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Kultur: Das ganze Gebäude ist morsch

Warum das Tanzensemble der Komischen Oper in Berlin keine Chance mehr hat

Von

Von Sandra Luzina

und Frederik Hanssen

„Wie soll ich denn ohne eigene Ballettkompagnie auskommen?“, pflegte der selige Götz Friedrich immer zu fragen, wenn es mal wieder um die Streichung von Tänzerstellen bei den hauptstädtischen Musiktheatern ging: „Wer soll denn dann in den Opernproduktionen tanzen?!“ Der langjährige Intendant der Deutschen Oper Berlin gehörte noch zu jener Generation von Regisseuren, die es für ganz selbstverständlich hielt, dass ihnen die Truppe des Hauses in ihren Inszenierungen für Tanzeinlagen zur Verfügung stand. Andreas Homoki, der 43-jährige Chefregisseur und kommissarische Intendant der Komischen Oper, tickt da nur scheinbar ganz anders: In seiner Saisoneröffnungs-Produktion, der Operette „Die Czardasfürstin“, lässt sich den ganzen, quälend langen Abend über kein Tänzer blicken – und das, obwohl Kalmans Musik zum allergrößten Teil auf Czardas- und Walzerrhythmen basiert.

Nach der tanzmuffeligen Premiere am Sonntag mochte es kaum überraschen, dass tags darauf die seit langem erwartete Abwicklung der Tanzkompagnie der Komischen Oper verkündet wurde. Nachdem Homoki bereits in einem Interview mit dem Tagesspiegel am 17. Juli erklärt hatte, „die Philosophie der Komischen Oper bestand immer in der Fokussierung auf den singenden Menschen“, lieferte er mit der „Csardasfürstin“ nun auch optisch den Beweis, dass er für seine Arbeit keine Tänzer mehr braucht. Mit der Entlassung (im Theaterjargon trocken „Nichtverlängerung“ genannt) erbringt die Komische Oper alleine jene „Sparleistung“, die Berlins Kultursenator Thomas Flierl in seinem Entwurf der eine Neuordnung der Musiktheaterlandschaft von den Balletttruppen fordert.

„Beim Gastspiel in Weimar am vergangenen Donnerstag bekam ich einen Anruf, dass die Kündigungen rausgegangen sind“, erklärt Adolphe Binder, die Ballettdirektorin der Komischen Oper. „ Am Montag fanden im Zehn-Minuten-Takt die Gespräche zur Nichtverlängerung der Verträge statt. Die Kündigungen betreffen mich, meinen Assistenten und Ballettmeister und 22 Tänzer. Es hat mich schon überrascht, dass es so früh kam. Im Hause hieß es lapidar, es geschah auf Weisung des Senats. Damit werden Fakten geschaffen, ohne dass es eine inhaltliche Diskussion gab.“

Ganze 88 staatlich finanzierte Tänzer werden in der Hauptstadt übrig bleiben, wenn am 1. Januar 2004 die so genannte „Opernstiftung“ zu funktionieren beginnt. „Es wird dann nur noch eine große, leistungsfähige Kompagnie unter der Leitung von Vladimir Malakhov geben, die sowohl die Staatsoper als auch die Deutsche Oper bespielt“, erklärte Flierls Sprecher Torsten Wöhlert gegenüber dem Tagesspiegel. Ob mit dieser Tänzerzahl sowohl der klassisch-neoklassische Bereich als auch der zeitgenössische Tanz überhaupt abgedeckt werden kann, lässt er allerdings offen. Theoretisch könne sich die Stiftung allerdings auch entschließen, sich mehr Tänzer zu „leisten“, um vielseitig zu bleiben und nicht zur „Schwanensee AG“ zu verkommen – wenn in anderen Bereichen entsprechend Stellen eingespart werden.

„Ich habe mich stark für die Ballett-GmbH eingesetzt“, betont Adolphe Binder – „in der Hoffnung, dass es zwei Abteilungen gibt, eine klassisch-neoklassische und eine zeitgenössische-moderne. Oder dass unsere Kompagnie als Satellit an die Opernstiftung angedockt wird. Der Senator hat mein schriftliches Konzept. Das war vor dem Sommer.“

Mit der Zerschlagung der Kompagnie der Komischen Oper geht ein weiterer Akt im Drama um die hauptstädtischen Tänzer zuende. 120 Stellen wurden schon abgebaut. Nachdem Gerhard Brunner, der von Ex-Senator Peter Radunski zum Ballettbeauftragten erkorene Österreicher, jahrelang mit unendlicher Geduld – aber vergebens – versucht hatte, die drei Truppen zur konstruktiven Zusammenarbeit zu bewegen, wird nun seine Idee einer autonomen Tanz-GmbH realisiert. Unter dem Dach der Opernstiftung wird es eine Ballett-Sparte geben –nur eben mit einer massiv verringerten Zahl von Tänzern. Das für Berlin so typische starrköpfige Festhalten am Status quo hat nicht nur einen höchst kompetenten Profi wie Gerhard Brunner aus der Stadt vertrieben, sondern eben auch die besten Tänzer.

Ob sich die Szene davon je wird erholen können, ist fraglich. Während das Ballett der Staatsoper in einer rückwärtsgewandten Ästhetik verharrt (die dem Publikumsgeschmack hinterher rennt wie sonst nur die kommerziellen Musicalproduktionen und darum ohne Steuergelder auskommen müsste), finden die spannenden Projekte längst woanders statt, in der Off-Szene oder der Schaubühne bei Sasha Waltz.

„Für mich sieht es so aus, dass die Staatsoper jetzt abräumt und gleichzeitig eine Neustrukturierung verunmöglicht. Das heißt, dass die konservativsten Kräfte jetzt die Strukturierungsdebatte bestimmen“, resümiert Adolphe Binder. „Ich glaube aber, man muss an die Wurzel der Ballettmisere, an dem ganzen, morschen Gebäude muss gerüttelt werden – aber das traut sich niemand. Nach den endlosen Diskussionen sind alle müde. Es wäre fatal, aus dieser erschöpften Haltung heraus schnell etwas zu stricken. Denn noch gibt es eine Chance, ein innovatives Modell durchzusetzen. Vielleicht muss Berlin durch diese Phase durch, vielleicht muss erst alles zusammencrashen.“

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