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Herausfordernde Prosa. Die Berliner Schriftstellerin Maren Wurster, 41.

© Benjakon/Hanser Verlag

„Das Fell“ von Maren Wurster: Sie dreht am Rad

Wilde Natur, wilde Menschen: In Maren Wursters Debütroman „Das Fell“ verwandelt sich eine Frau in ein Tier. Oder doch nicht? Ihre kurze Prosa ist ein versiertes Sprachspiel mit dem Unheimlichen.

Auf dem in einfachen Strichen gezeichneten Cover von Maren Wursters Debütroman „Das Fell“ sieht man unter anderem das Gesicht einer Frau mit energischem Blick und zusammengepressten Lippen. Herausfordernd, trotzig und ein wenig aggressiv. So könnte man auch die Hauptfigur dieses Romans charakterisieren. Wurster, die 1976 geboren wurde und vergangenes Jahr ihr Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig beendete, hat tatsächlich eine eigensinnige Heldin erschaffen. Das ist auch wichtig für einen Text, der zunächst weder mit einem spektakulären Setting noch mit einem außergewöhnlichen Handlungsbogen aufwartet.

Die in Berlin lebende Vic möchte mit ihrem Freund Karl in den Urlaub fahren. Doch der verreist lieber mit seiner Ex-Frau und der gemeinsamen Tochter an die Ostsee. Die Enttäuschung macht Vic rasend vor Wut, und zwar durchaus im Wortsinn. Denn sie beschließt, ihrem untreuen Kerl mit dem Rad hinterherzufahren. Viele Kilometer auf dem Sattel, einen Stein im Rucksack. Vic ist bereit, einen großen Fehler zu machen, aber noch hat sie die Küste nicht erreicht, und so lesen wir ein Roadmovie auf zwei Rädern, eine auf vielen Ebenen anstrengende Tour de Force, die weniger in Richtung Karl als vielmehr zu den Abgründen der Protagonistin führt.

Die Grenze zwischen Realismus und Metaphorik verschwimmt

Die im kalten Präsens und karger Parataxe erzählte Prosa zeigt uns nämlich eine Frau, deren Eigensinn oft in Rücksichtslosigkeit auch gegen sich selbst umschlägt. „Karl besteht auf Kondome. Einmal nahm sie das zugeknotete Latextütchen mit ins Bad, riss es auf, stülpte es um und führte es in sich ein. Die Fliesen kühl unter ihrem Rücken, der Hintern auf dem Badevorleger. Und wo sie schon so lag und wartete, befriedigte sie sich, ein Bein an die Wand gedrückt, das andere auf dem Klodeckel abgelegt.“

Auch Karl scheint sich nicht besonders stilsicher zu verhalten, immerhin ignoriert er die Anrufe und Nachrichten, die ihm Vic in ihrer Verzweiflung schreibt. Auf der langen Radreise durch menschenleere Seenlandschaften und düstere Waldgebiete bekommen wir aber bald eine Ahnung, warum Karl ans Meer geflohen sein könnte. Vic ist natürlich viel schräger als eine normal schräge Großstädterin mit Beziehungsproblemen. In der wilden Natur scheint sie sich wohler zu fühlen als unter Menschen, was auch daran liegen könnte, dass sie unter einer Krankheit namens Hypertrichose leidet. Auf ihrem Rücken, so behauptet es jedenfalls die Erzählstimme, wachsen ihr in verhältnismäßig kurzer Zeit dichte, fellgleiche Haare. Vic durchlebt eine Verwandlung, die zugleich ein Prozess der Assimilation ist. Die verletzte Frau scheint sich zu einem wilden Tier zu entwickeln, wobei nie ganz klar ist, ob wir es nun mit einer realistischen oder mit einer metaphorischen Erzählweise zu tun haben, ob wir dieses Fell wörtlich oder doch eher symbolisch zu nehmen haben. Die Redewendung vom dicken Fell, das man sich zulegen müsse, liegt genauso nahe wie die Vorstellung vom weichen Fell, der Ausdruck für den Wunsch der traurigen Heldin nach Nähe und Streicheleinheiten ist.

Der Roman verzichtet auf psychologische Erklärungen

Nicht zuletzt im souveränen Umgang mit den sprachlichen Bedeutungsebenen liegt der literarische Reiz dieses kurzen Romans, der seine dramaturgische Spannung wiederum aus dem versierten Spiel mit dem Unheimlichen zieht. Maren Wursters Verwandlungsgrusel zielt darauf ab, uns Leser zu fasziniert schaudernden Gaffern zu machen, die sich an den eigenen Rücken greifen und überprüfen, ob dort sich dort nicht auch schon dichter Haarwuchs ankündigt. Die Fragen, die dieser Roman stellt, sollen sich nach der Lektüre weiterhin stellen: Wie viel wilde Natur steckt in uns? Und was muss geschehen, damit wir einen Stein einpacken, ihn vielleicht sogar losschleudern?

Wursters Roman überzeugt und irritiert, auch weil er auf psychologische Erklärungen verzichtet. Stattdessen entströmt ihm eine Flut unkommentierter Beobachtungen, als hätte die Erzählinstanz die instinktgesteuerte, irgendwie humananimalische Innenperspektive der Hauptfigur übernommen. Fraglich ist allerdings, ob diese sich auf gerade einmal 150 Seiten erstreckende Prosa auf längerer Strecke funktioniert. Wurster hat sich mit „Das Fell“ als kluge Mittelverwalterin ihres sprachlichen und inhaltlichen Programms vorgestellt. Insofern enthält ihr Debüt nur indirekt das Versprechen auf ein zweites Buch. In diesem Stil kann Maren Wurster unmöglich eine weitere Prosa-Arbeit abliefern. Sie müsste sich, um abermals zu beeindrucken, literarisch neu erfinden. Zuzutrauen ist es ihr.

Maren Wurster: Das Fell. Roman. Hanser Berlin, Berlin 2017 156 Seiten, 18 Euro

Carsten Otte

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