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Kultur: Das Dönermesser-Massaker

Die Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ startet eine neue Staffel: „Invasion der Prenzlwichser“

Was bisher geschah: Der Dönertaxifahrer Murat liebt die Berufsschülerin Nicol. Nicol liebt Thomas. Thomas betrügt Nicol im Gesundbrunnencenter mit der Kiezschlampe Sabine. Murat beobachtet Nicols Mutter beim Vögeln mit Ahmed. Prenzlwichser Claudio plant ein Kunstprojekt, bei dem er nackte Hartz-IV-Empfänger vor den Reichstag stellen will. Murat verprügelt Dieter Bohlen und heiratet gegen den Willen seiner Eltern Nicol, die sich als Eische verkleidet. Hassan heuert den ehemaligen Stasi-Agenten Erkan an, um die beiden zu ermorden.

„Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ hat alles, was eine Sitcom braucht. Es geht um Liebe, Lügen, Verrat, Rache und Sex. Es menschelt, kriselt und kracht nur so im sozialen Gebälk. Und trotzdem ist GWSW keine herkömmliche Daily Soap. Erstens werden die Folgen live auf der Bühne gespielt. Und zweitens handeln sie eigentlich nur von einem Thema: dem Wedding.

Ortstermin im Prime Time Theater. Die äußert erfolgreiche Bühne (Auslastung rund 90 Prozent) residiert in verkehrsgünstiger Lage an der Osloer Straße, direkt gegenüber von „Spießi’s Ein-Euro-Imbiss“. Im Dezember 2003 gründeten Oliver Tautorat und Constanze Behrends das Theater, seit einem Jahr residieren sie im Parterre eines alten Bewag-Gebäudes. „Das übliche Off-Theater mit Rumgebrülle finden wir genauso bescheuert wie das langweilige Berliner Staatstheater“, erklärt der griechischstämmige Tautorat. Und die Volksbühnenattitüde mit ihrer zielgruppengerechten Mischung aus Proseminartheorie und Gossensprache ebenso.

Als ästhetisches Gegenprogramm und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erfanden die ausgebildeten Schauspieler ihr eigenes Konzept: ein Volkstheater mit den Mitteln des Fernsehzeitalters. Das Programm wirkt wie maßgeschneidert für den Bezirk Wedding. Es umfasst die populären Genres Krimi („Polizeiruf 65 – Alle Spuren führen nach Wedding“), Western („Wild Wedding“), den „DonnersTalk“ mit Showmaster Rudi van de Grachtenhooven zu Themen wie „Hilfe, ich wohne im Wedding“ oder „Ich liebe ein Haushaltsgerät – frustierte Hausfrauen packen aus“. Ganz oben in der Publikumsgunst aber steht die Sitcom GWSW.

Vier Staffeln mit insgesamt 28 Folgen sind bisher gelaufen, alle 14 Tage startet eine neue Folge – immer zur Prime Time um 20.15 Uhr. Heute endet die Sommerpause mit dem Start der lang ersehnten fünften Staffel. Die 24-jährige Constanze Behrends schreibt das Drehbuch und ist von ihrem Erfolg selbst überrascht. Was als improvisiertes Zweipersonenstück begann, verfügt mittlerweile über ein umfangreiches Personal, gespielt von sechs Schauspielern. Da ist einmal die Clique um Murat und Nicol, Deutschtürken mit Gel im Haar, Handy in der Hand und Plateausohlenturnschuhen an den Füßen.

Dann sind da noch Vokuhila-Kalle, früher mal der schärfste Hengst von ganz Wedding und Abba-Fan der ersten Stunde, sowie die frustrierte Arbeitsamtsleiterin Frau Schinkel. Als Sympathieträger fungiert Onkel Ahmet (Alexander Ther), schnauzbärtiger Betreiber der Imbissbude „Chez Ölgür“. Hier kreuzen sich die Wege der Weddinger wie in Mahmuts Handyladen, der ständig vorm Konkurs steht. Alle Weddinger haben schon ein Handy, die anderen trauen sich nicht rein, weil Mahmut als Türklingel Maschinengewehrfeuer aus dem Internet geladen hat.

Am Anfang jeder Folge flimmert der unverwechselbare Trailer über zwei kleine Monitore, und die Titelmelodie erklingt: „Mitte ist Schnitte, Prenzlberg is Petting, real Sex is only Wedding.“ Denn die Regie führt in Wahrheit die soziale Dynamik des Bezirks selbst. Der Wedding, längst nicht mehr El Dorado der GTI-Piloten und Freizeitcowboys, sondern inzwischen von Mitte-müden Neuberlinern als billigere Wohnalternative in zentraler Randlage geschätzt, entwickelt sich zum Ausgehbezirk. Zogen die Weddinger Studenten am Wochende früher Richtung Prenzlauer Berg, so kehrt sich dieser Strom über die Böse Brücke nun um. Man pilgert gen Westen zu den Galerien der Kolonie Wedding, zum Bowling oder Karaoke ins Kaffee Schmidt oder eben zum Prime Time Theater.

Im Kulturhaus an der Osloer Straße haben neuerdings Künstler aus den Ostbezirken Ateliers gemietet, was bei den Alt-Weddingern nur mäßige Begeisterung weckt. „Die interessieren sich für die billigen Mieten, nicht aber für den Wedding“, sagt der Überzeugungs-Weddinger Oliver Tautorat. „Die so genannten Prenzlberger kommen meist aus München und reden ständig über irgendwelche Videoprojekte, die sie nie realisieren.“ Auch dieses Ressentiment wurde ungebrochen in die Sitcom eingearbeitet.

In „Die Invasion der Prenzlwichser“, der mit Spannung erwarteten neuen Folge, ziehen die Wahl-Ostler Claudio und Penelope in den Wedding, um ein „spannendes“ Projekt zu planen: Wie reagiert der gemeine Weddinger auf Vermögensentzug, Schwangerschaft und Tod? Retrobrille, Volksbühnen-Shirt und Achtzigerjahrehemdchen tauschen sie zur Tarnung gegen die originale Weddingkluft mit Jogginghose. Die Ergebnisse will die affektierte Szenetusse Penelope „videomäßig dokumentieren“.

Bei Auftritten der Prenzlwichser sind die Buhrufe im Parkett programmiert. Die Mehrheit des Stammpublikums wohnt in Wedding, über die türkischen Machos auf der Bühne lacht auch der Imbissbesitzer von nebenan. Das Merchandising mit T-Shirts „Mein Freund ist Weddinger“ läuft gut und auf der Straße werden die Schauspieler mit den Namen ihrer Figuren angesprochen. Manchmal aber wird den Kiezstars ihre eigene Serie unheimlich. Neulich spielten sie eine Geiselnahme im Arbeitsamt Wedding. Kurz darauf kam es dort tatsächlich zu einem Angriff. Ein anderes Mal schickten sie ihr Sitcom-Personal mit „Aldi-Tours“ nach Mallorca. Wenig später bot eine Supermarktkette Touren nach „Malle“ an. In solchen Momenten scheint es, als würde die Realität das Theater nachahmen. Aber auch sonst gilt stets: Es wird viel passieren.

„Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, 5. Staffel. Heute Premiere (ausverkauft). Wiederholungen: Fr., Sa., Mo., Di. um 20.15 Uhr, Do.: Talkshow. Osloer Straße 16. Kartenvorbestellung: 49907958. www.primetimetheater.de

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