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Jörg Widmann.

© Marco Borgreve

Das DSO mit Kent Nagano: Dampf am Euphrat

Kent Nagano dirigiert wieder einmal das DSO - und legt sich zwei Werke von alttestamentarischer Wucht aufs Pult.

Wie Boliden setzt Kent Nagano in der Philharmonie zwei Brocken an Beginn und Ende seines Konzerts mit dem Deutschen Symphonie-Orchester, dem er einst vorstand. In Jörg Widmanns Babylon-Suite paradieren 40 Minuten lang die Motive aus seiner Oper „Babylon“, die er 2012 auf ein Libretto Peter Sloterdijks geschrieben hat. Figuren fahren wie Steinfratzen aus der flächigen Musik auf. Episch, monumental, maßlos, klangprall, sinnlich-explosiv bewältigt Widmann den weltenumspannenden Stoff, in dem Babylon mehr ist als die große Hure. Für ihre Reise an die dampfenden Ufer des Euphrat bieten Widmann und Sloterdijk nicht nur einen umgekehrten Orpheusmythos auf, sondern auch eine christusgleich aus der Unterwelt zurückkehrende Hauptfigur. Nagano dirigiert hingebungsvoll bis fiebrig – besonders im zentralen Karnevalsteil, von Widmann in Strauss- und Mahler-Manier als Parodie auf die Humptata-Faschingslieder seiner Heimatstadt München angelegt. Nur gegen Ende wird es arg tonal, breitwandformatig, gleich klopfen die Geister der Filmmusik an der Tür.

Die Antithese nach der Pause: Igor Strawinskys Psalmensymphonie. Chor, Bläser, tiefe Streicher, ohne die vermittelnden Stimmen von Geigen und Bratschen. Die Musik wird kantig und hart, dass es kaum auszuhalten ist. Glaube, der keines sinnlichen Beweises bedarf, der sich seiner auf unheimlich-unsympathische Art sicher ist. Moses statt Aron. Zwei Entwürfe, zwei archaische Stoffe, vom Zeitgenossen Widmann überbordend, überschwänglich vertont, vom Neoklassizisten Strawinsky 1930 mit erstarrter Ästhetik. Sie stehen sich gegenüber und starren sich an, ohne Brücken, ohne Stege. Zwischen ihnen: Edvard Griegs Klavierkonzert. Obwohl Nikolai Lugansky mit überraschenden dynamischen Attacken dem Stück seine Reize abringt, kann auch er das Bild des Norwegers nicht modifizieren. Grieg bleibt einer, der kunstvoll-eigenwillig Volksmusik veredelt, nicht viel mehr. Fürs Konzertrepertoire ist er wohl nicht zu retten. So hinterlässt das moderne Stück, mit schwächeren Werken an seiner Seite, den nachhaltigsten Eindruck.

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