „Höhe“ spricht.

Das konterkarieren vier Männer und zwei Frauen in einer fließenden Abfolge aus Körperknäulen, Tanzfiguren, Pyramiden. Im Rund einer weiß ausgelegten, nach hinten durch weiße Papierbahnen abgetrennten Bühne. Ein theatrales Stück, das beim burlesken Catwalk-Tanz in Glitzerfummeln witzigen Showappeal bekommt. Auch hier folgt Riesenjubel. Das Staunen über die Möglichkeiten der menschlichen Physis ist groß an diesem Abend beim Zirkus mit „C“.

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