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Kultur: Das ganze Leben ist ein Quiz

Andreas Homoki und Fabio Luisi veranstalten an der Dresdner Semperoper ein Rätselraten um Puccinis „Turandot“

Es liegt ein Mysterium über unvollendeten Werken. Auf der einen Seite stehen sie als Aufforderung an die Nachwelt da, das Angefangene posthum zu einem ordentlichen Abschluss zu bringen, andererseits weiß jeder im Stillen, dass genau das nicht möglich ist.

Auch im Fall von Puccinis „Turandot“ ist der posthum zusammengenietete Schluss lediglich eine Bestätigung dafür, dass ein Happy-End hier nicht mehr möglich ist und dass Puccini, der über zwei Jahre am Finale seiner letzten Oper laborierte, in seinem Innersten wohl auch wusste, dass die Oper des 19. Jahrhunderts hier endgültig an ihrem Ende angelangt war.

An der Dresdner Semperoper werfen Andreas Homoki und Fabio Luisi jetzt entschlossen alle Erwartungen an ein großes Opernfinale über Bord und lassen die „Turandot“ einfach dort ausklingen, wo Puccini aufhörte zu komponieren: Nach dem Liebestod der Sklavin Liù versiegt die Musik in sich entfernenden Chorstimmen, gesteht offen ein, dass sie nichts mehr zu den Menschen zu sagen hat, die noch auf der Bühne verbleiben.

Ein starker, in seiner Stille bewegender Schlusspunkt hätte dies sein können – wenn Homoki und Luisi es verstanden hätten, dieses Scheitern als logische Konsequenz aus einer Welterfahrung zu entwickeln, in der die romantische Paarverschmelzung in Leben oder Tod nicht mehr vermittelbar ist.

Doch in Dresden gibt es leider nichts davon. Fabio Luisi, der designierte Generalmusikdirektor der Semperoper, dirigiert die (überraschend unpräzise) Staatskapelle mit breitem Kitschpinsel, verwischt Puccinis differenzierte Klänge zu bloßer Filmmusik - . Andreas Homoki, der als Intendant das Profil der Komischen Oper als Forum für polarisierendes, mutiges Musiktheater geschärft hat, agiert bei seinen eigenen Regiearbeiten in letzter Zeit merkwürdig hilflos. Irgendwie sollte seine „Turandot“ wohl als gigantische Quiz-Show ablaufen: Ein Tor mit einem riesigen Fragezeichen dominiert Wolfgang Gussmanns nahezu leere Fernsehstudio-Bühne, die Botschaften der Regierenden werden durch fahrbare Monitore verkündet, die Darsteller werden vom Kameramann mit Kabelträger live auf Großleinwand übertragen.

Eigentlich keine schlechte Grundidee, nur schafft es Homoki nicht, sie schlüssig zu vermitteln. Wie so oft, hetzt er den Chor gnadenlos über die Bühne, doch die Bedrohlichkeit einer anonymen Masse vermittelt die agile Truppe nicht. Noch weniger kann Homoki mit seinen Solisten anfangen: Der Barbarenprinz Kalaf (Carl Tanner) stakst herum wie ein Baumstamm mit zwei Beinen und singt auch so, die stimmlich überforderte Annette Dasch muss als Liù ihr Leben per Fernbedienung auszappen, was die Tragik ihrer Todesszene ins Komische zieht.

Allein Evelyn Herlitzius, Bayreuths gefeierte Brünnhilde, weist mit ihrer Turandot darauf hin, dass es Puccini nicht um bloße Konsum-Kritik ging, sondern darum, dass die Menschen in diesem erbarmungslosen System leiden, dass die Kälte, von der hier die Rede ist, die Seelen erfrieren lässt: Ihre Prinzessin ist kein hochdramatisches, männermordendes Monstrum, sondern eine Verletzte, für die das Vamp-Kostüm nur ein Selbstschutz gegen den Schmerz unerwiderter Gefühle ist.

Eine weitere Premiere, die zeigt, dass die Dresdner Oper unter der Intendanz von Gerd Uecker noch keine künstlerische Perspektive hat. Der neue Generalmusikdirektor, so scheint es, wird auch nicht viel dazu beitragen können.

Nächste Vorstellungen am 12., 18. 21. und 24. Oktober.

Jörg Königsdorf

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